Kurzvideoplattformen wie Instagram und TikTok spielen nach ihren eigenen Regeln. Marken befinden sich im Zugzwang der wechselnden Vorgaben, zuletzt erneut am Verbot politischer Inhalte auf Meta-Diensten und der daraus folgenden Herausforderung für Multiplikatoren zu merken. Die Rahmenbedingungen greifen tief und verändern die Art, wie wir Journalismus kreieren und erleben.  

Denn der Einfluss auf Inhalte besteht vehement: Wer im sozialen Kosmos erfolgreich sein will, muss die Mechanismen der Plattformen verstehen und sich ihnen beugen. C.W. Anderson, Professor für Medien und Kommunikation, formte daraus den Begriff des „Entertainment-Journalismus”. So werden klassische Beiträge in neue Formen gegossen, um den Parametern des Algorithmus von Social-Media-Diensten zu entsprechen – sie sind konstant lauter, schneller und reißerischer auf Kosten der Informationsdichte. Aber wie viel Qualität geht wirklich verloren?

Tagebuchstudie der LfM © LfM Auszug aus der Tagebuchstudie der Landesanstalt für Medien NRW: Vor- und Nachteile politischer Beiträge aus Sicht der Befragten.

„Auf der einen Seite besteht der Wunsch nach Seriosität, objektiven Informationen, Tiefe und transparenten Quellenangaben auf TikTok und Instagram.”, beschreibt die Landesanstalt für Medien NRW den Sachverhalt in ihrer Tagebuchstudie. “Auf der anderen Seite fordern junge Menschen von den politischen Beiträgen einen hohen Unterhaltungswert, da die Nutzung von sozialen Medien zu politischen Informationen in erster Linie als Freizeitaktivität wahrgenommen wird. Lange und komplexe Beiträge werden schnell als langweilig empfunden, während kurze und spannende Inhalte bevorzugt konsumiert werden.“  Wer hätte es ahnen können: Dieses Spannungsfeld wird von der Zielgruppe jedoch kaum bis gar nicht bewusst wahrgenommen und ist auf alle Contentformen, unabhängig von der thematischen Ausrichtung, übertragbar.

Die Antwort der Branche: Formate in Form des „Trojanischen Journalismus”. So entstehen inhaltliche Trends, Spiele oder Challenges, die fundierte Grundlagen wie recherchierte Fakten und gesellschaftlich relevante Themen beinhalten. In erster Linie werden die Videos jedoch nicht wie journalistische Werke, sondern als Unterhaltungsmedien wahrgenommen, die den Ansprüchen der Community nach belangloser Beschallung gerecht werden. 

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Die Deutsche Welle ist Teil des internationalen Netzwerks ENTR. Auf dem Kanal “Staatenraten” setzt die Vereinigung verschiedene Unterhaltungsformate mit journalistischen Ansprüchen um. 

Wie viel handwerkliche Tiefe übrig bleibt, haben die Technische Hochschule Köln und die Westfälische Hochschule untersucht. In ihrer Studie wurden öffentlich-rechtliche und private Medienhäuser gegenübergestellt und auf Themenauswahl und Qualitätsmanagement bei der Inhaltserstellung überprüft. Daraus ergeben sich klare Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Nach eigenen Aussagen haben alle Marken ein ähnliches Verständnis von journalistischen Standards und geben verschiedene Qualitätssicherungsmaßnahmen wie die Relevanz bei der Auswahl von Themen oder Genauigkeit bei der Recherche von Quellen an. Vor allem die thematische Ausrichtung bereitet allen Verantwortlichen Bauchschmerzen: So befürchten sie Reglementierungen wie reichweitensensitive Drosselung oder moderative Eingriffe. 

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Daraus ergeben sich unterschiedliche Strategien und ein erster Bruch zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Angeboten: Während kommerzielle Medienhäuser user-orientierte Beiträge forcieren und sich damit stärker den Wünschen des Publikums und der Plattform angleichen, wählen staatlich finanzierte Programme vermehrt informationsorientierte Ansätze, die ein breites Spektrum abdecken müssen. Begründet wird dies mit dem allgemeinen Informationsauftrag. Im Kontext des zuvor genannten Shadowbanns sorgt die vielfältige Berichterstattung jedoch gleichzeitig häufiger für Probleme.

  simpel   komplex  
Medium / Qualität Inhaltsadaption Individualfreigabe Mehrfachfreigabe Strukturierter Ablauf
öffentlich-rechtlich
(n = 12)
2 1 11 11
privat
(n = 10)
6 5 5 0

Überraschend: 60 Prozent der privaten Angebote adaptieren bereits bestehendes Material und veröffentlichen dieses erneut. Im Gegensatz dazu tut dies nur ein kleiner Bruchteil der öffentlich-rechtlichen Medien. Hier findet die Inhaltserstellung deutlich nativer statt. Sehr eindeutig ist auch die Bilanz der Mehrfachfreigaben und etablierten Workflows, die bei staatlichen Quellen bis auf eine Nennung nahezu uniform umgesetzt werden. Nur die Hälfte der privaten Berichterstattung wird mehrfach gecheckt, 50 Prozent führen weiterhin das Vieraugenprinzip. Strukturierte Abläufe finden hier zusätzlich gar keinen Anklang.

Die Auswertung legt nahe, dass private Medienhäuser durch einfachere Freigabewege, nutzungsorientierte Themenwahl und häufigere Inhaltsadaptionen  im Vorteil wären. Gleichzeitig zeigen die TikTok-News-Charts regelmäßig, dass öffentlich-rechtliche Angebote dauerhaft im Ranking vertreten sind, oft sogar dominieren. Für Instagram und TikTok bedeutet das: Es kommt auf die individuelle Umsetzung jedes Videos an. 

Für Medien ergibt sich grundsätzlich eine Selbsterklärung. Denn: Je stärker die Unterhaltungsanteile mit dramatischen Einstiegen und steilen Erzählkurven von Kurzvideos vertreten sind, desto höher fällt für gewöhnlich die Reichweite aus. Die Schwierigkeit besteht im Spagat zwischen dem kommerziellen Leistungsdruck und der qualitativen Sorgfalt. Abzuwarten bleibt, wann sich Medien von den algorithmisch Getriebenen zu den inhaltlichen Treibern weiterentwickeln.