3. Der Ton ist wichtiger als das Thema

Viele Serienideen scheitern, weil eine wichtige Sache vergessen wird: Der Ton einer Geschichte ist oft wichtiger als die Idee selbst. Man kann sich das bewusst machen, wenn man sich vorstellt, eine Serie erzählen zu wollen über Freundschaft und die Probleme moderner Singles, in einer Großstadt ihr Glück zu finden. Je nachdem, welcher Autor oder welche Autorin mit dieser Grundidee loszieht, kann hieraus „Sex and the City“ entstehen, „Friends“, „Girls“ oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

In fast allen Formen der Kunst spricht man von der „eigenen Stimme“, die ein Künstler finden muss und die seine kulturelle Daseinsberechtigung ist. Man kann sich das Werk von Mozart anschauen oder von Eminem, von Hitchcock oder Tarantino, von Picasso oder Banksy: jeder dieser Künstler hat einen eigenen Ton, eine eigenen Handschrift, vielleicht sogar ein großes Thema, das seine Werke verbindet und erkennbar macht.

Diese Stimme kann, wenn sie genug Widerhall findet, funktionieren wie eine Marke. Lesen wir irgendwo „Woody Allen“ oder „die Coen-Brüder“, dann kommuniziert das einen Inhalt genau wie Starbucks oder Suhrkamp. Der zweite, viel wichtigere Vorteil ist aber, dass die „eigene Stimme“ bedeutet: Da weiß jemand, was er erzählen will. Es gibt ein klares Bild von dem, was entstehen soll. Oder auch: eine Vision.

Dass die Wichtigkeit einer eigenen Stimme in so vielen Serien vergessen wird, ergibt sich deshalb auch zwangsläufig aus dem Mangel einer echten Geschichte und einer Autorenschaft: Wenn man nicht weiß, was man erzählen will und niemanden hat, der für den Text Verantwortung übernimmt, dann ist es einer Serie auch nicht möglich, einen eigenen Ton zu entwickeln. Ein eigener Ton bedeutet Fokus. Eine Serie ohne Fokus ist keine gute Serie.

4. Keine Marktübersicht

In elf Jahren, in denen ich hauptberuflich als Autor arbeite, hat mich kein einziges Mal jemand von einem Fernsehsender gefragt, ob ich eine Idee für eine Serie oder eine Show habe. In der gleichen Zeit haben mich immerhin zwei Produzenten gefragt. Den meisten Kollegen geht es genau so. Auch das ist logisch: Wenn Entwicklungen nicht von Autoren ausgehen, dann muss auch niemand bei Autoren nach Ideen suchen.

Was Sender stattdessen gerne veranstalten, sind Ideenwettbewerbe. „Schick uns deine Serien- oder Showidee“, haben allein in den letzten zwei Jahren RTL, ProSieben, ZDF und ZDFneo gerufen. Dass die Sender mit solchen Aktionen sogar noch positive Aufmerksamkeit von andern Medien bekommen, ist umso absurder, weil solche Wettbewerbe kein Zeichen von Engagement sind, sondern von Marktversagen.

Bastian Schweinsteiger ist auch nicht bei Bayern München gelandet, weil er sich mit seinen fünf besten Laufwegen auf Videokassette beworben hat. Ein deutscher Fußballverein, der einen Castingaufruf für neue Mitglieder seiner Profimannschaft veröffentlichen würde, würde sich lächerlich machen – weil es nicht funktionieren würde. Weil der Bedarf an Talenten so groß ist, dass alle guten Leuten längst beobachtet werden. In dem Fall von der Konkurrenz.

Ähnlich verhält es sich im Buchmarkt. Dass die Veröffentlichung unverlangt eingesandter Manuskripte in praktisch allen Verlagen die absolute Ausnahme darstellt, liegt in erster Linie daran, dass es eine funktionierende Marktbeobachtung gibt.

In deutschen Fernsehsendern findet so eine Beobachtung kaum statt. Und das, obwohl der deutsche Markt relativ klein ist und die Kanäle für Nachwuchs eher übersichtlich. Noch mal der Vergleich mit dem Fußball: Alle Vereine der 1. Bundesliga erwirtschaften zusammen einen jährlichen Umsatz von knapp über zwei Milliarden Euro. Das ist noch nicht mal ein Sechstel von dem, was ProSiebenSat.1, RTL Deutschland und die Öffentlich-Rechtlichen im Jahr umsetzen. Und trotzdem kriegt der deutsche Fußball es mit seinen „bescheidenen“ Mitteln hin, eine praktisch lückenlose Nachwuchsbeobachtung zu betreiben. Und das, obwohl es deutlich mehr Fußballvereine gibt als Kurzfilmfestivals.

5. Zu wenig Wettbewerb

Dass es im deutschen Serienmarkt keine richtige Nachwuchsbeobachtung gibt, erscheint auf den ersten Blick absurd, schließlich sind alle Sender Konkurrenten, und Konkurrenten sorgen für Wettbewerb. Dieser Wettbewerb findet im Bereich hochwertiger Serien aber praktisch nicht statt.

Es ist bezeichnend, dass genau die Serien, die in den letzen Jahren für den meisten Gesprächsstoff gesorgt haben, also zum Beispiel „Mad Men“ oder „Homeland“, im deutschen Fernsehen nicht über ein Nischendasein hinaus gekommen sind. Nicht, weil sie in Deutschland niemand schaut, sondern weil die meisten Zuschauer sie inzwischen auf anderen Verbreitungswegen schauen. Das, womit sich deutsche Sender voneinander abgrenzen, sind alle möglichen anderen Formate, aber selten die anspruchsvollen Serien, die es auf englisch in Masse gibt und auf deutsch fast gar nicht.

Man kann also sagen: Die hochwertige, eigenproduzierte Serie könnte theoretisch ein Differenzierungsmerkmal für einen deutschen Sender sein. Dass aber tatsächlich Millionen von Zuschauern auf diese Serie warten, ist eine Annahme, die der Markt bisher nicht bestätigt. Hat schließlich irgendjemand in Deutschland ein Problem mit Seriennachschub, wenn der deutsche Markt weiter nicht liefert? Wohl kaum. Das gilt nicht nur für die Zuschauer, die dann einfach weiter angelsächsische Serien schauen, sondern genauso für die Sender, die aus dem breitesten jemals dagewesenen Angebot an Importware auswählen können.

Für die Sender ergibt sich so gegenüber den Produktionsfirmen eine komfortable und seltene Position: die des Monopsons. Ein Monopson ist das Gegenteil eines Monopols und das, was mittelständische Herstellerfirmen hin und wieder einer Firma wie Amazon vorwerfen: die Herrschaft des Käufers. Weil es für das jeweilige Produkt nur einen oder so wenige Käufer gibt, dass diese überdurchschnittlich viel Druck auf den Verkäufer ausüben können.

Das ist nicht für alle deutschen Serienkonzepte ein Problem, aber für viele: so, wie sich die deutschen Sender im fiktionalen Bereich aufgestellt haben, gibt es beispielsweise für eine Serie wie „Eichwald, MdB“ nur zwei mögliche Käufer: ARD und ZDF. Eine politische Sitcom auf SAT.1 oder RTL ist momentan nicht realistisch. Aber immerhin: zwei mögliche Käufer. Wenn man sich dann aber anschaut, wie die föderal organisierte ARD ihre Einzelsender und ihr Hauptprogramm bestückt, wird schnell klar, dass hier nichts zu holen ist: eine Serie, die in Berlin spielt, müsste in der Regel der kleine RBB produzieren, der dafür aber kein Geld hat. Und selbst wenn das Geld da wäre, hätte er womöglich keinen Zugriff auf einen passenden Sendeplatz in der ARD, weil der womöglich schon dem WDR versprochen ist.

Man kann diese Übung mit beliebigen Formatideen durchspielen, das Ergebnis ist fast immer ähnlich ernüchternd. Und selbst wenn eine Idee so breit aufgestellt ist, dass sie zu vier oder fünf Sendern passen würde – eine mainstreamige Familiensitcom zum Beispiel – wären in der Realität trotzdem nicht alle dieser Sender potentielle Käufer – zum Beispiel, weil gerade keine Sendeplätze frei sind, gerade niemand an Sitcoms glaubt oder das eine Budget, was verfügbar ist, nur für Serien auf Bauernhöfen benutzt werden soll.

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