Zurück auf Wachstumskurs – danach sah es vor einem Jahr aus. Mit klugen Programmentscheidungen sorgte Inga Leschek damals dafür, dass RTL verlorengegangene Marktanteile zurückerobern und den Sinkflug der vergangenen Jahres hinter sich lassen konnte. So sollte es eigentlich weitergehen, erst recht nach der Verpflichtung von Stefan Raab, dem nach Lescheks Aussagen "smartesten Deal [ihres] Lebens". Und Raab lieferte dann auch prompt: Mehr als acht Millionen sahen in der Spitze seinen Comeback-Boxkampf gegen Regina Halmich, was das Live-Event im Herbst nach dem Eurovision Song Contest zur erfolgreichsten Show des Jahres machte.

Wie smart der Deal wirklich war, wird sich freilich erst in einigen Jahren vollständig beurteilen lassen. Doch schon jetzt zeichnet sich eine erste Ernüchterung ab. Fast auf den Tag genau zehn Jahre nachdem Raab seinen Rückzug aus dem Fernsehen ankündigte, ist seine neue wöchentliche Show "Du gewinnst hier nicht die Million" – gewissermaßen das Herzstück des Vertrags – schon wieder Geschichte. Mag sein, dass Stefan Raab viele neue Abonnenten zu RTL+ brachte, doch im linearen Programm wollten zuletzt weit weniger als eine Million Menschen sehen, wie sich der Altmeister in der etwas ungelenken Mischung aus Comedy- und Quizshow schlug. Reichweiten, die man schon seit einiger Zeit vermehrt von der privaten Konkurrenz gewohnt war, nicht aber vom Marktführer in der Zielgruppe.

Die Spitzenposition hielt der Kölner Sender übrigens auch in der nun zu Ende gegangenen Saison – zumindest bei den 14- bis 49-Jährigen, wo man allerdings in sieben von neun Monaten unter dem jeweiligen Vorjahreswert landete. In der erweiterten Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen blieb RTL hingegen vom selbstgesteckten Ziel dauerhaft zweistelliger Marktanteile weit zurück und musste stattdessen fast durchweg den Öffentlich-Rechtlichen den Vortritt lassen. Im Mai lag RTL etwa bei 8,3 Prozent, während ARD und ZDF jeweils nur knapp die Marke von zehn Prozent verpassten. Keine Frage, es war ein verflixtes Jahr für Leschek und RTL.

Tatsächlich ist bislang nicht alles schlecht gelaufen beim viel besprochenen Raab-Deal. Allen voran mit Blick auf den Eurovision Song Contest, bei dem RTL dank Stefan Raab gemeinsame Sache mit der ARD machte – was dem Privatsender drei erfolgreiche Vorentscheid-Shows einbrachte. Auch Raabs gemeinsame Show mit Bully erzielte gute bis sehr gute Quoten, und "Eltons 12" konnte sich nach verhaltenem Start kontinuierlich steigern, auch wenn das Format weiter klar schlechter performt als die Spielshow "Schlag den Besten", die RTL zugunsten des Neustarts nach nur einer Staffel wieder beendete. Schon dieses Beispiel zeigt, dass Raab längst kein Selbstläufer ist und er gut beraten wäre, zur Abwechslung vielleicht auch einmal etwas wirklich Neues zu erfinden anstatt immerzu alte Ideen zu recyclen.

Spardruck macht sich bemerkbar

Frische Ideen kann RTL jedenfalls gut gebrauchen, weil zwar Dauerbrenner wie "Bauer sucht Frau", "Let's Dance", "Wer wird Millionär?" oder "Ninja Warrior" nach wie vor gut performen, gleichzeitig aber selbst lange sicher geglaubte Säulen zunehmend wegbrechen – so wie die Castingshows "DSDS" und "Supertalent", die man vor dem Hintergrund des anhaltenden Kostendrucks wohl auch ein Stück weit kaputt gespart hat. Auch der Versuch, neue Quizshows am Montagabend zu etablieren, mit denen in Zukunft die Jauch-freien Wochen überbrückt werden könnten, wollte zuletzt noch nicht aufgehen.

Dazu kommt, dass es RTL bislang nicht gelungen ist, eine lineare Antwort auf den sich zunehmend ins Streaming verlagernde Reality-Trend zu finden: Der "Golden Bachelor" musste das Feld vorzeitig räumen und den "Verrätern" gelang selbst mit Unterstützung der kompletten "Let's Dance"-Jury auch in der dritten Staffel nicht der absolute Durchbruch. Immerhin: Das Experiment, das Dschungelcamp auf 20:15 Uhr nach vorne zu verlegen, ging zu Jahresbeginn vollständig auf – mit dem aus finanzieller Sicht für RTL höchst willkommenen Nebeneffekt, dass man sich während dieser Zeit zusätzliche teure Programme sparen konnte, die sonst zu Beginn des Abends gelaufen wären. Schon die im Herbst ebenfalls in der Primetime ausgestrahlte "Legenden"-Staffel von "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" erwies sich als schöner Erfolg für den Sender.

Als Erfolg kann man in Köln zudem den "tödlichen Dienst-Tag" verbuchen, der – mit Abstufungen – verlässlich rund drei Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor den Fernseher lockt. Mit dem "Alpentod" und Veronica Ferres in der Hauptrolle gelang es außerdem, eine weitere Reihe zu etablieren. Im Gegenzug wollte mit "Alarm für Cobra 11" allerdings ein echter Serienklassiker diesmal nicht so recht zünden. Als Vorbild für die Zukunft könnte sich indes ein Fiction-Testlauf erweisen, an dem sich RTL gerade erst probierte: Mit einem zweistündigen Primetime-Ausflug von Richterin Barbara Salesch konnte der Sender überzeugende Quoten verbuchen – auch mit Blick auf die Produktionskosten, die deutlich unter denen klassischer Krimi-Produktionen gelegen haben dürften, wird man in der Sendezentrale ganz genau hingeschaut haben.

Und nun? Hinsichtlich der kommenden Saison dürfte das RTL-Team um Inga Leschek neben frischen Ideen von Stefan Raab auch auf eine Steigerung der Marktanteile am späten Abend hoffen, wo künftig "RTL Direkt" als Bremsklotz des Audience Flows wegfallen wird. Hoffnungen legt der Sender aber auch in die NFL, die zuletzt über weite Strecken auf überschaubares Interesse stieß, sowie die 2. Bundesliga, deren Topspiel bald vermehrt im Hauptprogramm andocken soll. Ohne den 1. FC Köln und den HSV wird das Unterfangen aber sicher ein ganzes Stück herausfordernder als erhofft, nachdem sich schon die Europa League in der zurückliegenden Saison ohne namhafte Zugpferde bedeutend schwerer tat, große Erfolge zu feiern. Die aber wären dringend nötig, um diese aus Quotensicht sehr durchwachsene Saison möglichst schnell vergessen zu machen.