Eurosport ist ein kurioses Konstrukt. Einst als gemeinschaftliches Projekt der Europäischen Rundfunkunion gestartet, befand sich der Spartenkanal zwischenzeitlich im Besitz eines französischen Privatsenders, ehe der amerikanische TV-Riese Discovery 2015 sämtliche Anteile übernahm. Man muss die Geschichte des Senders kennen, um verstehen zu können, welchen Wandel er seit dem Start durchgemacht hat. 30 Jahre liegt dieser nun zurück und einer, der von Beginn an dabei ist, ist Sigi Heinrich. Unzählige Stunden hat er Leichtathletik oder Wintersport am Mikrofon kommentiert, mitunter sogar Reiten und Basketball.

Wer jemals eine Live-Übertragung bei Eurosport gesehen hat, wird mit einiger Sicherheit die Stimme von Sigi Heinrich vernommen haben. "Der Sigi ist ein Rockstar", zitierte der Münchner "Merkur" den früheren Slalom-Weltmeister Frank Wörndl vor einiger Zeit, als er sich an die Olympischen Winterspiele 1994 in Lillehammer erinnerte, an deren Rande Heinrich nach einem ausgelassenen Mittagessen ein Skirennen für Journalisten organisierte und mit verrutschtem Helm im Blindflug über die Piste raste. Es waren nicht seine ersten Spiele - und es sollten nicht seine letzten bleiben. 2018 in PyeongChang saß er zum 13. Mal am Olympia-Mikro.


In den Anfangsjahren von Eurosport waren Vor-Ort-Berichte noch die Ausnahme, weil sich in den Kassen schon nach kurzer Zeit nur wenig Kohle befand. "Der Anfang sah sehr rosig aus", erzählt Heinrich, der für Eurosport einst seinen Job bei der "Süddeutschen Zeitung" gekündigt hatte. "Wir waren beim niederländischen Rundfunk NOS untergebracht und wurden mit einer Stretch-Limousine abgeholt. Da dachten wir im ersten Moment: das ist eine Offenbarung, ein Schritt ins nächste Jahrtausend. Aber aus der Limousine wurde schnell ein kleines Auto und später daraus ein großer Omnibus. Und die Unterbringung war dann auch nicht mehr im 4-Sterne-Hotel, sondern in einem kleinen Hotel. Da wussten wir: die Anfangsphase ist vorbei, jetzt wird es ernst."

Und so kam es, dass die damaligen Betreiber den Sender schon nach eineinhalb Jahren wieder schließen wollten. "Der letzte Satz, der gesprochen wurde, war von meinem Kollegen Hans-Heinrich Isenbart, der Pferdesport-Kommentator war und der sagte: 'So, das war’s, und vergessen Sie die Pferde nicht'", erinnert sich Sigi Heinrich. "An uns hat keiner gedacht, aber an die Pferde sollten wir uns immer erinnern." Mit dem Einstieg von TF1 im Jahr 1991 habe man schließlich jedoch in Paris neu durchstarten können. Fünf Jahre danach folgte Werner Starz dem Ruf von Eurosport. Heute ist Starz als Director für die Produktentwicklung verantwortlich. Auch er sagt: "Die Zeit, in der ich zum Sender kam, lässt sich mit der heutigen Zeit nicht vergleichen."

Werner Starz© Discovery
Damals sei alles kleiner und familiärer gewesen, erklärt Starz (Foto). "Der Bürgermeister vom Sachsenring hielt meine langjährige Mitarbeiterin und mich sogar lange für ein Ehepaar, weil wir nur zusammen erschienen sind." Doch auch das Zuschauerverhalten habe sich verändert. "Der Fußball war früher längst nicht so dominant, das erste Bundesliga-Livespiel wurde ja überhaupt erst Mitte der 80er Jahre übertragen." Auf diese Weise habe Eurosport vor 20 Jahren mit Eiskunstlauf in der Spitze noch über eine Million Zuschauer erreicht. "Das ist heute schwer geworden", weiß Starz. Da kommt es gelegen, mit Discovery einen Konzern im Rücken zu wissen, der die nötigen Millionen für teure Sportrechte freigibt.

So wie vor knapp vier Jahren, als Eurosport überraschend die Rechte an den Olympischen Spielen kaufte - für weit mehr als eine Milliarde Euro. Auch mit dem Kauf einiger Bundesliga-Spiele sorgte der Sender kurz darauf für Furore und mit Boris Becker, Sven Hannawald und Matthias Sammer zählt man inzwischen auch hochkarätige Experten zum Kreis der Familie. "Als Eurosport begann, waren wir eine Art lineares DAZN - ein Feed wurde an den nächsten gehängt", sagt Werner Starz. "Heute machen wir uns ganz andere Gedanken über Inszenierung und Produkt, weil wir wissen, dass wir den Sport dadurch noch attraktiver machen können."

Deutscher Ableger besitzt eine Sonderstellung

Man sei ein großes Stück aus der Nische herausgekommen, betont er, doch die Quoten sprechen oft eine andere Sprache. Als die ARD im vorigen Jahr nach zähen Verhandlungen mit Discovery doch noch die Eröffnung der Olympischen Winterspiele zeigen durfte, schalteten über vier Millionen Zuschauer ein. Bei Eurosport zählte die parallele Übertragung dagegen kaum mehr als 100.000 Fans. Der Marktanteil des Senders liegt heute im Schnitt bei nur einem halben Prozent, meist muss man sich dem mit deutlich geringeren Mitteln ausgestatteten Sport1 geschlagen geben. 

Innerhalb der Eurosport-Familie nimmt der deutsche Ableger jedoch eine besondere Stellung ein, weil der Sender in anderen Ländern ausschließlich im Pay-TV beheimatet ist. "Dadurch müssen wir inhaltlich immer eine Sonderrunde drehen und besser sein, weil wir uns mit einem großen Sender-Angebot messen lassen müssen und eine andere Form der Finanzierung brauchen", sagt Starz. Allerdings sind Bezahlangebote für Eurosport auch hierzulande wichtiger geworden, wie die massive Bewerbung des Eurosport Players zeigt. "Die Bereitschaft der Zuschauer, für Inhalte zu zahlen, steigt in Deutschland weiter. Daran hat die Bundesliga einen großen Anteil", erklärt der Produktchef. Genaue Zahlen nennt er nicht.

Sigi Heinrich können Quoten und Abo-Verkäufe egal sein, er gehört ohnehin zum Inventar. Doch auch er spürt den Wandel, den Eurosport durchgemacht hat. "Das sind Welten", sagt er, angesprochen auf die Arbeitsweise des Senders damals und heute. Seine Art zu kommentieren habe er jedoch nicht verändert, auch wenn der nationale Schwerpunkt durch den neuen Eigentümer intensiver geworden ist, "aber bei mir finden alle Sportler und Nationen Beachtung". Man müsse den Kommentatoren weiterhin einen gewissen Freiraum lassen. "Mir wurde nie gesagt, dass ich meinen Stil ändern oder meinen Dialekt aufgeben soll. Das ist für mich das Wichtigste."


Man müsse auch mal einen lockeren Spruch riskieren und ein wenig polarisieren, um sich von den anderen abzuheben, fordert Heinrich und wenn man sich die Bemerkungen mancher Zuschauer in den sozialen Netzwerken durchliest, dann scheint ihm die Sache mit dem Polarisieren in all den Jahren ganz gut gelungen zu sein. Ohne Heinrich ist das deutsche Eurosport kaum vorstellbar - und auch mit inzwischen 65 ist dem Kommentator die Freude am Sport nicht vergangen. "Jedes Volleyball-Spiel, das ich kommentieren darf, begeistert mich noch heute von der ersten Minute an", erzählt er. Doch seine schönsten Momente verbindet Sigi Heinrich nach wie vor mit Olympia.

Als die Box-Legende Muhammad Ali 1996 in Atlanta das Feuer entzündete, habe er Tränen in den Augen gehabt und dass er wegen fehlender Übertragungsrechte nicht aus Rio und Sotschi berichten durfte, sei das Graumsamste für ihn gewesen. "Da habe ich sozusagen auf dem Teppich gelegen und geweint. Das hat fürchterlich wehgetan." Glücklicherweise habe EUrosport Erbarmen gehabt und ihn aus Rio zumindest die Highlight-Sendungen kommentieren lassen. "Aber für mich ist es ein Riesen-Unterschied, ob man Olympia komplett miterlebt oder ob man die Spiele nur zeitweise anschaut", sagt Heinrich. "Ich hoffe, dass wir die Olympia-Rechte noch lange behalten." Zumindest bis zum 35. Sendergeburtstag ist das ganz sicher der Fall.