Erwachsen auf ProbeDie Diskussion mag nicht so recht vorwärts kommen. Tom Sänger weist den Zynismus-Vorwurf weit von sich und fordert immer wieder Sachlichkeit ein, wenn der Kritik nicht mehr mit der inneren Logik des Formats begegnet werden kann. Ärztin Dorothea Böhm kritisiert die Trennung der Kinder, da die Bindungsforschung zeige, dass dies zu Entwicklungschäden führen könne.
 
Holger Roost, Chef der Produktionsfirma Tresor TV, die die Sendung hergestellt hat, stellt fest, dass es bei der Sendung doch gar nicht in erste Linie um die Kinder gehe. Man redet über das Gleiche, bespricht jedoch verschiedene Aspekte. Während wieder und wieder die Situation der Kinder während des Drehs kritisiert wird, argumentieren die Macher mit den konkreten Inhalten und den „dramaturgischen Zuspitzungen“. Ihr Tenor: Es sieht schlimmer aus, als es ist. So schlimm allerdings, dass die ersten vier Ausgaben der Sendung keine Freigabe für das Tagesprogramm des Senders bekommen haben, da die Bilder für Kinder unter zwölf Jahre nicht geeignet seien, wie die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen entschieden hat.
 

 
Das Problem der gut gemeinten Zusammenkunft: Menschen, die vor lauter Fernsehmachen all die als "dramaturgische Zuspitzung" geschönten Fakes als völlige Selbstverständlichkeit des Mediums betrachten, treffen auf engagierte Interessenvertreter, die zum Teil vermutlich selten so lange ein RTL-Programm am Stück gesehen haben wie an diesem Freitag in Köln.
 
Der Grund, warum die Kinder in der gezeigten Folge nicht lächeln und den Blickkontakt mit den Eltern meiden ist für beide Seiten ein anderer. Während Böhm darin ein Indiz für eine Angstsituation sieht, erklärt Roost lapidar: "Es gibt eine Entwicklung in der Heldenreise unserer Protagonisten". Zufriedene Gesichter gebe es noch zu sehen - allerdings erst im späteren Handlungsverlauf. Die Fronten scheinen verhärtet. Neben der ursprünglichen Kritik stellt sich bei manchem auch eine Ablehnung der gesamten Darstellungsform ein. Hätte man das gewusst, man wäre härter dagegen vorgegangen, ist zu hören.

Stellten sich der Kritik: Tresor TV-Produzenten Holger Rettler und Holger RoostAlles halb so wild, scheint die Devise auf Seiten der Macher zu lauten - man macht doch nur Fernsehen. So zeigen die Kritiker Skepsis, wenn RTL betont, bis auf eine Ausnahme hätten die Kinder die Nächte stets bei ihren Eltern verbracht. Denn in einer Szene, in der ein Kind partout nicht schlafen will, wird die Uhrzeit "23:37 Uhr" eingeblendet. Es handele sich hier um eine "gefühlte Zeit" umschreibt Roost (Bild rechts) zaghaft den Umstand, dass hier - wie offenbar an vielen andern Stellen - ein Fake vorliegt. Natürlich hätten auch die Eltern öfter eingegriffen, als es zu sehen gewesen sei. Man habe halt alles ein wenig dramatischer darstellen müssen. Die Kluft zwischen dem, was Fernsehbegriffe wie "Doku" und "Reality" meinen, und wie es beim Publikum ankommt - sie war selten so spürbar wie an diesem Freitag in Köln.

So nimmt es auch nicht wunder, dass die Diskussion um die Sendung im Laufe der vergangenen Wochen einen hohen Grad an Schärfe gewonnen hat. Nachdem die Teilnehmer an einem Dummy bewiesen hätten, dass sie Verantwortung übernehmen können "dürfen sie für vier Tage ein Baby versorgen", hieß es schlicht in der Pressemitteilung des Senders, durch die die Proteste ausgelöst wurden. Unter welchen Bedingungen dies stattgefunden hat und wie viel Zeit die "vier Tage" der Sendung tatsächlich waren, davon steht nichts in der Meldung. "Wir müssen reagieren auf das, was zu sehen ist", erklärt eine Kritikerin.

Dies ist nicht das einzige Versäumnis, das RTL sich an diesem Freitag vorhalten lassen muss. Zwar habe man sich  von den Erzieherinnen am Drehort, den Entwicklern des Formats, das unter dem Titel "Baby Borrower" unter anderem in England bei der BBC zu sehen war,  und nicht zuletzt von der vierfachen Mutter Katja Kessler, die durch die Sendung führt, beraten lassen. Die Zusammenarbeit mit entsprechenden Experten-Verbänden habe man jedoch nicht gesucht. Man sei davon ausgegangen, dass die Situation vor Ort "normaler Alltag" gewesen sei, heißt es seitens der Produktion. So tief sei man nicht in die Wissenschaft eingestiegen.

Doch man gelobt Besserung. Mit Blick auf die Kritik an der Sendung, die sich auch auf eine mögliche Wirkung erstreckt, sagt RTL-Chefunterhalter Sänger zu, die erste Folge solle bis zur Ausstrahlung noch einmal auf ihre Wirkung hin überprüft und entsprechend überarbeitet werden. Künftig wolle man bereits im Vorfeld derart heikler Produktionen den Dialog suchen, erklärt er, nachdem Teenager Basti nach mehr als drei Stunden das Ende der Veranstaltung eingeläutet hat. "Ich weiß nicht, was diese Diskutiererei soll. Wir reden aneinander vorbei", sagte er in die Runde. Nach sechs Stunden Anreise schaue er nun erwachsenen Menschen zu, die sich gegenseitig anmeckerten. "Ich würde jetzt ganz gerne eine rauchen". Darauf konnte man sich schließlich leicht verständigen.