Anlässlich des International Journalism Festival riefen Amazon, "La Stampa", "El Pais", "The Times" und DWDL.de Nachwuchsjournalisten auf, ein Essay über die Zukunft des Journalismus zu schreiben. In dieser Woche veröffentlichen wir die Gewinner-Beiträge. Aus der deutschsprachigen Region hat sich der Österreicher Martin Riedl durchgesetzt, der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin studiert.
Kaum eine Profession wird in ähnlichem Maße über ihre kontinuierliche Veränderung definiert wie Journalismus: Eine Branche im Wandel, stets beschäftigt mit der Bewältigung ihrer eigenen Existenzkrise, gehetzt und getrieben durch den Fortschritt technologischer Entwicklung. Dabei ist es höchste Zeit, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen, und jenen zuzuhören, die die Zukunft des Journalismus gewährleisten werden: Leserinnen und Leser.
Technologie verändert nicht nur die Art wie wir kommunizieren, sondern auch Mittel und Wege, wie wir Nachrichten konsumieren, und wie wir diese mit unseren Freunden und Kollegen diskutieren. Eines wird in technologiedeterministischen Debatten aber häufig vergessen: Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist nicht primär, wie Technologie den Journalismus verändert, sondern muss vielmehr eine Rückbesinnung sein: Was ist (digitaler) Journalismus, und was muss er leisten? Wem ist Journalismus verpflichtet – denjenigen, die dafür zahlen, jenen, die ihn konsumieren, oder der Gesellschaft als Ganzes?
Nicht ohne Grund werden unabhängige Medien als ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften angesehen, und oft als sogenannte meritorische Güter verstanden, also Güter, bei denen sich die Gesellschaft darauf geeinigt hat, dass diese rein marktwirtschaftlich organisiert nicht in ausreichendem Maße nachgefragt und produziert würden, und die deshalb besonders förderungswürdig sind. Wo würde es schließlich hinführen, wenn journalistische Organisationen nur noch jene Informationen berichten würden, die bei Lesern besonders populär sind? Nachfolgende Thesen zur Zukunft des Journalismus sollen den branchenspezifischen Weltuntergangsnarrativen etwas Zuversicht hinzufügen.
Das Ende klassischer Massenmedien
Traditionelle Massenmedien befinden sich in einer Glaubwürdigkeitskrise. Nicht wenige Legacy- Medienunternehmen pflegen nach wie vor ein Selbstverständnis, das Nachrichtenkonsumenten als gleichgeschaltete Massen versteht. Emanzipierte Nachrichtennutzer erwarten von Nachrichtenanbietern jedoch einen Dialog auf Augenhöhe, und eine Angebotspräzisierung, die konzise an ihren Interessen ausgerichtet ist. Im digitalen, globalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit gewinnt, wer Leser am besten versteht, Interessensgemeinschaften und Themen in der eigenen Leserschaft identifiziert, und diese mit spezifischen Angeboten bedient. Es ist an der Zeit, Leser direkt nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu fragen. Dies bedeutet nicht, die eigene journalistische Integrität marktwirtschaftlichen Prozessen zu unterwerfen. Es bedeutet vielmehr, das eigene Berichterstattungs-Portfolio stärker auszudifferenzieren, Nischen zu identifizieren und zu bedienen.
Entkoppelung von Journalismus und Plattformen
Als Verleger muss man sich endgültig vom Gedanken zentraler Nachrichtenplattformen verabschieden, und auch davon, kontrollieren zu können, wie und wo ein Nutzer Nachrichten konsumiert. Es gilt, Leser mit kleinteiligen, zugespitzten Angeboten zu erreichen, und es auch zuzulassen, dass diese Angebote itemisiert und granular konsumiert werden. Unternehmungen wie medium.com oder reported.ly zeigen, wie journalistische Berichterstattung jenseits traditioneller Plattformen bestehen kann. Verlage können den Kontrollverlust in der Plattformfrage akzeptieren, solange sie zugleich darauf achten, dass Werbung und Inhalt nicht entbündelt werden, bzw. entbündelter Content nur kostenpflichtig abgegeben wird. Nicht ohne Grund können Verleger mittels Instant Articles ihre Nachrichten nicht nur direkt auf Facebook hochladen, sondern sie kontrollieren dabei auch selbst, welche Werbung beigepackt werden soll. Die Zukunft gedruckter Tageszeitungen findet nicht zwingend auf Websites oder in proprietären Apps statt. Nachrichten müssen plattformunabhängig gedacht werden, und so auch plattformunabhängig konsumierbar und monetarisierbar sein.
Die Wiederentdeckung des Lokaljournalismus
Einsparungen führen dazu, dass Redaktionen ausgedünnt werden, Overhead-Redaktionen plötzlich für mehrere Lokalblätter die nationale Berichterstattung übernehmen, und agenturgetriebener Journalismus zur Homogenisierung der Medienlandschaft und zu einer Verflachung des Informationsangebots beiträgt. Potential für neue journalistische Unternehmungen tritt dort zutage, wo Einsparungen Lücken gerissen haben. Digitaler Lokaljournalismus ist ein solches Feld. Aus den Geburtswehen eines früh heraufbeschworenen Bürgerjournalismus und dem Hype um „Hyperlocal Journalism“ in den späten 2000ern, wie etwa um die U.S.-amerikanischen Plattformen Everyblock oder patch.com können professionelle Nachrichtenunternehmen wertvolle Schlüsse für ihre eigenen Geschäftsmodelle ziehen. In digitalem Lokaljournalismus liegt Mehrwert für spezifische, klar umrissene Zielgruppen – und Medienunternehmen können ihre lokale Expertise unter Beweis stellen.
Read the comments!
Dem Nutzer auf Augenhöhe zu begegnen heißt, sinnvolle Umgangsformen zwischen Journalisten und Nachrichtenkonsumenten zu entwickeln. Hier ist Journalismus in der Verantwortung, seiner gesellschaftlichen Aufgabe im Sinne von audiatur et altera pars nachzukommen, also einen ausgewogenen Dialog zu schaffen, der, auch bezogen auf Nachrichtenkommentare, beide Seiten der Medaille darstellt. Das journalistische Mantra „Don’t read the comments“, oder gar das generelle Abschalten der Kommentarfunktion, vielfach Hasspostings in Kommentarforen geschuldet, kann langfristig nicht die Frage lösen, wie zivilgesellschaftlicher Austausch im Internet funktionieren soll. Journalisten werden eine maßgebliche Rolle dabei spielen müssen, diesen Diskurs mitzugestalten. Denn nur, wenn auch in den Kommentarspalten der Nachrichtenangebote im Internet jene zivilen Umgangsformen und Debattenkulturen hervorgebracht werden, die demokratische Offline-Gesellschaften auszeichnet, wird Journalismus seiner gemeinschaftlichen Rolle gerecht.
Partizipative Formate für alle Anspruchsgruppen entwickeln
Kommentare dürfen nicht das Ende der Angebotspalette journalistischen Austauschs mit und zwischen Nutzern sein. Nicht jeder, der seine Meinung zu einem Artikel kundtun will, will auch einen Kommentar verfassen. Eine wesentliche journalistische Aufgabe wird es deshalb sein, partizipative Formate der Nutzerbeteiligung zu entwickeln, die unterschiedliche Grade des Involvements bedienen. Neben Kommentaren muss es dabei auch Platz für niederschwelligere Formen der Beteiligung geben – beispielsweise Abstimmungen, Themenvorschläge durch Nutzer, verschiedene Arten der Artikelbewertung, oder gar one-to-one Individualkommunikation zwischen Nachrichtenanbietern und Nutzern. Services wie die Nachrichtenapp Quartz oder Nachrichtenabonnements via Whatsapp simulieren bereits jetzt, wie individualisierter Journalismus im Stile von Direktnachrichten aussehen kann. Wenn Nachrichtenunternehmen es ehrlich meinen und ihre Nutzer wirklich verstehen wollen, so müssen sie zunächst (wieder)erlernen, ihrem Publikum zuzuhören.
Ein professioneller Journalismus des Zuhörens
Der digitale Journalismus der Zukunft wird nicht nur von Legacy-Medienunternehmen getragen werden. Ein Flickwerk an professionellen journalistischen (Mikro-)Akteuren, an Start-Ups, Legacy-Medienunternehmen, Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und Werbetreibenden wird die Anliegen unterschiedlicher, fragmentierter Interessensgemeinschaften bedienen. In der Gemengelage schlitternder Großverlage und auf Hypewellen surfender Nachrichten-Startups wird sich herauskristallisieren, welche Funktion Journalismus leisten muss. Es werden wohl weiterhin professionelle journalistische Akteure sein, die den Großteil journalistischer Angebote herstellen. Jedoch ist anzunehmen, dass im Journalismus der Zukunft vor allem diejenigen reüssieren, die inmitten traditioneller Berufsroutinen und –normen ein neues Selbstverständnis entwickeln: zuallererst den Lesern verpflichtet zu sein, und diesen nicht nur zuzuhören, sondern sie mit ihren Wünschen, Ängsten und Hoffnungen auch kennenzulernen. Ein Journalismus des Zuhörens und Moderierens hat gute Chancen, inmitten der Vielzahl an Stimmen im digitalen Raum Klarheit, Aufklärung und Orientierung zu schaffen.