Die Ehe ist ein Fernsehmythos. An ihm zu kratzen, gilt besonders am Freitagabend im Ersten als Sakrileg, das vom Publikum mit ewiger Patchwork-Verdammnis bestraft wird. Falls das Leitthema zu dieser Sendezeit also nicht die Rettung einer wackeligen Trauschein-Beziehung im Happyend ist, wird darin garantiert geheiratet. Ganz in Weiß, versteht sich. Und fröhlich bimmelt die Zwiebelturmkirche vorm Alpenpanorama. Doch für jede Regel gibt es bekanntlich zur Bestätigung die Ausnahme.

An diesem Freitag um 20.15 Uhr nämlich sind die Hochzeitsglocken so fern, dass sie für Degeto-Verhältnisse eher nach Requiem als Hosianna klingen. Jahrzehnte nach dem Ja-Wort hängt bei den Schröders der Haussegen schief. Nein – er liegt in Trümmern. Die Ehe von Bernd und Sabine ist in Routine erstarrt. Sie managt die Familie, er seine Firma, was den Alltag zusammen hält, ist allenfalls ihr jüngster Sohn. Doch nach der Abi-Feier folgt er den zwei Brüdern in die Freiheit und schlägt der Beziehungsfassade damit abrupt den Putz ab: Empty Nest Syndrome, übersetzt in die Titelsprache öffentlich-rechtlicher Familienkomödien: „Eltern allein zu Haus“.

So heißt die ARD-Trilogie um drei Mütter und Väter, denen nach Auszug des letzten Kindes der konservierte Trott um die Ohren fliegt. Zum Auftakt des Dreiteilers, deren Protagonisten sich über 270 Minuten immer wieder mal über den Weg laufen, sind die zwei vereinsamten Schröders auf einem Schutzturm im Wattenmeer gefangen, wo sie von der Flut überrascht auf jene Ebbe warten, die ihr Leben auch emotional seit Jahren im Griff hat. die Rückblende im Anschluss zeigt, warum. Und sie tut es unter Josh Beckers Regie durchaus schlüssig, vorwiegend heiter, aber selten so seifig, wie es auf dem Sendeplatz oft der Fall ist.

Das hat zwei Gründe. Der erste ist Nina Bohlmanns Buch, dessen Hauptfiguren mehr noch als bei „Die Winters“ (31. März) und „Frau Busche“ (7. April) hingebungsvoll am Versuch scheitern, trotzigen Stolz mit liebevoller Fürsorge in Einklang zu bringen. Was, Grund Nr. 2, vor allem wegen der Hauptdarsteller gelingt: Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer. Ihre Sabine und sein Bernd verrennen sich auch deshalb so authentisch im Kampf gegen die Windmühlen vermeintlicher Gegnerschaft, weil beide ein reales Vorbild langjähriger Beziehungsarbeit haben: sich selbst.

Kramer und Krassnitzer sind länger zusammen als Abiturienten alt sind, zur Hälfte mit Gottes Segen. Daher, so die Ehefrau, „konnten wir aus unserem Erfahrungsschatz schöpfen“, wenngleich ohne, meint ihr Ehemann, „Privates mit Beruflichem zu vermischen“, weshalb die Gattin hinzufügt, man versuche „bei jedem Film die Waage zwischen der Inspiration durch gelebtes Leben und der Rolle zu finden“, worauf ihr Gatte entgegnet, „in diesem Fall ist das vergleichsweise leicht, weil deren Lebensrealität mit der unsren wenig zu tun“ habe, was beide mit der Feststellung abschließen, dies seien die Schröders, nicht deren Darsteller. „Punkt!“

Und wie sich Harald Krassnitzer, der den Sohn von Kramers Ex-Freund Jan Josef Liefers 17 Jahre lange mit aufgezogen hat, diesen freundschaftlichen Schlagabtausch über Fiktion und Wirklichkeit mit seiner Liebsten liefert, da wird klar: Der Schlüssel haltbarer Ehen auf Augenhöhe heißt Reden. „Die furchtbarste Form kommunikativer Eskalation ist Schweigen“, betont der österreichische Mittfünfziger und sieht seiner sechs Jahre jüngeren Frau aus Wuppertal nicht schwer verliebt, aber spürbar respektvoll in die Augen. Solange es was zu bereden gibt, bestehe Interesse und damit Kontakt. „Das erleben wir auch bei uns.“

Hach…

Nun ist ein Interview im Luxushotel keine Paartherapie auf der Praxiscouch und alles, was darin gesagt wird, entsprechend unterm Aspekt des PR-Gedankens zu relativieren. Doch Kramer und Krassnitzer präsentieren sich seit Beginn ihrer Beziehung bedingungslos öffentlich als geschlossene Einheit – ganz gleich ob laut gegen Nazis, auf WG-Suche bei „Zimmer frei“ oder in diversen Talkshows und gelegentlich gar gemeinsamen Filmen. „Über 18 Jahre verteilt drei, viermal“, zählt Krassnitzer vor, „auch als Paar“, präzisiert Kramer. Erstmals im Jahr 2000 übrigens, wo die fiktiven Figuren des realen Liebespaars im Ärzte-Melodram „Allein unter Männern“ erst busselnd im Bett landen und danach wie so oft bei Inga Lindström gemeinsam dem Horizont entgegen reiten.

Das ist, mit Verlaub, nicht selten die Messlatte zweier Genregrößen, denen der Mainstream des Gefühlsfernsehens mit Abstechern in die Seitenarme mit Anspruch selten zu seicht war. Der hyperintellektuelle Bühnenstar aus Salzburg mit „Bergdoktor-“ bis „Winzerkönig“-Historie bei aktuellem Haupterwerb im Wiener „Tatort“ und die jüngere, aber am Bildschirm erfahrenere Gefühlsfernsehdarstellerin vom Dienst – sie ticken einfach zu ähnlich, um das zu erproben, was Sabine und Bernd Schröder auf Anraten ihrer Eheberaterin versuchen: Täglich 30 Minuten Gespräch nach Stoppuhr. „Ich könnte das nicht“, sagt Ann-Kathrin Kramer. Das müsse man aber auch nur, beruhigt Harald Krassnitzer, „wenn der Karren schon kurz vor der Wand ist.“ Und das, da sind sich beide einig, „ist er bei uns nicht, keine Sorge“. Klingt ziemlich glaubhaft.