Wenn man über Scripted Reality spricht, spricht man inzwischen von einer großen Vielfalt an Formaten dieses Genres. Es reicht von klassischen Studio-Shows wie "Richter Alexander Hold" bis hin zu Sendungen mit Dailysoap-Charakter, wie man sie vor allem von "Berlin - Tag & Nacht" kennt. Doch verstehen insbesondere junge Zuschauer, die nachmittags und am Vorabend scharenweise vor dem Fernseher sitzen, überhaupt, was sie dort zu sehen bekommen? Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), hat auf den Medientagen München diesbezüglich eine spannende Studie präsentiert. Die gute Nachricht: Im Falle von "X-Diaries" hat ein großer Teil der Zuschauer verstanden, dass das Format gescriptet ist und nicht der Realität entspricht.

Doch was ist mit jenen Kindern, die all das bei umstrittenen Formaten wie "Familien im Brennpunkt" eben nicht nachvollziehen können? Götz forderte neue Rezeptionsstudien, die herausfinden sollen, wieso Menschen Sendungen dieser Art überhaupt so gerne sehen. Aber auch eine Kommunikation mit den verantwortlichen Redaktionen und ein ständiger kritischer Blick seien wichtig. Vom Erlernen von Medienkompetenz bei Kindern ganz zu schweigen. "Kinder haben keine Chance, das zu verstehen - und das ist unfair", sagte Götz. So gesehen gab es eine gute Diskussionsgrundlage - doch in erster Linie sprach auf dem Podium vor allem einer: Stefan Cordes. Er ist Geschäftsführer bei Filmpool Entertainment und als Programmbereichsleiter Scripted Entertainment verantwortlich für viele von jenen Formaten, an denen sich längst nicht nur Medienhüter stören.

Überraschend offen gab Cordes zu verstehen, dass die Nachmittags-Formate keineswegs zur Hochkultur im Fernsehen beitragen. Nachdem Götz einige fast schon schmeichelhafte Ausschnitte aus "X-Diaries" und "Familien im Brennpunkt" präsentiert hatte, gab Cordes unmissverständlich zu: "Ich weiß, Sie hätten viel, viel schlimmere Ausschnitte wählen können." Das Erfolgsrezept seiner Formate ist schnell erklärt: Alle Scripted Realitys erscheinen dokumentarisch - tatsächlich aber folgen sie einem Drehbuch."Wir wollten den Anstrich der Dokumentation ganz bewusst", sagte Cordes, gab aber zu, nicht mit derart hohen Wellen der Kritik gerechnet zu haben. Die gescripteten Sendungen wirken dabei auf manchen Zuschauer so echt, dass sich besorgte Zuschauer sogar bereits an die Polizei gewendet haben: "Sie müssen helfen. Frau Salesch wurde gerade bedroht." Zumindest eine ausreichende Kennzeichnung sollte drin sein.

Hier signalisierte Stefan Cordes durchaus Gesprächsbereitschaft. "Die Sendungen leben nicht vom Vorgaukeln der Realität. Wir können es gerne größer kennzeichnen", sagte der Filmpool-Mann in München. Medienhüter Winfried Engel, Vorsitzender der Versammlung der hessischen Landesmedienanstalt, machte in diesem Zusammenhang deutlich, wie wichtig es sei, dass die Medienanstalten Grenzen des Erlaubten festlegen. Den Machern von Scripted Realitys warf er zugleich vor, bewusst Situationen zuzuspitzen - was Cordes, aber auch Christian Rudnitzki, Leiter der Abteilung Unterhaltung - Scripted Programm bei RTL II, ohnehin nicht leugneten. "Fernsehen lebt immer von Konflikt", erklärte Rudnitzki. In erster Linie wolle man aber unterhalten. Dem Vorwurf, bei "X-Diaries" würden völlig ohne Grund nackte Brüste und verpixelte Genitalien gezeigt, entgegnete er: "Die Brüste werden nicht nur so gezeigt. Das steht immer im Kontext der Geschichte." Da musste allerdings auch Rudnitzki selbst kurz lachen.

Ein ohne Zweifel schwieriges Thema gerade für jüngere Zuschauer sind jedoch vor allem die oft sehr einfach gestrickten Problemlösungen, wie man sie Tag für Tag am Nachmittag zur Genüge zu sehen bekommt. "Ein großer Teil der Lösungen besteht darin, einfach vor Gericht zu gehen", kritisierte IZI-Leiterin Maya Götz. "Das ist im Normallfall nicht der richtige Weg." Diesem Vorwurf stimmte Stefan Cordes zu, der auf die Frage aus dem Publikum, ob die Lösungen nicht womöglich zu seicht seien, unumwunden zugab: "Ja, das könnte sein." Die Lösungen blieben meist an der Oberfläche - und doch sei eine Auflösung auch im Sinne des Jugendschutzes wichtig. Letztlich funktionierten die meisten Geschichten der Nachmittagsformate wie in klassischen Groschenromanen, inklusive einer massiven Verdichtung und Reduktionen von Komplexitiät.

Ein Konzept für das Abendprogramm sieht der Geschäftsführer von Filmpool Entertainment darin nach den Debatten der vergangenen Monate jedoch nicht. "Wir machen Nachmittagsfernsehen aus der Fabrik", sagte Cordes. Anders ausgedrückt: Wer tiefsinnige Unterhaltung erwartet, ist fehl am Platze. Und so darf man gespannt sein, in welche Richtung sich das Genre in Zukunft entwickeln wird. Dass noch immer Raum für Neues ist, zeigt der Erfolg von "Berlin - Tag & Nacht", deren Darsteller inzwischen so gut bezahlt werden wie die Stars aus Dailysoaps. "Wir haben die nicht genommen, um Geld zu sparen", erklärte Cordes. Und RTL II-Mann Christian Rudnitzki erklärte gar: "Wir erzählen nichts, was den Protagonisten fremd ist, und haben Darsteller, die auch so mal oben ohne rumlaufen. Das tun die gerne." Man mag das erschreckend finden - oder eben tatsächlich authentisch. Und manchmal, so scheint es, wird eben sogar das Fernsehen noch von der Realität eingeholt.