Die "Bild" ist trotz des bestehenden Boykotts doch auf TikTok vertreten? Man könnte zumindest den Eindruck gewinnen, denn auf der Kurzvideoplattform sind zahlreiche Accounts zu finden, die sich mit Logo und Webinhalten als die offizielle Marke ausgeben – sie werden aber nicht von Springer betrieben. Der erfolgreichste Fake verzeichnet aktuell immerhin 10.700 Follower.
Für Medienunternehmen ist das kein Einzelfall: Sucht man nach beliebten Publisher-Accounts, trifft man schnell auf zahlreiche Nachahmungen. So auch beispielsweise beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Dachmarken wie BR oder WDR, die offiziell ebenfalls nicht auf TikTok stattfinden. Dennoch stoßt man auch hier auf inoffizielle Konten in beachtlicher Größenordnung zwischen 11.400 und 13.600 Followern. Gleiches gilt für ProSieben-Kopien, die es sogar auf bis zu 45.900 Follower bringen. Auch "Tagesschau"-Nachahmungen mit über 11.000 Followern, ein "Stern TV"-Double (27.600 Follower) und Spiegel-Fälschung (18.900 Follower) sind auf der Plattform vertreten.
Wer interaktionsstarke Inhalte auf sozialen Plattformen veröffentlicht, kann folglich fest davon ausgehen, dass die eigenen Videos vervielfältigt werden. Der Mechanismus: Unzählige anonyme Accounts kuratieren die erfolgreichsten Beiträge, laden sie über externe Dienste herunter und veröffentlichen die Duplikate auf ihren eigenen Konten erneut.
Grund dafür sind in erster Linie die Strukturen der Plattformen: Auf Kurzvideoplattformen wie TikTok und Instagram werden innerhalb der Startseite zunächst nur Logo und Anzeigename ausgespielt. Diese können frei gewählt werden. Ob sich dahinter die seriöse Marke mit offiziellem Handle verbirgt, ist erst mit einem Klick auf das Profil wirklich ersichtlich. Bedienen sich die Fake-Accounts an den Originalinhalten, entsteht schnell der Eindruck einer validen Internetpräsenz. Wie hier:
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Veröffentlichung von @tagesschau.news und dem Anzeigenamen “tagesschauu” sowie das Markenlogo. Der Account hat 2.400 Follower. Größere Accounts wurden nach einer Anfrage durch DWDL.de bereits entfernt.
Es ist keine Überraschung: Mit den geklauten Inhalten lässt sich Geld verdienen. Allerdings müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Auf TikTok sind es beispielsweise 10.000 Follower. Gefordert werden außerdem Inhalte mit einer Länge von mehr als einer Minute sowie über 100.000 Aufrufe innerhalb der letzten 30 Tage. Um diese Parameter zu erfüllen, greifen viele Scharlatane auf die beliebten Publisher-Inhalte zurück, die durch Qualität und Relevanz überzeugen.
Aber warum können die Doubles so lange bestehen? Eine enorme Hürde für die Identifikation durch Plattformen liegt in der Adaption von geklauten Inhalten. Denn in den meisten Fällen werden Logos innerhalb der Videos und Markennennungen am Anfang oder Ende weggeschnitten. Die größte Veränderung besteht jedoch in der Integration visueller Effekte, die augenscheinlich die Urheberrechtsprüfung aushebeln. Das Resultat sind Darstellungen wie diese kopierte Reportagen von oftmals automatisierten Fake-Accounts:
Gleichzeitig stellen Social-Media-Dienste nicht die notwendigen Ressourcen bereit und verkomplizieren Meldewege, um geklaute Inhalte zu identifizieren und bei mehrfacher Nachahmung adäquat zu reagieren. So werden Anzeigen grundsätzlich zuerst von einer Künstlichen Intelligenz geprüft, die erfahrungsgemäß kaum anschlägt. DWDL.de verrät jedoch ein kleines Geheimnis - mit diesem Trick gelangt man direkt an die zuständige Abteilung:
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Einige Institutionen gehen inzwischen gegen die illegale Verwendung vor. Auf DWDL.de-Anfrage bestätigt der Norddeutsche Rundfunk, dass derartige Auseinandersetzungen zur Tagesordnung gehören: "Die Verwendung des markenrechtlich geschützten Logos der 'Tagesschau' stellt eine Markenverletzung und gleichzeitig eine wettbewerbsrechtliche Herkunftstäuschung dar", so eine NDR-Sprecherin. Die Realität zeige jedoch, dass "die Urheber besagter Seiten in der Regel nur schwer festzustellen" sind.
Bei Axel Springer heißt es auf Anfrage: "Die gefälschten Accounts, auf die Sie uns hingewiesen haben, waren uns bislang nicht bekannt", so eine "Bild"-Sprecherin. Gleichzeitig weist das Medienhaus erneut auf die Abhängigkeit von Social-Media-Diensten hin: "Aufgrund der Anonymität der Kanalbetreiber – was die Durchsetzung rechtlicher Mittel erschwert – sind wir dabei auch auf die Kooperation und Meldeprozesse der Plattformen angewiesen."
Einen Zauberschutz für die eigenen Inhalte gibt es nicht. Jedoch können Medienmarken darauf achten, ihre Produktionen so zu gestalten, dass der Ursprung trotz Adaption weiterhin erkennbar bleibt. Statt einfacher Intros und Outros oder der Platzierung eines Logos in der Ecke müssen durchweg eindeutige Referenzen verankert sein. Denn: Zweckentfremdete Videos werden auch in Zukunft ihren Weg auf die Plattformen finden. Anstatt aufzugeben und wegzuschauen, sollten Publisher ihre Duplikate entweder dauerhaft monitoren und melden oder die zusätzliche Ausspielung annehmen und die resultierende Aufmerksamkeit für sich nutzen.