Kein fiktionales Genre verzeichnete in den vergangenen sechs Jahren in den westeuropäischen Märkten einen so stetigen Anstieg wie Krimiserien. Das ist das Ergebnis einer Auswertung der Marktbeobachter von TheWit, in Cuenca bei der Conecta vorgestellt von Caroline Servy. Wobei es in Abgrenzung zu Thrillern hier um klassische Ermittlerserien mit dem „Fall der Woche“ geht. 22 Prozent der fiktionalen Serien in Westeuropa kamen laut Messungen von TheWit in der vergangenen TV-Saison 2024/25 aus diesem Genre. Vor drei Jahren waren es 16 Prozent, vor sechs Jahren nur 13 Prozent. Damit liegen Ermittlerserien jetzt gleichauf mit Comedy-Serien.

Und es ist eigentlich nicht verwunderlich: Procedurals sorgen in der Regel für ein Happy End, weil der Gerechtigkeit in netto 45 Minuten genüge getan wurde - und das Böse überführt ist. In einer Welt mit lauter unüberschaubaren und andauernden Konflikten ist das zur Abwechslung ein beruhigender, befriedigender Abschluss für einen TV-Abend auf dem Sofa. Weiterer Effekt: Immer mehr Streamingdienst entdecken den Mainstream, bedienen zusätzlich das ohnehin schon linear stark bediente Genre. 

Diese Renaissance der Ermittlerserien spiegelt sich auch im deutschen Markt: ARD & ZDF haben sie bekanntlich nie aufgegeben, RTL hat den „Tödichen Dienst-Tag“ mit diversen Reihen neu eingeführt und bei Sat.1 holt man bekanntlich in der kommenden Saison „Der letzte Bulle“ und „Kommissar Rex“ zurück. Der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus, den eine Konferenz wie Conecta in Spanien ermöglicht, zeigt aber auch: Frankreich macht Deutschland den Titel als Krimi-Nation streitig.

Ermittler-Boom auf Kosten verfilmter Thriller-Bestseller

Insights in andere Märkte stehen im Mittelpunkt der jährlich durch spanische Regionen wandernde Konferenz, die dieses Jahr als Fokus-Länder neben Kanada auch besonders die Nachbarn aus Frankreich in den Blick nimmt. Und eine der präsentierten Auswertungen der Marktbeobachter von Glance am ersten Tag in Cuenca war deutlich: Neun der zehn erfolgreichsten Primetime-Serien Frankreichs in der vergangenen Saison waren Krimis. Nicht nur die Deutschen sehen sich also mit einem Seufzen den Krimis verfallen. 

Glance at Conecta © DWDL.de Siméon Mirzayantz von Glance präsentierte Insights zum französischen TV-Markt

Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt in dem wir unseren Nachbarn ähnlicher sein als manche/r denkt: Auch bei der im internationalen Vergleich immer noch hohen linearen TV-Nutzung ähneln sich Deutschland und Frankreich. Anders als etwa in den USA, wo die Streamimgnutzung nach neuesten Nielsen-Daten erstmals an der Nutzung des linearen TVs vorbeigezogen ist. Es gehört zu den erfrischenden Vorteilen der Conecta, dass hier über den anglo-amerikanischen Raum hinaus geschaut wird, denn nicht alle Trends sind global zu diskutieren. Die Nuancen werden bei den vorgelegten Fakten und geführten Diskussionen in Cuenca deutlich.

Doch noch einmal zurück zu den fiktionalen Genres, wo übrigens Drama-Serien immer noch die Spitzenposition verteidigen. Der Boom der Ermittler-Serien hat dafür eher Auswirkungen auf das verwandte Genre der Thriller, meist serviert in Form von Miniserien mit vier, sechs oder acht Folgen. Mal aus Überzeugung, mal aus Risikominimierung waren es in den vergangenen Jahren meist verfilmte Buchvorlagen. Doch das Genre hat laut den in Cuenca vorgelegten Daten seinen Peak in der späten Phase der Corona-Pandemie. 

Warum? Eine mögliche Deutung: Diese Programme wurden beauftragt während der Pandemie, wo einerseits das Publikum oftmals noch mehr Zeit hatte und sich auf längere Stoffe einließ - und gleichzeitig herrschte oftmals Langeweile aufgrund limitierter Freizeitmöglichkeiten, so dass das Eintauchen in länger erzählte Kriminalstorys eine willkommene Abwechslung war. Dazu nimmt der Marketing-Wert einer „Bestseller“-Verfilmung nach gefühlt hunderten „Bestseller“-Verfilmungen eben auch ab.

Conecta Cuenca © DWDL.de Ort der diesjährigen Conecta: Das Teatro Auditorio José Luis Perales in Cuenca, 120km östlich von Madrid

Doch während Thriller sich also etwas schwerer tun, bleibt der Trend zur Verfilmung von Buchvorlagen in Europa dennoch größer als in anderen Regionen der Welt, analysiert TheWit. Es werden nur eben andere Bucherfolge ins Visier genommen und verfilmt. Ein prominentes Beispiel aus Deutschland wäre „Maxton Hall“ basierend auf der Buchreihe „Save“ von Mona Kasten. Die UFA-Produktion für Prime Video stützt eine These, die sich nach all den Vorträgen und Diskussionen am ersten Tag der Conecta-Konferenz in Cuenca herauskristallisiert.

Abseits von Crime gilt: Go short - or go soap

Abseits von Crime gilt: Go short - or go soap! Das eine davon steht kaum auf dem Programmplan, ist aber in fast jeder Unterhaltung ein Thema, teils verwundert, teils fasziniert: Fiktionaler Shortform-Content für TikTok oder Insta Reels. Ein Geschäftsfeld, dass aus Korea und der Türkei längst nach Westeuropa geschwappt ist. Es ist, könnte man sagen, der moderne Groschenroman im Hochkantformat. Das Geschäftsmodell auf Social-Plattformen mit dem Gratis-Einstieg und dann kostenpflichtiger Fortsetzung ist dabei raffinierter als viele der Schauspielleistungen.

„Go soap“ war schon bei der Conecta im vergangenen Jahr ein großes Thema und diesmal erneut, nicht nur weil Disney+ in Spanien in der Zwischenzeit eine werktägliche Telenovela („Return to Las Sabinas“) mit immerhin 70 Folgen gestartet hat. Auch in Deutschland suchen die Streamer erklärtermaßen nach Mainstream-Programmen. „Die Königsdisziplin wäre eine langlaufende Serie, bei der wir mit unseren Mitgliedern den nächsten Staffeln entgegenfiebern“, sagte die deutsche Netflix-Chefin Katja Hofem schon vor einiger Zeit im DWDL-Interview. „Natürlich ist das dementsprechend auch auf meinem Wunschzettel, also Serien mit einem auch etwas soapigen Charakter.“

Doch ist die Miniserie damit gar nicht mehr gefragt? Mitnichten, weil sowohl für Plattformen und Sender wie auch Produktionshäuser in kniffligen Zeiten eins noch viel wichtiger ist als jeder Genre-Trend: Möglichst effizient und kostensparend Programm bekommen. Und Miniserien sind für Koproduktionen über Grenzen hinweg eben die ideale Form - mit begrenztem Risiko und Umfang. Und eine europäische Konferenz wie Cuenca lebt von schließlich von einem fast mantra-artigen Glauben daran. Eine leider nicht identifizierbare spanische Teilnehmerin der Konferenz ließ beim BBQ-Lunch am Nebentisch nur den schönen Satz fallen: "Vielleicht muss ja nur nicht immer jemand sterben."