Leise war Claus Strunz eigentlich nie – und erst recht nicht unsichtbar, auch wenn er eigentlich aus dem Print-Bereich kommt. Doch schon als Chefredakteur der "Bild am Sonntag" stand er regelmäßig vor der Kamera. Erst im "Grünen Salon", einem Polittalk, den er als Nachfolger von Erich Böhme zusammen mit der früheren Gesundheitsministerin Andrea Fischer bei ntv moderierte, später als Gastgeber von Talkshows bei N24 und Sat.1. Im Jahr 2017 war Strunz sogar einer von vier Moderatoren, die beim "TV-Duell" ihre Fragen an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Herausforderer Martin Schulz richteten.

Vor diesem Hintergrund war es eigentlich nur folgerichtig, dass Strunz einige Jahre später verantwortlich war für die TV-Ambitionen des Springer-Verlags, die vor allem der schon kurz nach Sendestart geschasste Chefredakteur Julian Reichelt forcierte. Ohne Erfolg, wie man heute weiß. Auf das schnelle Aus von Bild TV folgte einige Zeit später auch Strunz' Abgang bei Springer – nach 25 Jahren, in denen er von "Welt" über "Bild" bis hin zum "Hamburger Abendblatt" kaum eine Führungsrolle im Verlag ausließ.

"Bild TV war ein bisschen wie Bayern München in den vergangenen beiden Jahren", sagt der Anhänger des 1. FC Nürnberg heute rückblickend im Gespräch mit DWDL. "Wir wollten alles und haben zu wenig davon erreicht. Aber Bayern München ist auch nach einer schwächeren Saison immer noch Bayern München." Will heißen: "Bild" bleibt eben "Bild", so groß der Fernseh-Flop auch gewesen sein mag. Aber was ist mit Strunz? Über ein Jahr lang war es ruhig um ihn, ehe er im Herbst überraschend nicht nur zum Chefredakteur des Nachrichtenkanals Euronews ernannt wurde, sondern zusätzlich auch den CEO-Posten übernahm – Letzteres "interimistisch für mindestens sechs Monate", wie es damals hieß.

"Deutschland als Wachstumsmarkt identifiziert"

Nun, ein halbes Jahr später, ist klar: Claus Strunz bleibt dauerhaft CEO des Senders, der einst als Kooperation mehrerer europäischer Rundfunkanstalten gegründet wurde, heute einer portugiesischen Kapitelgesellschaft gehört und vor einiger Zeit Schlagzeilen damit machte, dass ein Drittel des Kaufpreises von einem staatlichen ungarischen Fonds gestammt haben soll. Wenn Euronews in den vergangenen Jahren in eigener Sache Schlagzeilen machte, dann waren es meist schlechte Nachrichten wie der Verkauf der Sendezentrale im französischen Lyon oder die Entlassung hunderter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und auf den zwischenzeitlichen Einstieg des US-Riesen NBC folgte schnell wieder Ernüchterung.

Claus Strunz und Kaja Kallas © Euronews Claus Strunz mit der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas im Euronews-Studio.

Immerhin, zuletzt es hieß es, Euronews schreibe zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder schwarze Zahlen. Eine Tatsache, die es Claus Strunz offensichtlich ermöglicht, neue Investitionen zu tätigen – allen voran in Deutschland, das in der Euronews-Welt bislang nur eine untergeordnete Rolle spielte. "Wir haben Deutschland als Wachstumsmarkt für Euronews identifiziert", sagt Strunz. "Ein so wichtiges Land in Europa muss in einem pan-europäischen Netzwerk wie Euronews sehr präsent sein." Mit bis zu acht Korrespondenten soll der Sender deshalb künftig in Berlin vertreten sein. "Da kann kaum ein internationales Medium mithalten", betont der CEO.

Gerade erst hat Strunz die Journalistin Zara Riffler verpflichtet, die lange für "Welt" und "Bild" arbeitete. Zusammen mit Liv Stroud habe man in der Berliner Redaktion damit nun schon zwei Korrespondentinnen, "die ausschließlich Original-Content schaffen", sagt Strunz. Das ist auch deshalb ungewöhnlich für Euronews, weil das Team noch immer vorwiegend aus Journalisten besteht, die das Programm in deutsche Sprache übersetzen. Das will der neue Chef jedoch ändern und viele Übersetzungsaufgaben stattdessen die KI erledigen lassen, "sodass immer mehr Kollegen frei werden, um als echte Korrespondenten zu arbeiten". Erst in Deutschland, später auch in anderen europäischen Hauptstädten. "Berlin dient dafür als Rolemodel", so Strunz.

Zara Rifflers Wechsel zu Euronews kommt gleichwohl überraschend, schließlich war sie nach ihrem Abschied von Springer zuletzt für Julian Reichelts Schreihals-Portal "Nius" tätig, dessen Ausrichtung nicht so recht passen will zu dem, was sich Claus Strunz für Euronews vorgenommen hat. "Ich bin überzeugt, dass wir eine Marktlücke im Journalismus entdeckt haben", sagt er zu DWDL, "und zwar kurioserweise eine, die es gar nicht geben dürfte: Neutralität." Eine Frau von "Nius" zu verpflichten, um die neutrale Berichterstattung zu stärken – darauf muss man erstmal kommen. Strunz verweist jedoch auf eine Verfassung von Euronews, die Neutralität "als höchstes Gut" benenne. Gleichzeitig räumt er jedoch ein, dass es einhundertprozenzige Neutralität im Journalismus "natürlich nie" geben könne, "weil er von Menschen gemacht wird – mit all ihren kulturellen und sozialen Backgrounds und den daraus resultierenden Blicken auf die Welt".

Boulevardisierung der Medienlandschaft

Fragt man ihn nach dem Reiz der Aufgabe, verweist Strunz darauf, das Publikum "mit einer faktenorientierten, neutralen Berichterstattung in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu den relevanten Fragen in Europa und der Welt zu bilden". Das sei "gerade in einer ansonsten komplett polarisierten Zeit sehr wichtig, in der viele Medien einem politischen Lager, meistens dem linken, nahe stehen". "In Wahrheit", fügt er noch hinzu, "hat sich doch die gesamte Medienlandschaft boulevardisiert, schreit, spitzt zu, grenzt aus."

Das klingt nach einem hehren Ziel – wüsste man nicht, dass Claus Strunz über ein Vierteljahrhundert bei Springer hinweg selbst ein Stück weit zu besagter Boulevardisierung beigetragen hat, die er nun kritisiert. Strunz wiegelt ab: "Ich habe mit meiner pointierten Art der Kommentierung in der Vergangenheit womöglich bei vielen Kritikern den Eindruck erzeugt, ich fühlte mich nur einer Seite verpflichtet", sagt er. "Dieser Eindruck ist falsch und hat vor allem etwas mit der eigenen politischen Einstellung der Kritiker zu tun. Ich habe nur schon sehr früh in klarer Sprache auf Sachverhalte hingewiesen, die von anderen Medien und den meisten Politikern viel zu lange ignoriert oder ausgegrenzt wurden."

Doch wie will Euronews mit dem ausgerufenen Konzept künftig überhaupt auffallen in einer Medienwelt, die immer lauter und schriller wird? "Dass neutrale Informationen oft nicht durchdringen, liegt auch daran, dass sie langweilig präsentiert werden", findet Strunz. "Das wollen wir besser machen. Würden wir nicht mehr davon überzeugt sein, dass ein großes Publikum den Wert von neutralen Nachrichten schätzt, könnten wir gleich das Ende des Journalismus ausrufen und uns einer Partei oder irgendwelchen Aktivisten anschließen."

Die Aufgabe ist freilich gewaltig – nicht zuletzt in Deutschland, wo die Wahrnehmung von Euronews noch geringer ist als seinerzeit jene von Bild TV. Claus Strunz gibt sich dennoch optimistisch, verweist auf 82 Prozent der Europäer, die Zugang zu dem Programm hätten. "Wer sich bei Euronews äußert, erreicht potenziell 400 Millionen Haushalte in 160 Ländern auf allen Plattformen", sagt er im Gespräch mit DWDL und ist überzeugt: "Hier erreichen Botschaften - journalistische und werbliche - die Entscheider in Brüssel und die Bürger Europas." Große Worte über einen kleinen Sender. Und so scheint vor allem eines gewiss: Leise will Claus Strunz auch in seinem neuen Job nicht sein.