
Allen voran der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) positionierte sich schon vor Wochen klar gegen die Übernahme. Es bestehe die Gefahr, dass die deutschen Sendern auf "populistische Berlusconi-Linie" getrimmt würden, hieß es. Und als sich abzeichnete, dass MFE die Mehrheit an ProSiebenSat.1 bekommen wird, nannte man das "bedauerlich". Aber auch auf den höchsten Ebenen der Politik ist die Übernahme genau beobachtet worden. Kultur- und Medienstaatsminister Wolfram Weimer mahnte, dass die journalistische Unabhängigkeit bestehen bleiben müsse. Weimer forderte außerdem eine Standortgarantie und empfing MFE-Boss Pier Silvio Berlusconi, Sohn des 2023 verstorbenen Firmenpatriarchen Silvio Berlusconi, im Kanzleramt.
Die latente Angst vieler Branchenbeobachter rund um die Übernahme ist schwer zu greifen. DWDL.de hat in den zurückliegenden Tagen und Wochen mit vielen Experten gesprochen, die in der Branche arbeiten und auch den italienischen und spanischen Markt gut kennen. Für sie steht fest: Die Angst ist vor allem eine abstrakte. Und das allen voran wegen des Namens "Berlusconi".
Bunga Bunga hallt bis heute nach
Vor allem der Name Silvio Berlusconi schreckt hierzulande noch immer viele Menschen auf. Das Wirken des 2023 verstorbenen Berlusconi war aus mehreren Gründen problematisch. Der "Cavaliere", wie er oft auch genannt wurde, war zunächst nur einflussreicher Medienmanager, ging dann aber auch in die Politik und war auch lange Ministerpräsident. In dieser Zeit sorgte er für mehrere Kontroversen: Kritiker warfen ihm vor, durch Justizreformen sich oder Freunde vor Ermittlungen und Strafverfahren schützen zu wollen. Durch den starken Einfluss der Regierung auf die öffentlich-rechtliche RAI stand ein Großteil des TV-Marktes unter der Kontrolle von Berlusconi, auf die Mediaset-Sender hatte Berlusconi ohnehin Zugriff. Immer wieder kam es zu offensichtlichen Interessenkonflikten zwischen dem Medienmanager Berlusconi auf der einen und dem Politiker Berlusconi auf der anderen Seite.

Hinzu kamen die inzwischen legendären Bunga-Bunga-Partys und die offensichtliche Freundschaft zwischen Berlusconi und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Es gibt aber durchaus auch eine andere Seite: Silvio Berlusconi gilt als ein Erfinder des europäischen Privatfernsehens in seiner heutigen Form. Also ein Fernsehen, das die Unterhaltung in den Mittelpunkt stellt. Das war und ist nicht immer niveauvoll, der unternehmerische Erfolg gab Berlusconi jedoch lange recht.
Nun ist Silvio Berlusconi seit mehr als zwei Jahren tot, das Medienimperium wird von seinem Sohn Pier Silvio geführt. Der hat, anders als sein Vater, bislang keine politischen Ambitionen gezeigt. Im Gegenteil: Im Gespräch mit DWDL.de bestätigen mehrere Kenner der Branche, dass Pier Silvio Berlusconi in erster Linie ein Unternehmer ist, der seine Sender weniger als politisches Sprachrohr versteht, sondern als Möglichkeit, um Geld zu verdienen. "MFE will unterhalten und Werbung verkaufen", sagt ein Experte. Und: Wenn es ein wirtschaftliches Rekordjahr und eine wichtige Auszeichnung gegeben habe, sei immer klar gewesen, was der Unternehmensführung wichtiger gewesen ist: Das Geld. Das war schon immer so. Bei MFE gelten, anders als in Deutschland, die Werbezeitenverkäufer als Könige des Unternehmens.
Es geht vor allem ums Geld
"Das sind seriöse Geschäftsmänner", urteilt ein anderer Branchenbeobachter über das aktuelle MFE-Management, der sich ärgert, dass in Deutschland noch immer viele glauben, beim italienischen Medienkonzern würden verrückte Politiker agieren, die auch heute noch Bunga-Bunga-Partys feiern. Von Pier Silvio Berlusconi sind solche Eskapaden ohnehin nicht bekannt. Die fehlenden politischen Ambitionen des starken Mannes bei MFE sind auch deshalb erwähnenswert, weil die von seinem Vater gegründete Partei Forza Italia auch heute noch am finanziellen Tropf der Familie hängt. Die Partei steckt zudem in einer Identitätskrise. Wenn Pier Silvio und seine Geschwister wollen würden, könnten sie die Partei wohl einfach nach eigenen Vorstellungen umformen. Zumindest bislang ist das nicht passiert.
Pier Silvio Berlusconi und Media for Europe ging und geht es also vor allem ums Geld. Und die Vermutung liegt nahe, dass das auch bei der Übernahme von ProSiebenSat.1 so ist. MFE hat sich mit dieser Übernahme bekanntlich viel Zeit gelassen und wollte auch am Ende immer nur das absolute Minimum zahlen. Die Strategie ist aufgegangen: Man konnte ProSiebenSat.1 einigermaßen günstig erwerben und hat nun Zugriff auf einen der wichtigsten Werbemärkte in Europa.
Dass die Werbeeinnahmen aber nur sprudeln, wenn man ein gutes Programm hat, wissen sie auch in Mailand. Nicht umsonst kündigte Pier Silvio Berlusconi nach dem Besuch bei Wolfram Weimer an, nicht nur die journalistische Freiheit von ProSiebenSat.1 wahren zu wollen, sondern auch ein "lokaleres Angebot" bieten zu wollen. Man wolle "mehr Nachrichten, mehr Unterhaltungssendungen und mehr Fernsehserien – und im Laufe der Zeit weniger zugekauften Formaten". Das sind eher nicht die Worte eines Finanzhais oder einer Person, die einen Sender stramm auf seine eigene, politische Linie bringen will.
Türkische Telenovelas größter Eingriff ins Programm
In Italien und Spanien ist Pier Silvio Berlusconi bislang jedenfalls nicht mit Eingriffen ins Programm aufgefallen, die nahelegen würden, er wollte die Sender politisch färben. Über eine Ausnahme berichtete vor einiger Zeit jedoch die italienische Tageszeitung "Il Messaggero". Dort hieß es, Pier Silvio Berlusconi habe seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen, türkische Telenovelas zu kaufen und auf der eigenen Streamingplattform verfügbar zu machen. Der Grund: Seine Mutter soll diese Serien besonders gerne schauen.
Sollten sich die Eingriffe von Berlusconi bei ProSiebenSat.1 auf diesem Niveau bewegen, muss in Unterföhring und Berlin niemand Angst haben um die Unabhängigkeit der deutschen Sendergruppe. Eins steht jedenfalls auch jetzt schon fest: Pier Silvio Berlusconi ist nicht wie sein Vater. Der "Cavaliere" hat die Deutschen aber sehr geprägt - und das vor allem im negativen Sinne. Das muss sein Sohn nun ausbaden. Bislang fährt der aber eine erkennbare andere Linie.
In den kommenden Tagen geht es in unserer Wochenserie MFE x PS71 u.a. um die Frage, wie MFE eigentlich in Italien und Spanien aufgestellt ist - und was sich daraus möglicherweise für den Einstieg in Deutschland ableiten lässt.