Im Straßenverkehr von Las Vegas lässt sich bereits ein kleiner Vorgeschmack auf die Zukunft des autonomen Fahrens erleben. Mietwagenvermittler und Uber-Rivale Lyft hat auf ausgewählten Strecken fahrerlose Limousinen im Einsatz. Die kommen zwar zur Vorsicht mit jeweils zwei menschlichen Mitarbeitern, doch deren Job ist es lediglich, zu beobachten und im Notfall einzugreifen. Als Fahrgast muss man sich in der Lyft-App zuvor für die Option 'self-driving cars' freischalten lassen.

Vor allem während der CES – der weltgrößten Consumer-Tech-Messe, zu der rund 180.000 Fachbesucher und 4.500 Aussteller nach Las Vegas kommen – wecken solche Experimente die Fantasie nach mehr. Sowohl die Automobil- als auch die Medienindustrie sind seit Jahren zahlreich hier vertreten. Diesmal haben sie sich gegenseitig so viel zu sagen wie noch nie zuvor. Denn die Aussicht auf selbstfahrende Autos ruft enorme Begehrlichkeiten hervor: Keiner will sich die potenzielle zusätzliche Screentime der Passagiere entgehen lassen.

Es macht ein bisschen den Eindruck, als würde das Fell des Bären schon verteilt, ehe er erlegt ist. Allen gängigen Prognosen zufolge dürfte es noch etwa zehn Jahre dauern, bis die komplette Autonomie der Fahrzeuge ohne weiteren Bedarf menschlicher Intervention in der Realität angekommen ist. Das hindert die Anbieter nicht daran, immer neue Studien und Prototypen vorzustellen. Dabei mischen in puncto Bord-Entertainment nun nicht mehr nur die klassischen Radio- und Audioveranstalter mit, sondern erstmals auch TV-, Film- und Video-Player.

An der Spitze der Bewegung stehen Disney und Audi, deren frisch verkündete Kooperation auf der CES für Aufmerksamkeit sorgt. Die Technikspezialisten von Walt Disney Imagineering haben den e-tron, Audis neuen elektrisch angetriebenen SUV, mit einer 'premium entertainment experience' ausgerüstet. Konkret geht es um den VR-Game-Prototypen "Marvel's Avengers: Rocket's Rescue Run", für den eine VR-Brille vom Typ Oculus Rift und ein Feuerbutton benötigt werden. Ziel der Weltraumjagd ist es, Angreifer und entgegenkommende Felsbrocken abzuschießen. Beschleunigung und Kurvenlage des Audi e-tron werden dabei direkt auf das Spiel übertragen: Je schneller der Wagen, desto schneller auch das eigene Raumschiff. Biegt der Fahrer in der Realität nach rechts ab, macht dies auch das Raumschiff im Game.

CES 2019 / Audi, DisneyNoch ist das VR-Abenteuer natürlich nur für Passagiere auf der Rückbank vorgesehen, die alternativ auch auf passive Berieselung durch Disney-Filme umschalten können. In Zukunft – wenn sich kein Mensch mehr ums Steuer kümmern muss – lässt sich die Fahrtzeit so für alle Insassen verkürzen. "Während diese CES-Demo bloß im Geist des Forschens und Experimentierens entstanden ist, prüfen wir ständig aufkommende Technologien, um unsere Geschichten und Erlebnisse zu verbessern", so Mike Goslin, Vice President Disney Games & Interactive Experiences. Die Audi-Tochter Audi Electronics Venture will das Prinzip über ihre Beteiligung an dem Startup Holoride zur offenen Entertainment-Plattform ausbauen und in den nächsten drei Jahren durch Lizenzen an Content-Anbieter sowie Autohersteller kommerzialisieren.

Schon rechnen allerhand Experten vor, was es für den Medienkonsum bedeuten könnte, wenn autonome Fahrzeuge dem durchschnittlichen Erwerbstätigen etwa 60 bis 90 Minuten zusätzliche Zeit pro Tag schenken. Deloitte Consulting prognostiziert für das Jahr 2030, dass in den USA über 52 Milliarden Stunden an Medieninhalten pro Jahr im Auto konsumiert werden. Im Vergleich zu 2017, wo noch vorwiegend Radio- und Smartphone-Inhalte zu Buche schlugen, wäre das mehr als eine Verdopplung. "Das Auto ist heute das letzte Überbleibsel einer Welt ohne permanente Videoscreens vor unseren Augen – aber nicht mehr lange", frohlockte Viacom-CEO Bob Bakish auf der CES.

"Es ist klar, dass wir derzeit noch nicht wissen, welche Formen von Storytelling und Distribution sich als native Formate für selbstfahrende Autos durchsetzen werden", notiert Analyst John du Pre Gauntt in seinem Whitepaper "Media for Autonomous Vehicles: The 25th Hour is the New Prime Time". Zumindest könne man voraussagen, dass Content-Anbieter, die im autonomen Auto der Zukunft erfolgreich sein wollen, eine Kombination aus menschlicher Kreativität, künstlicher Intelligenz und Cloud-Computing einsetzen müssten. Das aktuelle Audi-Disney-Beispiel zeigt anschaulich, welchen Einfluss fahrzeugspezifische Daten und Sensoren künftig darauf haben könnten. Der Kampf um eine neue Medienplattform mit noch mehr Screentime kann also beginnen.