Mit Anarchie ist 9Live einst gestartet. Am Dienstagabend hat man sich mit der gleichen Anarchie verabschiedet. Schon seit Tagen waren die Gewinnspiel-Sendungen mit persönlichen Bemerkungen und Gedanken zum Ende des Live-Betriebes des Senders gespickt. Einen normalen Sendebetrieb gab es schon länger nicht mehr. Am Abend des letzten Sendetages gab es dann als finalen Höhepunkt die große Abschiedsparty als Fernsehshow. Mal im Foyer mit Karaoke der Moderatoren, später im Studio. Mit dabei: Aktuelle und ehemalige Mitarbeiter des Senders sowie einige 9Live-Gewinner. Sie bestritten gemeinsam eine durchaus unterhaltsame Sendung ohne Konzept aber dafür mit umso mehr Abschieden, Albernheiten, Grüßen an Freunde und Familien sowie persönlichen Rückblicken auf 10 Jahre 9Live.

Diese Rückblicke waren oft emotional, nie selbstkritisch. Im Gegenteil: Ein Vorzeigegewinner erzählte, dass seine Telefonkosten im Durchschnitt bei 4.000 Euro im Monat lagen. Das sei angesichts der Tatsache, dass er höhere Gewinne kassiert habe, ja doch gar nicht so schlecht, urteilte 9Live-Moderator Max Schradin, der zusammen mit dem Sender-Urgestein Thomas Schürmann durch den 9Live-Abschied führte. Immer wieder zoomte die Kamera auf die Studiototale und gab den Blick auf diejenigen frei, die sich hinter den Kameras die letzten Minuten ihres Senders live im Studio anschauen wollten. Nebenan war schon die große Abschiedsparty im vollen Gang - und dort gab es nicht nur Limonade. Das war einigen der 9Live-Mitarbeiter, die sich noch schnell vor der Kamera verabschieden wollten, anzumerken.

Am letzten Tag war scheinbar alles erlaubt. Eine Zigarette im Studio rauchen - was sonst verboten war, war am letzten Sendetag kurz vor dem Ende auch egal. Um 23.45 Uhr dann, noch 15 Minuten Live-Betrieb vor sich, wurde das Studio geräumt: Nur noch die Moderatoren standen in der Deko, zogen nochmals ein persönliches Fazit ("So etwas wird es im deutschen Fernsehen nie wieder geben", Schürmann) bevor die finalen Minuten des Live-Programms mit den Worten "Es ist Zeit zu gehen" begannen. 9Live bzw. genau genommen der Live-Betrieb von 9Live, verabschiedete sich nach fast zehn Jahren dann mit einem langen Zitat aus dem Hollywood-Film "The Truman Show" von der Bildfläche. Die Moderatorenriege drehte sich mit dem Rücken zum Publikum.

Dann ertönte - wie auch im Film mit Jim Carey - eine Stimme aus dem Off: "Wo wollt ihr denn hin? Ihr gehört doch hier her. Ihr seid 9Live. Ihr seid die Stars, die Millionen Menschen glücklich gemacht haben. Ihr könnt nicht gehen. Ich habe Euch doch zugesehen. Eure ersten Schritte. Erinnert Ihr Euch noch an den 9Live-Marathon? Das 9Live-Sommercamp? Oder die XXL-Shows? Ihr wart echt, deswegen hat man Euch so gern zugesehen. Es war eine tolle Welt, die wir geschaffen hatten. Deshalb könnt ihr nicht weggehen. Die Welt beobachtet Euch doch schon seit zehn Jahren. Wir haben Euch zugesehen, wie Ihr Eure ersten Schritte vor der Kamera gemacht habt. Das erste Mal Rotlicht. Der erste Anrufer in der Leitung. Ihr könnt nicht gehen. Ihr gehört hier her. Zu uns. Sagt etwas. Nun sagt schon was, verdammt. Ihr seid im Fernsehen, die ganze Welt ist live dabei."

Thomas Schürmann drehte sich ein letztes Mal in die Kamera und sagte die letzten Worten. Wer die "Truman Show" kennt, der wusste was folgen würde: "Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten: Guten Tag, guten Abend und gute Nacht." Nach einer letzten Verbeugung der Moderatoren verließen sie das Studio. Nur das Maskottchen, der Ratefuchs, blieb zurück, setzte sich kopfschüttelnd auf die Treppe und es erklang leise "Wonderful world" von Loius Armstrong. In den letzten Sekunden war dann nichts zu sehen außer das leere Studio und ein zum Abschied winkender Fuchs. Das Studiolicht ging aus. Schwarzblende. Nach einer kurzen Station-ID begann das neue fiktionale Programm des Senders mit einer Wiederholung der Sat.1-Serie "Deadline". 9Live hatte seine Deadline erreicht. Und anders als die, die on air ihren Abschied feierten, werden die meisten sagen: Endlich.