Im Internet ergibt Vieles keinen Sinn. So wurde dieses Jahr beispielsweise von "Brainrot"-Trendwellen geprägt, die globale Aufmerksamkeit für Inhalte hervorbrachten – ohne wirklichen Mehrwert zu schaffen. Sich jedoch nur über sinnbefreite KI-Videos aufzuregen, wäre zu einfach. Schließlich werden gleichzeitig Millionen von Menschen von den vergleichbar harmlosen Plattformbewegungen unterhalten.

Wer sich allerdings wirklich mit den inhaltlichen Strukturen von Social-Media-Diensten befasst, weiß: Nicht jeder Trend sollte wirklich so viel Aufmerksamkeit erhalten. Die Algorithmen der Kurzvideoplattformen verstärken, was Emotionen triggert und Interaktion beflügelt. Am Ende des Jahres folgt deswegen ein Blick zurück. Welche Trends hätten besser gar nicht entstehen sollen?

Die Normalisierung von öffentlichen Ärgernissen

Bist du auch ein Sigma Boy? Der Aktionen nach bedeutet das wohl vor allem: Mit einem Lautsprecher in einer vollen U-Bahn zu stehen und mit vollem Lärmpegel den eigenen Song zu promoten. (Alternativ gehen allerdings auch alle möglichen Songs, die reine Provokation sorgt für die nötige Aufmerksamkeit.)

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Auch wenn "Streichbruder" die gleiche Inhaltsstrategie seit mehreren Jahren aufrechterhält, scheint es 2025 zur Normalität geworden zu sein, dass aufstrebende Kunstschaffende in einseitiger und unfreiwilliger Interaktion mit der Öffentlichkeit Werbung für ihre Produkte machen – zum Nachteil aller Anwesenden. 

Neue Mutproben und gefährliche Challenges

Social Media wäre nicht das Gleiche ohne hirnrissige Aktionen für Likes.  Denn die leicht reproduzierbaren Videoideen polarisieren schnell und verursachen in Folge ohne großen Aufwand gewaltige Klickzahlen. Auch in diesem Jahr haben sich User neue Challenges ausgedacht, die vor allem auf Kosten der körperlichen Gesundheit für Viralität sorgen.

Ein prominentes Beispiel dafür ist der Medikamentenmissbrauch im Falle der "Paracetamol-Challenge". Der Deutsche Pharmaverband warnte im Februar vor der Darstellung von Überdosierungen der Schmerztabletten und öffentlichen Erfahrungsberichten zu möglichen Maximalmengen.  Besonders tückisch: "Der Verlauf einer Paracetamol-Vergiftung ist häufig schleichend, mit unspezifischen Beschwerden [...].  Patienten können in den ersten 24–48 Stunden symptomfrei sein.", beschrieb die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft den Sachverhalt.

TikTokWarnung © TikTok Mittlerweile warnt TikTok vor gefährlichen Inhalten innerhalb der Applikation. Dies ist jedoch nur bei problematischen Anfragen möglich, die der Plattform selbst bekannt sind.

Wenn TikTokerinnen und TikToker sich nicht gerade aus Spaß mit Tabletten vollpumpen, lassen sie sich auch gerne von Gebäuden oder Brücken baumeln. Als Teil der "Hanging-Challenge" wurden in diesem Jahr vor allem jene Videos belohnt, die aus besonders gefährlichen Höhen aufgenommen wurden. Dabei halten sich User mit einer Hand fest und enthüllen nach und nach die Sicht in den Abgrund.

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Nachdem TikTok die schauderhaften Inszenierungen von der Plattform entfernte, löste sich ein harmloserer Trend ab: die "Mauie Wowi"-Challenge konzentrierte sich auf Ampeln und Straßenschilder. Die Folge waren zusätzliche Kosten in Form von Sachbeschädigungen in öffentlichen Bereichen – dafür jedoch keine Menschenleben mehr.

Queerfeindlichkeit salonfähig machen

"English or Spanish?", so beginnt der vermeintlich harmlose Anfang unzähliger Videos auf TikTok und Instagram. Daraufhin bewegt sich im Video kurzerhand niemand mehr vom Fleck. Was auf den ersten Blick wie eine normale Frage wirkt, ist eigentlich der Ersatz für die Aussage "Wer sich als erstes bewegt, ist schwul!". 

Da die offensichtlich negative Konnotation auf Kurzvideoplattformen jedoch zurecht als Hassrede gewertet wird, mussten sich User neue Phrasen ausdenken, um die queerfeindliche Inhalte dennoch hochladen zu können. Unter dem Deckmantel als Trend oder Challenge wurde die Art der Videos tausendfach kopiert – denn für viele Männer wäre es das schlimmste auf der Welt, nicht als "hetero" zu gelten.

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Dieser queerfeindliche Trend ist jedoch kein Einzelfall: Im Juli fanden sich unter Veröffentlichungen, die nicht dem heteronormativen Maßstab entsprechen, mehrheitlich Kommentare mit Verweis auf "2 bis 3 Jahre in Dagestan" als Strafempfehlung für bestimmte User-Gruppen. Gemeint waren damit Trainings- bzw. Umerziehungslager, die vor allem Frauen und queere Personen "rechtleiten" sollten.

TikTokDagestan © TikTok

Die russische Republik im Nordkaukasus fungiert in diesem Fall als Codewort, das in den Kommentarspalten von TikTok nicht automatisiert herausgefiltert wird und bewusst verletzen soll. Zum Jahresende umfasste der hauptsächliche Hashtag zum Trend mehr als 176.000 Beiträge. 

"Looksmaxxing": Wenn Schönheit zur Qual wird

Was vor Jahrzehnten in der Incel-Bewegung begann, hat im Winter auch den Weg in den Mainstream von Kurzvideoplattformen gefunden: Diverse TikTokerinnen und TikToker zeigen, wie man optisch das Beste aus sich herausholt. Auch wenn der Grundgedanke in einer oberflächlichen Gesellschaft nicht abwegig erscheint, verleiten Tipps auf sozialen Plattformen zu fragwürdigen Maßnahmen:

Ganz oben auf der Liste steht hierbei der Prozess des "Bone Smashings". Dafür wird ein harter Gegenstand kontinuierlich gegen das Jochbein geschmettert, um Mikrofrakturen zu erzeugen. Das Prozedere wird über einen längeren Zeitraum wiederholt und in der Hoffnung durchgeführt, die Gesichtsstruktur nachhaltig ins Positive zu verändern. Medizinisch belegt sind allerdings in erster Linie nur blaue Flecken und Blutergüsse.

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Wer noch tiefer in die Trickkiste greifen möchte: Auf den Startseiten boomt gleichzeitig die Aufklärung zur Nutzung von injizierbaren Peptiden für die eigene Körperoptimierung. Es handelt sich jedoch meistens nicht um etablierte Substanzen, die bereits in der Schönheitsindustrie zum Einsatz kommen, sondern um experimentelle Empfehlungen von privaten Einzelquellen. Besonders krasse Formen der Typveränderungen werden in der Szene entsprechend auch als "Hardmaxxing" bezeichnet.

BerichterstattungTikTok © The Guardian Über die virale Sichtbarkeit zum Einsatz von Peptiden wurde bisher journalistisch noch nicht stark berichtet, zum Vertrieb und dem Einfluss von unerlaubten Produkten gibt es – im Gegensatz zum "Lookmaxxing"-Trend – bisher nur einzelne Beispiele.

Was zeichnet sich für 2026 ab?

TikTok versucht durch die Moderation einen Rahmen für kuriose und fehlleitende Trends zu schaffen. Allerdings wird sich die bestehende Grundproblematik nie auflösen: Gefährliche Suchanfragen werden meistens erst dann registriert und blockiert, wenn sie eine breite Sichtbarkeit erreicht haben. Die meisten Inhalte lassen sich zusätzlich über minimale Umwege (wie Buchstabendreher) trotzdem auffinden. 

Gleichzeitig werden soziale Plattformen hauptsächlich von polarisierenden Inhalten dominiert – und das wird sich auch im kommenden Jahr nicht ändern. Kritik lässt sich auf zwei Ebenen äußern: Social-Media-Dienste müssen stärker zur Regulation fragwürdiger Inhalte gedrängt werden. Parallel entscheidet jede individuelle Interaktion, ob ein Video noch mehr User erreicht und potenziell zum Trend wird oder in den Weiten des Internets versiegt. Für das nächste Jahr fordert DWDL-Autor Simon Pycha: keine Likes mehr für Bullshit.