Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Welcher Filmschaffende hätte Anfang des Jahres überhaupt nur daran gedacht, irgendwann einmal Bewegtbilder in Isolation produzieren zu müssen? Die Corona-Pandemie fordert nun spontane Kreativergüsse, die sich auf minimalen Kontakt mit anderen Menschen beschränken. Eine Ausnahmesituation wie diese ist mehr als ärgerlich und gar existenzgefährdend. Umso schöner ist es, zu beobachten, dass die Branche stellenweise die Chance in der Krise ergreift und Formate produziert, die es in dieser Form sonst wahrscheinlich nie gegeben hätte. Vor allem ZDFneo prescht mit frischen Ideen nach vorne, hat die "Homies" auf Sendung gebracht und Geschichten von "Drinnen" erzählt. Nun wird das soziale Auseinander in "Liebe. Jetzt!" zelebriert, eine Serie, die in Kurzgeschichten von all den Problematiken erzählt, die momentan so gut wie jeder Mensch auf dieser Welt nur zu gut kennt.

Die Rede ist von Beziehungen aller Facetten: Die ungeklärte Frage, wie fest man eigentlich schon zusammen ist, das erste Date übers Smartphone oder zwei Arbeitskollegen, die die räumliche Bürotrennung nicht verkraften. In jedem Aspekt spricht "Liebe. Jetzt!" all die Bedürfnisse an, die derzeit zu kurz kommen. Selbst die Schauspielerriege des Neoriginal durfte für ihren Arbeitseinsatz nichts aus den eingedampften Bewegungsräumen ausbrechen. So wurden beispielsweise nur Darsteller für die Pärchenkonstellationen gecastet, die im echten Leben ebenfalls liiert sind. "Es war spannend und eine Herausforderung, zwei Schauspieler zu finden, die zusammen wohnen und dann auch noch zusammen spielen wollen", schmunzelt Pola Beck, die neben Tom Lass als Regisseurin tätig war. Geschrieben wurden die Kurzgeschichten von Jane Ainscough, Luisa Hardenberg, Lena Krumkamp, Alexander Lindh und Malte Welding.

Gefunden haben sich dann doch mehr, als gedacht: Marie Burchard und Sebastian Schwarz sind wirklich verheiratet, ebenso wie Clelia Sarto und Aleksandar Jovanovic. Auch Natalia Belitzki und Jürgen Vogel, die in der ersten Folge von "Liebe. Jetzt!" zu sehen sind, bandeln miteinander ein. Die Chemie ist erfreulicherweise spürbar. Auch, dass die Darsteller behind the scenes deutlich mehr zu leisten haben, als in ihrem Arbeitsprofil normalerweise vermerkt ist, tat der Qualität der Serie keinen Abbruch. "Beim normalen Set sagst du 'Ton ab!' und los geht’s. Hier musst du deinen Schauspielern sagen: Mach den Ton-Recorder an, drücke beim Handy auf Aufzeichnung, schlage die Klappe, damit alles synchron ist und erst dann kann der Take beginnen", so Tom Lass. 

Technische Assistenz gab es lediglich von einer Person, die nur unter den geforderten Sicherheitsmaßnahmen das Set betreten hat. "Das wäre sonst zu viel für die Schauspieler gewesen, da so etwas dann doch zu viel Konzentration zieht", ergänzt Beck. Die wurde im Allgemeinen bei allen Beteiligten strapaziert. "In der Vorproduktion haben wir teilweise acht Stunden am Stück in Konferenzen gehangen, um Dinge zu organisieren: Kostümproben, Leseproben, Abnahmen von Motiven, Abnahmen von den Wohnungen, die uns über Zoom gezeigt wurden. Wenn das acht Stunden geht, bist du dann auch einfach mal tot." Und heiser, da mit der Zeit immer lauter gesprochen wird: "Die Nachbarn müssen auch denken, dass man bekloppt ist."

"Liebe. Jetzt!" wurde unter extremen Bedingungen produziert, wie ZDFneo-Chefin Nadine Bilke im Gespräch verrät: "Zwischen dem ersten Konzept und der ersten Sendung liegen jeweils nicht mehr als ein Monat. Das geht nur durch schnelle Entscheidungen, kurze Wege und unglaublich hohen Einsatz aller Beteiligten." Und mit kreativen Machern, die auf diese Umstände eingehen können und wollen. Dafür hat sich Produzent und Initiator Lasse Scharpen von Studio Zentral mit Pola Beck und Tom Lass zwei Regisseure geschnappt, die bei der Web-Serie "Druck" bereits bewiesen haben, dass sie lieber den ungewöhnlichen Weg gehen. 

Die Strategie für 2020 musste bei ZDFneo zudem noch nicht komplett neu überdacht werden. "Wir beobachten genau welche Sicherheitsstandards und Hygiene-Vorschriften es gibt und werden Woche für Woche neu entscheiden, was wir und wie wir produzieren können", so Bilke. "So haben wir zum Beispiel mit großem Bedauern die Aufzeichnung weiterer Folgen der zweiten Staffel "Zart am Limit" mit Laura  Karasek zunächst in den Herbst verschoben, genauso wie einige Piloten, die mit Publikum entstehen sollen." Generell sei der Jahresplan aber noch einigermaßen auf Kurs. 

Wenn es nach dem Regie-Duo Beck und Lass geht, muss dieser kreative Kurs nicht auf ewig anhalten. "Es war ein bisschen back to the roots und aus der Not eine Tugend machen", resümiert die "Am Himmel der Tag"-Schöpferin. "Das hat mir gezeigt, dass man es sich als Filmemacher nie zu gemütlich machen sollte." Eine derart enge Deadline solle jedoch nicht der Standard werden. "Es sollte immer genügend Zeit für die Kreativität da sein. Auch Menschen haben Akkus, die aufgeladen werden müssen. Außerdem bin ich für vernünftige Arbeitszeiten und Finanzierungsmodelle", formuliert Lass seinen Appell. In jedem Fall sind beide glücklich, bei "Liebe. Jetzt!" mitgewirkt zu haben. "Es ist schön zu sehen, dass man auch über Zoom eine gute Serie machen kann."

Auch die Senderchefin ist durch die jüngsten Projekte positiv gestimmt. "Die Krise hat mir gezeigt, wie schnell sich die Kolleginnen und Kollegen bei ZDFneo und insgesamt im ZDF, die Produzentinnen und Produzenten und auch die Kreativen auf neue Umstände einstellen können. Und wenn es schnell gehen muss, dann kann mit wenigen Mitteln viel geschaffen werden." Zum i-Tüpfelchen dieser Zeit hätte unter anderen Umständen auch Jan Böhmermann werden können, der im Dezember ein letztes Mal mit dem "Neo Magazin Royale" im Spartenprogramm zu sehen war. "Corona oder nicht: Jan Böhmermann würden wir natürlich immer auf Sendung schicken, das haben wir Jahre lang und mit großer Überzeugung getan." Neben seinem Spotify-Podcast "Fest & Flauschig, den er momentan beinahe täglich aufzeichnet, befindet er sich jedoch in einer kreativen Denkerpause, ehe er Ende des Jahres im ZDF-Hauptprogramm zu sehen ist. Nadine Bilke schaut indes nach vorne: "Neo zieht weiter."

"Liebe. Jetzt!" steht seit dem 1. Mai in der ZDFmediathek zum Streaming zur Verfügung. Am Sonntag, dem 3. Mai werden ab 21:45 Uhr alle sechs Folgen bei ZDFneo zu sehen sein.