„Wo man singt, da lass dich nieder“, schrieb einst der Dichter Johann Gottfried Seume und erklärte sogleich, warum: „Böse Menschen haben keine Lieder.“ Ach, wenn das doch so einfach wäre… Schon als die Bilder auch am Bildschirm laufen lernten, kündigte die zeitgemäß blondgewellte Ansagerin des nationalsozialistischen „Fernsehsenders Paul Nipkow“ dem Publikum „zum Ausklang des Abends Marschmusik“ an und beendete das Tagesprogramm mit einem zünftigen „Heil Hitler!“ So dunkel die Zeit, so wuchtig die Töne.

Zwölf Jahre, einen Krieg und Abermillionen Tote später sang die blutjunge Film- und Fernsehrepublik zwar weit weniger boshaft als gäbe es nach Vorhang oder Sendeschluss kein Morgen, geschweige denn ein Gestern. Doch leider war das Land wie sein neuestes Medium noch immer noch voll von den Menschen, deren Bosheit kurz zuvor den halben Globus in Brand gesteckt hat. Rein musikalisch also hätte es – träfe Seumes kleines Gedicht zu – totenstill sein müssen in den Trümmern des untergegangenen Reiches. War‘s aber nicht. Besonders am Bildschirm, der noch aus einer Röhre bestand.

Auf ihm wird schließlich seit jeher musiziert bis der Landarzt kommt oder wahlweise der Bergdoktor. Schon als die ARD-Keimzelle NWDR am 1. Weihnachtstag 1952 von einem Hochbunker in Hamburg aus ihr zweistündiges Regelprogramm startet, kündigt die Ansagerin Irene Koss ein TV-Spiel zum Festlied Stille Nacht, heilige Nacht an, dicht gefolgt vom lokalen Rundfunkorchester mit dem Tanzstück Max & Moritz. Fernsehen heißt zum Auftakt vor allem viel Erbauung bei wenig Belastung. Willy Millowitsch singt Kölsch, Heidi Kabel Platt, der ESC Chansons. Erst als die Tageschau 1956 ihre Fanfare erhält, wird sie zum Soundtrack der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Die Melodik des Fernsehens allerdings bleibt abgesehen von der schweren Klassik, die regelmäßig live übertragen wird, vorwiegend heiter. Während das Massenkino seine Besucher bis tief in die Sechziger hinein vornehmlich Heimatfilmsoße auf den Feierabendbraten kippt, sedieren sich auch die Besitzer der anfangs kaum 5000 Apparate gerne mit klingender Hausmannskost. Kein Wunder. Bevor Peter Frankenfeld der beliebteste TV-Conférencier im Wirtschaftswunderland wird, hat er die Moral seiner Wehrmachtskameraden hochoffiziell mit lustigem Liedgut gestärkt. Fürs kampfesmüde, erinnerungsfaule, entspannungswillige Nachkriegspublikum setzt die Frohnatur im Grobkarojackett das dann nur mit neuen Texten fort.

Doch anders als viele Künstler von Goebbels Gnaden hatte der erste Topstar des Leitmediums in spe stets Distanz zum Teufel gewahrt. Sein ulkiger Eskapismus klingt daher argloser als jener von Johannes Heesters, der schon unter Hitler weit besser singen als hinsehen konnte. Eher umgekehrt verhält es sich nun mit Frankenfelds Kollegen der Adenauer-Ära: Heinz Erhardt, Hans-Joachim Kulenkampff, Heinz Schenk, der besonders. Der hessische Gemütsmensch kreiert 1957 mit dem Blauen Bock die Blaupause sketchbasierter Fernsehmusik und chiffriert den Showbegriff so nachhaltig mit vergnüglicher Naivität, dass Florian Silbereisen damit bis heute Topfquoten scheffelt.

Als Schenk 30 Jahre darauf nach 208 Samstagen abtritt, lernt der lustige Erstklässler wohl gerade Akkordeon. Ansonsten hätte ihm sein Urahn gewiss die Bühne für Größeres bereitet wie einst für Vico Torriani, Catarina Valente, Chris Howland, Peter Alexander, große Kaliber mit klingenden Namen. All diese Importkünstler bekamen schließlich bald eigene Shows und brachten darin nicht nur ein wenig Glamour und Exotik zwischen Käse-Igel und Eichen-Anrichte. Sie prägten auch das Fernsehen als gut geschmierter Durchlauferhitzer jenes Saftes, in dem es schwimmt.

Sein Tonfall entwickelte sich dabei im Gleichschritt von der Begleitmusik zum Wesenskern des Gezeigten. War die Grenze zwischen Spielfilm und Musical bis Ende der Fünfzigerjahre noch so fließend wie die zwischen Show und Revue, werden Melodien für Millionen nun zügig zum Inhalt des Ganzen. In der Nachkriegsluft liegt also nicht nur Pulverdampf, sondern auch reichlich Musik.

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