Bei anglo-amerikanischen Fernsehfestivals gibt es die schöne Tradition der Masterclasses. Produzenten erfolgreicher Fernsehformate oder Serien erzählen vom Produktionsalltag. Meist bleiben am Ende ein paar launige Anekdoten hängen, was gemessen am minimalen Erkenntnisgewinn mancher ernst inszenierter Panel-Diskussion schon eine erfrischende Abwechslung ist. Doch Ken Mok tauchte beim Banff World Media Festival tiefer ein: Der Erfinder und zusammen mit Tyra Banks auch Produzent von „America's Next Top Model“ lieferte einen detaillierten Einblick in die Funktionsweise einer Sendung, die bekanntlich nicht nur in den USA ein anhaltender Erfolg ist - gedacht als Hilfestellung und Anleitung für aufstrebende TV-Produzenten. Sie lassen sich am Ende in vier wesentlichen Punkten zusammenfassen.



Es geht nicht ums Modeln! „Top Model“ ist wie „Grey’s Anatomy“

Für Ken Mok gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen fiktionalen Serien und „America's Next Top Model“: Es gehe hier wie dort um Storytelling. Das Erzählen von Geschichten ist es, was ein Publikum gewinnt und hält. „Top Model ist eine Ensemble-Serie, eine Seifenoper. Nichts anderes als ’Grey’s Anatomy’ oder ’Scandal’“, so Ken Mok, der die Show gemeinsam mit Tyra Banks entwickelt und produziert hat. Spannungsbögen wie sie in der fiktionalen Erzählung angewendet werden, gelten auch für „Top Model“ - mit dem einen Unterschied: Man kann als Reality-Produzent nur hoffen, dass sich spannende Geschichten ergeben. Man müsse sie aus der Masse des gedrehten Materials herausfiltern. Und einen populären Irrtum löst Mok in diesem Zusammenhang auch noch auf: „Bei dieser Sendung geht es im Kern nicht ums Modeln. Das ist am Ende das Sahnehäubchen.“ Am Ende ein Model gefunden zu haben, ist das Finale einer Reise; einer Cinderella-Story, die der eigentliche Grund ist, warum so viele Zuschauerinnen und Zuschauer einschalten.

Finde die sechs für die Sendung entscheidenden Charaktere

Eine Ensemble-Serie braucht ein Ensemble. Die Erfahrung aus 20 Staffeln von „America's Next Top Model“ habe gezeigt, dass mit dem richtigen Casting eine Staffel steht oder fällt, da man - so beteuert Mok ausdrücklich - nicht eingreife und die Kandidatinnen und Kandidaten coache. Ohne Drehbuch-Anweisungen und Inszenierungen müsse man sich auf die Tragfähigkeit des ausgesuchten Ensembles verlassen können. Sechs verschiedene Charaktere brauche jede gute Staffel: Alpha-Tier, Narzisstin, untypischen Schönheit, Zuschauerliebling, Zicke und Außenseiter. Potentielle Kandidatinnen werden durch psychologische Interviews und IQ-Tests kategorisiert, um sicher zu stellen, dass man einen abwechslungsreichen Cast bekommt. Der aus Produktionssicht beliebteste Typ? „Narzisstinnen sind die besten“, sagt Mok und lacht. Da entstehe von sich aus genügend Material. Die beim Publikum beliebtesten Kandidatinnen seien jedoch stets die Außenseiter, ergänzt Ken Mok, der die Typen-Kategorie deshalb noch einmal auffächert: Es gebe körperlich benachteiligte Außenseiter, emotional belastete Außenseiter, LGBT-Kandidaten und letztlich einfach besonders kuriose Typen. Die überwältigenden Sympathien für Außenseiter-Kandidatinnen erklärt sich Produzent Mok mit einer weiteren These. Jede Zuschauerin, egal wie schön und reich sie heute sein mag, habe sich in ihrer Schulzeit, ihrer Jugend oder als junge Erwachsene einmal als Außenseiterin gefühlt. Diese Sicht auf sich selbst sei sehr verbreitet.

Building an episode: Wie baut man nun eine richtig gute Folge?

Zunächst einmal unterscheide sein Team beim Erzählen der Geschichten zwischen „internal stories“ und „external stories“. Beschäftigt sich eine Geschichte also mit den Sorgen, Problemen oder Gedanken einer Kandidatin - oder geht es um Interaktion zwischen Kandidatinnen. Dies seien die beiden Erzähl-Ebenen von „America's Next Top Model“. Die Struktur der US-Version sieht in jeder Folge Laufsteg-Training, Runway Challenge, ein Fotoshooting und die Jury-Bewertung vor. Wichtig sei dabei, dass die Geschichten aus den Blickwinkeln der Teilnehmerinnen erzählt werden. „Vorgänge sind langweilig, Menschen sind interessant“, fasst Ken Mok zusammen. Wenn man ein Outdoor-Fotoshooting auf einem Fernsehturm inszeniert, dann darf man die besondere Herausforderung dieser Aufgabe nicht vom Off-Sprecher erzählen lassen. Mok: „Wir haben in dem Fall die Kandidatin mit der größten Höhenangst zuletzt laufen lassen. Sie konnte also zuerst allen anderen Mitstreiterinnen bei der Aufgabe zusehen und war völlig fertig mit den Nerven. Diese Bilder und ihre ungläubigen Aussagen, dass das doch nicht unser Ernst sein könne, haben dem Zuschauer dann viel emotionaler vermittelt, dass es ein waghalsiges Fotoshooting war.“ Neben der Hauptgeschichte der Folge habe jede Episode auch eine B-Story, die sich mit den beiden schwächsten Kandidatinnen beschäftigt, die am Ende der Folge um das Weiterkommen zittern müssen. „Damit das Publikum bei der Jury-Entscheidung am Ende der Folge auch einen persönlichen Bezug zu den Kandidatinnen entwickelt, müssen wir diese in der Folge zuvor auftauchen lassen“, so Format-Erfinder Mok über den Sinn dahinter. Zwischen den beiden Stories pro Folge sei es auch immer ratsam, kleine Schnipsel einzubauen mit Zitaten, Gesten oder Momenten, die zum Kult reifen können und von den Zuschauerinnen und Zuschauern adaptiert werden. Auf solche potentiell kultigen Momemte könne man jede Staffel aufs Neue nur hoffen.

Keine Angst vor Veränderung: Wie hält man das Format frisch?

Für Ken Mok gab es in den vergangenen Jahren drei Schrauben bei denen er mit Tyra Banks zusammen das Format weiterentwickelt hat, wie er beim Banff World Media Festival verrät. Die naheliegendste ist die Integration von Social Media in das Format, um zum einen einen Mehrwert für die Show zu generieren, der für neue Spannungen und Geschichten sorgen kann, wenn man die Meinungen des Publikums zu einzelnen Kandidatinnen oder Kandidaten denen gegenüber verrät. Und natürlich gehe es auch darum eine Zuschauerbindung zwischen den TV-Ausstrahlungen zu erreichen. Die zweite Stellschraube ist die Besetzung der Jury. Die sollen, so Ken Mok, gerne durchwechseln. Sie sind eine Zutat der Sendung aber sollten nicht als Anker missverstanden werden. Idealerweise wechselt man Juroren kontinuierlich aus, um nie in die Situation zu kommen, plötzlich mit komplett neuer Mannschaft antreten zu müssen. Die wichtigste Stellschraube, so schildert Mok, war jedoch die Öffnung des Formats für Männer-Models mit der 20. Staffel im vergangenen Herbst. „Das hat die Show in den USA gerettet“, gibt er offen zu. Das Miteinander von weiblichen und männlichen Models gebe so viel mehr Geschichten her und der Sendung noch einmal eine aufregende Wendung. Bleibt abzuwarten, ob "Germany's Next Topmodel" diese Öffnung in der Zukunft adaptieren wird.