Man kann den deutschen Film- und Fernsehproduzenten entweder ein besonders gutes oder ein besonders schlechtes Gespür für Dramaturgie attestieren. Das hängt ganz vom Blickwinkel auf ihre wirtschaftlichen Nöte ab. Produktionsallianz, Produzent*innenverband und Deutsche Filmakademie hatten jedenfalls den Vormittag des 6. November gewählt, um kurz vor Sitzungsbeginn des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien einen dringenden Appell an die Abgeordneten zu übergeben. Dessen Headline lautete: "Die deutsche Filmindustrie schafft 120.000 Arbeitsplätze. Noch! Wir fordern steuerliche Anreize und mehr Investitionen von Streamern – JETZT!"
Auch von prominenten Köpfen wie Iris Berben, Anke Engelke, Veronica Ferres oder Michael Bully Herbig unterzeichnet, forderte das Papier die Umsetzung der geplanten Filmförderungsreform mit Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung. Die Filmbranche blicke mit Bangen in die Zukunft und befürchte einen "Aderlass bei den Arbeitsplätzen", da die Gesetzesentwürfe "in den Amtsstuben des Regierungsviertels oder im Streit zwischen Bund und Ländern" unterzugehen drohten. Wenige Stunden später warf der Bundeskanzler bekanntlich seinen Finanzminister raus. Mit der glücklosen Ampel-Koalition platzte auch der Bundeshaushalt für 2025.
Seither ist ungewiss, ob die Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG), die den Ausschuss mit einigen Änderungen passiert hat, überhaupt noch im Dezember zur zweiten Lesung ins Parlament kommt. Noch unwahrscheinlicher ist, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth ihre Referentenentwürfe für Steueranreiz und Investitionsverpflichtung noch ins Kabinett der amtierenden Minderheitsregierung einbringen wird. Eine Chance auf Verabschiedung im Bundestag hätten sie wohl ohnehin nicht. Aus Sicht der Produktionswirtschaft äußerst misslich: "Es droht in der Tat ein Stillstand, wenn nicht ein Rückschritt für die deutsche Filmbranche", so Björn Böhning, Geschäftsführer der Produktionsallianz, gegenüber BR24. "Wir haben gesehen, dass das Jahr 2024 schon ein tiefes Tal für deutsche Filmproduktionen war. Viele Beschäftigte haben kein Engagement mehr gehabt, vielen Unternehmen droht die Zahlungsunfähigkeit."
Die Problemlage, die sich im Laufe des Jahres verschärft hat, ist an sich nicht ganz neu: Auf der Erlösseite haben Produzenten damit zu kämpfen, dass das Auftragsvolumen im Vergleich zu den Boomjahren eingebrochen ist, weil TV-Sender und Streaming-Anbieter ihrerseits das zurückhaltende Werbe- und Konsumklima infolge der Wirtschafts- und Energiekrise kompensieren. Auf der Ausgabenseite müssen Produzenten gleichzeitig stark gestiegene Material- und Lohnkosten infolge der Inflation sowie komplexere Finanzierungen durch höhere Zinsraten schultern. Ende 2023 gaben von den 375 Mitgliedsbetrieben der Produktionsallianz 54 Prozent an, dass sie für 2024 eine schlechte oder sehr schlechte wirtschaftliche Lage erwarteten. 39 Prozent aller Mitglieder und 44 Prozent der Fiction-Produzenten prognostizierten sinkende Umsätze fürs eigene Unternehmen. Die diesjährigen Umfragewerte, die am Freitag veröffentlicht werden, verheißen keine Entspannung.
Der Markt tritt auf der Stelle und die Abnahmefähigkeit ist begrenzt.
Moritz von Kruedener, Geschäftsführer der Beta Film
Selbst die großen Konzerne spüren die angespannte Situation in ihren Kassen. Als DWDL.de im August die CEOs der Produktionsriesen dazu befragte, gab Studio-Hamburg-Chef Johannes Züll zu Protokoll, bei den Akquisitionsbemühungen für 2025 sehe man "deutlich eine Zurückhaltung aller Nachfrager, also der Sender wie der Streamer". Beta-Film-Boss Moritz von Kruedener bekannte: "Der Markt tritt auf der Stelle und die Abnahmefähigkeit ist begrenzt. Die Kunden brauchen für ihre Entscheidungen länger." Und Leonine-Studios-CEO Fred Kogel fügte hinzu: "Die Geschäftsführer unserer Produktionsfirmen werden das Geschäft nicht wie gewohnt fortsetzen können. Jeder muss bereits heute sein Geschäft neu denken."
Wenn dann auch noch die staatliche Filmförderung infrage steht, wird es gerade für kleinere Produzenten mit geringer Kapitaldecke eng. Dabei muss man zwischen den drei verschiedenen Bausteinen der von Claudia Roth beabsichtigten Reform präzise unterscheiden. Die FFG-Novelle, die sie nach rund anderthalb Jahren vollmundiger Versprechen immerhin zur Parlamentsreife gebracht hat, sollte eigentlich zum 1. Januar in Kraft treten, weil das gegenwärtige FFG zum 31. Dezember ausläuft und ohne gesetzliche Grundlage keine Filmabgabe mehr erhoben würde. Die Förderkassen des Bundes würden dann leerlaufen und nur die Regionalförderungen der Länder übrig bleiben. Die Folge wäre mutmaßlich eine Welle von Geschäftsaufgaben und Insolvenzen, vor allem im förderintensiven Arthouse-Segment, die bislang trotz aller Härten ausgeblieben ist.
Noch verzwickter sieht es bei den anderen beiden Gesetzesvorhaben aus, die noch nicht einmal im Kabinett angelangt sind, weil Roths Behörde sie schlicht und ergreifend zu lange verschleppt hat. Vom geplanten Steueranreizmodell – 30 Prozent der förderfähigen Produktionskosten eines Films oder einer Serie sollen demnach steuerlich absetzbar werden, wie es in den meisten europäischen Ländern bereits der Fall ist – erhofft sich die heimische Produktionswirtschaft, dass weitaus mehr nationale und internationale Projekte auf deutschem Boden realisiert werden könnten, anstatt ständig gegen osteuropäische Drehorte den Kürzeren zu ziehen.
Während der Steueranreiz von allen Teilen der Branche begrüßt wird, sorgt die dritte Reformsäule – eine gesetzliche Verpflichtung von Abrufdiensten, 20 Prozent ihres in Deutschland erzielten Umsatzes wieder in europäische Produktionen zu investieren und dabei diverse Subquoten für deutschsprachige oder unabhängige Produktionen zu erfüllen – für eine tiefe Spaltung zwischen Produzenten und Verwertern. Erstere sind weitgehend dafür, letztere geschlossen dagegen. Die ARD etwa warnte im Februar vor einem "massiven Eingriff in die Rundfunkfreiheit und Programmautonomie der Sender". Der Privatfunk-Verband Vaunet kritisierte, dass eine "Investitionslenkung mit mehr Bürokratie und Überregulierung kontraproduktiv" sei und die Marktrealitäten verkenne.
Zwar ist die Hoffnung der Produzenten, ihr Auftragsvolumen mithilfe der Investitionsverpflichtung wieder steigern zu können, gerade in Krisenzeiten durchaus verständlich. Allerdings scheint fraglich, ob ein objektiver Marktbedarf nach deutlich mehr deutschen Streaming-Serien und -Filmen überhaupt besteht. Studien im Auftrag des Europarats zeigten nämlich im Frühjahr eine krasse Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage von lokalem Content: Nirgendwo in der EU sind die eigenen Programme so unbeliebt wie in Deutschland – ganze acht Prozent der Streaming-Viewtime stehen demnach 18 Prozent des verfügbaren Katalogangebots gegenüber, während amerikanische Serien und Filme hierzulande überdurchschnittlicher gestreamt werden als in jedem anderen EU-Land. Um die Krise der Produktionswirtschaft nachhaltig zu überwinden, muss also nicht bloß quantitativ, sondern auch qualitativ aufgerüstet werden.