Schwieriges Fahrwasser? Nicht bei Vox. Frank Hoffmann hat seinem Nachfolger Bernd Reichart einen recht gut aufgestellten Sender übergeben. In der zurückliegenden Saison gelang es Vox, die Zahl der Baustellen im Programm weiter zu verringern - eine gute Grundlage also für den neuen Mann an der Spitze, der nun seine erste komplette Saison als Vox-Geschäftsführer vor sich hat. Gelegenheiten, dem Programm seinen eigenen Stempel aufzudrücken, bestehen trotz der jüngsten Erfolge von Vox genug. Und weil es inzwischen gelungen ist, den kompletten Nachmittag zu sanieren, könnte Vox sogar an der einen oder anderen Stelle mal wieder ein mutiges Experiment wagen, ohne im Falle eines Misserfolges gleich in Panik verfallen zu müssen.

Doch bevor wir auf die Primetime schauen, lohnt ein genauerer Blick auf den Nachmittag. Vor einem Jahr warnten wir an dieser Stelle noch vor dem "süßen Gift" der Scripted Realitys. Damals war "Verklag mich doch" mit meist zweistelligen Marktanteilen so erfolgreich, dass eine weitere Ausdehnung dieses Genres zu befürchten stand. Doch dieser Versuchung erlag man bei Vox glücklicherweise nicht - mit "Verklag mich doch" und "Hilf mir doch" beschränkt man sich nach wie vor auf zwei Stunden. Und diese Entscheidung ist rückblickend betrachtet goldrichtig gewesen: Nicht selten verzeichnen "Shopping Queen" und "4 Hochzeiten und eine Traumreise", das die zuletzt erfolglose Doku "Menschen, Tiere & Doktoren" ablöste, sogar höhere Marktanteile als die zuvor gezeigten Scripted Realitys.

Positiver Nebeneffekt: Mit Frank Matthée und - mehr noch - Guido Maria Kretschmer hat Vox die Gelegenheit, weitere Sendergesichter aufzubauen. Durch die gelungene Sanierung des Nachmittags kann man bei Vox inzwischen auch die etwas rückläufigen Quoten des "Perfekten Dinners" verschmerzen, zumal man gespannt sein darf, welche Erkenntnisse der Sender aus dem zunächst einwöchigen "Shopping Queen"-Test auf dem "Dinner"-Sendeplatz ziehen wird. Schon an anderer Stelle hat die "Shopping Queen" dem "Perfekten Dinner" den Rang abgelaufen: Der Promi-Ableger erwies sich jüngst mit Rekord-Quoten am Sonntagabend als neuer Hoffnungsträger. Zudem ist davon auszugehen, dass durch Kretschmers anstehende Auftritte beim RTL-"Supertalent" die Popularität des Formats eher noch zunehmen wird.

Beim Blick ins Abendprogramm ergeben sich unterdessen größere Fragezeichen. So musste Vox im Bereich der Eigenproduktionen am Dienstagabend in der vergangenen Saison gleich mehrere Rückschläge hinnehmen. Gerade erst wurde die Autofahrer-Dokusoap "Abgewürgt und ausgebremst" wegen schlechter Quoten vorzeitig aus dem Programm genommen und auch die Auswanderer-Show "Gewinne ein neues Leben" empfahl sich im Frühjahr nicht gerade für eine Fortsetzung. Schwerer wiegen aber wohl die überraschend schlechten Quoten, die Harald Glööckler im Winter einfuhr. Zumindest auf Daniela Katzenberger kann sich Vox aber noch verlassen, doch nur auf die Blondine zu setzen, dürfte auf Dauer keine Lösung darstellen.

Und dann ist da auch noch "X Factor": Trotz zahlreicher Neuerungen und einiger Annäherungen an "The Voice" enttäuschte die dritte Staffel der Castingshow in der vergangenen Saison auf ganzer Linie - das erhoffte Aushängeschild war "X Factor" nicht, sodass es kaum überrascht, dass Vox in der kommenden Saison erst mal die Finger davon lassen wird. Dass die Gewinner-Band "Mrs. Greenbird" dennoch Erfolge feiert, entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie. Für den Erfolg von Vox ist eine Show wie "X Factor" aber ohnehin nicht elementar - viel wichtiger ist es, im Serien-Bereich gut aufgestellt zu sein. Und da steht Bernd Reichart vor so mancher Herausforderung, nicht zuletzt weil Vox in der jüngeren Vergangenheit gleich mehrere langlaufende Serie verloren hat.

So steht dem Sender etwa von "CSI: NY" nur noch eine Staffel zur Verfügung. Doch gerade am Montagabend zeigte man sich zuletzt so experimentierfreudig wie seit vielen Jahren nicht mehr. "Grimm" unterscheidet sich doch deutlich von der konventionellen Krimikost, die Vox-Zuschauer über Jahre hinweg gewohnt waren. Der Versuch, mit "Continuum" verstärkt in den Science-Fiction-Bereich vorzudringen, ging dagegen durch eine etwas unglückliche Programmierung mit "Grimm"-Wiederholungen im Vorfeld schief. Entmutigen lässt sich Vox davon aber erst mal nicht: Schon im September wagt man mit "Arrow" den nächsten Neustart am Montagabend - auf dem langjährigen "CSI: NY"-Sendeplatz. Dass man den sicheren Krimi-Pfad immer häufiger verlässt, birgt freilich auch Risiken. Notwendig ist der Schritt trotzdem.

Und auch in den Mittwoch kommt Bewegung: Hier soll "Fairly Legal" von der Frauen-Power profitieren, die "Rizzoli & Isles" bereits unter Beweis stellte. Die Serie erwies sich in der zurückliegenden Saison für Vox ohnehin als echte Überraschung: Wochenlang waren die Ermittlerinnen immer wieder für neue Rekorde gut. Eine spannende Herausforderung für Bernd Reichart dürfte allerdings nicht zuletzt die Programmierung der teuer eingekauften US-Sitcom "Anger Management" mit Charlie Sheen darstellen. Den großen Sheen-Hype hat man inzwischen jedenfalls verpasst, was das Unterfangen kaum einfacher machen dürfte. Der neue Vox-Chef hat also viele Möglichkeiten, dem Sender seine Handschrift zu verleihen. Das erfolgreiche Grundgerüst dürfte ihm dabei helfen, dieses Unterfangen entspannt anzugehen.

Baustellen-Report 2013