"Die Welthungerhilfe ist eine feine Nichtregierungsorganisation - aber ich bin nicht ihr Helfer". Etwas verärgert wirkte Claus Kleber in der vorigen Woche, nachdem das ZDF vor und nach seiner Dokumentation "Hunger!" einen Spot der Welthungerhilfe ausstrahlte. Mit dem Spendenappell habe er nichts zu tun, betonte der Journalist eilig auf Twitter. Auch rückblickend betrachtet kann er sich noch immer nicht damit anfreunden. "Der Aufruf hat mich als Auftakt gestört", sagt Kleber mit einigen Tagen Abstand im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. Dass er seinem Ärger öffentlich Luft machte, wird ganz sicher nicht jedem beim ZDF gefallen haben, doch das kommt eben vor, wenn man einen wie Kleber zum Twittern bringt. "Niemand sagt mir, was ich twittern soll. Und das wäre auch nicht gut", erklärt er lachend.

Wenn man den ersten Teil der Dokumentation gesehen hat, die Claus Kleber gemeinsam mit seiner Kollegin Angela Andersen über einen langen Zeitraum hinweg drehte, lässt sich erahnen, weshalb ihn der Spot der Welthungerhilfe störte. "Wir haben uns viel Mühe gegeben, aus dem Film keinen 'Die-Welt-ist-so-traurig-bitte-helfen-Sie“-Film zu machen." Dass dennoch bei manchen Zuschauern dieser Eindruck hängen blieb, führt er aber nicht nur auf den kurzen Hinweis für die Welthungerhilfe im Vorfeld zurück. Es ist vermutlich auch das Schicksal eines kleinen Mädchens, das dem Publikum auf sehr berührende Weise vor Augen führte, was es eigentlich längst weiß - dass nämlich noch immer viel zu viele Menschen auf der Welt Hunger leiden müssen.

Allerdings sind es längst nicht nur traurige Aspekte, die Andersen und Kleber den Zuschauern näherbringen möchten. 85 Prozent des Films, schätzt Kleber, seien neutral oder gar positiv. "Unser Ziel war es, den Eindruck zu erhärten, dass wir alle etwas gegen den Hunger machen können." Für die "Durst!"-Folge, die das ZDF an diesem Dienstagabend zur besten Sendezeit ausstrahlen wird, hat der "heute-journal"-Anchor daher Menschen in aller Welt getroffen, die sich für eine bessere Zukunft einsetzen - eine Zukunft, in der niemand sterben muss, weil er keinen Schluck zu trinken hat. Es ist die große Stärke des Doku-Doppelpacks, dass er sich nicht in Zahlen und Fakten verliert, sondern die Menschen in den Mittelpunkt stellt, die unmittelbar betroffen sind. "Man gewöhnt sich diese Schwarz-Weiß-Malerei, wie wir sie in Deutschland oft betreiben, sehr schnell ab, wenn man mit all diesen Menschen spricht", betont Kleber, der "Hunger!" und "Durst!" allerdings längst nicht nur als reine Fernsehprojekte verstanden haben will.

"Das Internet funktioniert ähnlich wie das Fernsehen - nämlich über Emotionen."
Claus Kleber

Das ZDF hat im Internet ein erstaunlich reichhaltiges Begleitangebot auf die Beine gestellt, das eng mit der zweiteiligen TV-Dokumentation verwoben ist. Der Look ist dem der Dokumentation nachempfunden. "Insofern funktioniert das Internet ähnlich wie das Fernsehen - nämlich über Emotionen. Dazu gehört, dass die Zuschauer von uns hochwertige Angebote erwarten", sagt Claus Kleber gegenüber DWDL.de. Dabei hatte er den Online-Aspekt zwischenzeitlich beinahe völlig aus den Augen verloren. "Die eigentlichen Filmarbeiten haben uns restlos in Anspruch genommen. 'Online' war eine weitere Pflicht, die wir ein bisschen vor uns hergeschoben haben. Erst nach Drehschluss haben Angela Andersen und ich die Chancen einer Web-Doku erkannt."

Sie entwickelten gemeinsam mit den Kollegen von ZDF-Digital ein "Zwei-Säulen-Modell“, wie sie das nennen. Das Fernsehen soll berühren und Interesse wecken, das dann im Netz gründlich befriedigt werden kann. "Die zahlreichen Online-Texte, die daraufhin vor allem von ZDF-Redakteur Michael Gries stammen, geben dem Projekt die wichtige zweite Ebene", so Kleber rückblickend. Und freut sich darüber, dass die Filme weitgehend ohne Töne von sich widersprechenden Experten und komplizierte Erklär-Grafiken auskommen. Hinter der zweiteiligen Dokumentation, die ihre Premiere einige Tage zuvor bei Arte feierte, stecke ein Jahr an Planung, Überlegung und Fokussierung, bevor die Kamera eingeschaltet wurde, berichtet er. "Dabei ist so viel Wissen zusammengekommen, dass wir aus dem Vollen schöpfen konnten. Es ging nur noch darum, all das in eine Form zu gießen, die im Internet attraktiv aussieht." Dafür sorgte schließlich die kleine ZDF-Tochter, die tatsächlich für eine sehr ansehnliche Gestaltung sorgte.

Durst!© ZDF/Axel Lischke

Claus Kleber sieht das Internet nicht zuletzt dadurch als echten Glücksfall für Fernsehjournalisten an. "Es ist befreiend", sagt er und klingt dabei für einen kurzen Moment regelrecht euphorisch, "ich kann im Fernsehen das machen, was das Fernsehen am besten kann - mit Gesichtern und Bildern große Emotionen wecken. Und ich kann im Netz das machen, was öffentlich-rechtliche Zuschauer zu Recht verlangen. Nämlich fundierte und differenzierte Informationen liefern. Und das auch im Internet in einem grandiosen Design." Nun kann man kritisch anmerken, dass auch dem Fernsehen mitunter ein wenig mehr Tiefgang nicht schaden würde, doch Kleber will durch den Spagat zwischen Fernsehen und Internet möglichst viele Interessen auf einmal befriedigen. "Es gab einen Scheinkonflikt. Dass eine TV-Doku ist entweder packend oberflächlich oder gründlich langweilig wird. Die packenden Filme kriegen großes Publikum, die langweiligen beschäftigen sich vertieft mit der Sache selbst. In der Zwei-Säulen-Methode nutzt jedes Medium seine Stärke. Am Ende steht ein packendes, informatives Angebot."

Zur Zeit schwinden ohnehin die Grenzen zwischen linearem TV und Internet. Kleber: "Ich habe mir für diesen Film extra einen HbbTV-Fernseher geleistet. In dem Moment, wo über Gentechnik in China gesprochen wird, lässt sich der rote Knopf drücken, der Film pausiert und ich schaue mir vertiefende Informationen an. Das mache ich drei Minuten, drücke den roten Knopf erneut und der Film geht mit herrlichen Bildern aus dem Grand Canyon weiter. So kann es funktionieren." Dabei sei der Aufwand für die Fernsehschaffenden gar nicht so groß wie man denken mag. "Es basiert auf der gründlichen inhaltlichen Arbeit, die wir für eine so tiefgehende Dokumentation ohnehin machen ", erklärt Claus Kleber. "Zum Schluss müssen wir dann nur noch einige Prozent mehr an Zeit und Geld investieren, dafür habe ich dann ein im öffentlich-rechtlichen Sinn viel wertvolleres Ergebnis." Eines, von dem etwa Lehrer auch in zwei oder drei Jahren noch profitieren könnten - sofern die Sender vom geltenden Staatsvertrag nicht gezwungen würden, die Inhalte wieder aus dem Netz zu nehmen.

Immerhin: Das Angebot zu "Hunger!" und "Durst!" soll zumindest bis ins nächste Jahr hinein verfügbar sein, versichert ein ZDF-Sprecher auf DWDL.de-Nachfrage. Kleber: "ich wünsche mir sehr, dass wir einen Weg finden, so ein Angebot auch auf Dauer Schulen und Bildungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. "Ich kann Schülerinnen und Schüler innerhalb weniger Minuten mit gut gemachten Fernsehbildern für die Hunger-Problematik interessieren. Und noch wichtiger: im Idealfall machen Studenten damit die Erfahrung, die wir als Reporter immer wieder machen: dass die Dinge nicht so einfach sind, wie die schnellen Vorurteile suggerieren. Festgefügte Meinungen über Getreide-Spekulation, Gentechnik oder Landraub werden sehr viel facettenreicher, wenn man mal genauer hinschaut.“ Der Journalist als Lehrer der Zukunft? Nein, erwidert der Journalist. Er sehe sich vielmehr als Türenöffner. "Welcher Lehrer hat die Gelegenheit, sich wirklich jahrelang um die Aspekte von Hunger und Durst zu kümmern? Wer hat denn die Möglichkeit zu sagen, ich interessiere mich gleichermaßen für Landraub in Afrika, Getreidespekulationen, überfischte Meere und Gentechnik? Wir leisten Vorarbeit, das alles zusammenzustellen."

Damit ist die Arbeit für die Lehrer natürlich noch nicht getan, weiß Kleber, "aber sie bekommen eine Toolbox, die darauf aus ist, Emotionen zu wecken statt Gähnen. Die Voraussetzung für all das ist jedoch, sich ein eigenes Bild zu machen. Zwar genüge es nicht, sich ein Visum zu besorgen und in den nächsten Flieger zu steigen, "doch selbstverständlich kann man sich für ein Thema ganz anders begeistern, wenn man wirklich dort war", weiß Claus Kleber, der sich beim ZDF angesichts vielerorts immer kleiner werdender Redaktionen in einer privilegierten Situation sieht. Umso erfreulicher, dass er sie zu nutzen weiß.