Dass eine Reporterin vor laufender Kamera sprachlos ist, kommt selten vor. Doch als Isabel Schayani vor knapp zwei Wochen von der Moderatorin der "Aktuellen Stunde" gefragt wurde, wie sie die Menschen nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria erlebe, schüttelte diese nur den Kopf und begann erst nach einigen Sekunden zu sprechen. "Das ist jenseits von Worten. Du gehst hier rein, hinter der Polizeikontrolle. Du hörst keine Stimmen und dann liegen die da alle. Nicht Hunderte, Tausende." Schon bei ihrem letzten Besuch habe sie gedacht, es gehe nicht schlimmer. Nun sagte sie: "Das ist schlimmer."

Es war ein eindringlicher Moment, der an diesem Abend live im WDR über den Sender ging, weil er eine ungewohnte Emotionalität transportierte. Doch Schayani weiß, wovon sie spricht. Schon mehrfach war die Journalistin, die die Redaktion von WDRforyou, einem mehrsprachigen Angebot für Flüchlinge und Migranten, leitet und für ihre Beiträge bereits den Grimme-Preis erhielt, im vergangenen Jahr auf Lesbos. Immer wieder berichtete sie über die Situation der Menschen in Moria. Abgebrüht ist sie deshalb nicht. Der kurze Ausschnitt aus der "Aktuellen Stunde" zeigt jedoch, wie schwierig es mitunter für Journalistinnen und Journalisten sein kann, die Distanz zu wahren. 

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"Es gibt Dinge, die es schwer machen, durchweg distanziert die Dinge zu betrachten", räumt Isabel Schayani gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de ein und erinnert sich an einen Livestream, den sie zusammen mit einem Kollegen gemacht hat. Plötzlich wurden die beiden zu einer Frau geholt, die auf dem Boden lag. "Man wusste als Laie nicht, wie lange sie noch leben würde", erzählt die Journalistin. "Die Polizei hatte dem Ehemann gesagt, man hole keine Ambulanz, sie solle sterben. Wir haben uns dann während des Streams aufgeteilt. Mein Kollege hat weiter reportiert und ich habe versucht, Hilfe zu holen. Am Schluss wurde die Frau in einer Decke zum Checkpoint geschleppt. Wir haben mit der Polizei gesprochen, die dann die Ambulanz rief. Die Frau wurde ins Krankenhaus gebracht."

Auch Paul Willmann berichtete in den vergangenen Wochen aus Moria. "Einfach ist das nicht", sagt der Reporter des Nachrichtensenders Welt, angesprochen auf die journalistische Distanz. "Ich verfalle aber automatisch in einen gewissen Arbeitsmodus und versuche, die Eindrücke abzubilden. Es ist nun mal bei unserer Arbeit so, dass wir das, was wir sehen und erleben, aufs Bild bringen. Ich bin dann sehr unter Anspannung und fokussiert. Bei mir kommt das Ganze eigentlich erst richtig an, wenn ich zuhause bin, alles ausgepackt habe und zur Ruhe komme."

Paul Willmann © Welt Welt-Reporter Paul Willmann

Die Migranten bezeichnet Willmann als "sehr offen und höflich", oft wollen sie ihre Geschichte erzählen oder sind schlicht froh, dass überhaupt jemand da ist. "Sie geben sich alle Mühe, dass man eine Kommunikation hinbekommt. Es kommt teilweise sogar vor, dass uns Wasser und Essen angeboten werden von Leuten, bei denen man ganz genau sieht, die haben eigentlich selbst nichts. Wir werden dann natürlich auch oft von Kindern wegen der Kamera angesprochen. Das ist aufregend für die Kinder, die sonst nicht viel erleben hier." Schnell bilde sich dann eine Traube von Menschen, was in Zeiten von Corona nicht ganz unproblematisch sei. "Vor allem, weil man über die Infektionssituation hier gerade gar nichts weiß. Da müssen wir dann schon auch mal darum bitten, Abstand zu halten." Auch Masken seien nicht in ausreichendem Maße vorhanden.

WDR-Reporterin Isabel Schayani hat ähnliche Erfahrungen gemacht. "Verzweifelt, aufgewühlt, ausgehungert, krank, immer noch auf Deutschland hoffend, fast immer respektvoll, nur manchmal aggressiv", charakterisiert sie die Menschen in Moria. "Öfter kennen sie uns mit Namen und uns wurde sogar Tee angeboten an einem Ort, wo Wasser wirklich den Wert von Gold hat, weil es so wenig davon auf der Straße gab." Die griechischen Behörden, sagt sie, hätten die Menschen nicht mit Wasser versorgt." Doch Schayani denkt auch an die andere Seite. "Die griechische Bevölkerung ist zu Recht gebeutelt von uns Journalisten. Sie müssen damit klarkommen, dass sie mit dieser Katastrophe leben müssen und dann kommen diese vielen Menschen aus dem Ausland und berichten ihre Insel kaputt. Man kann gut verstehen, dass sie nicht mehr so gerne mit Journalisten sprechen."

"Weggeschickt ohne Begründung"

Und wie steht es um die Arbeitsbedingungen? Schayani berichtet davon, dass es für Journalistinnen und Journalisten problemlos möglich war einzureisen. Auch mit den Unterkünften ist sie zufrieden. Der Zugang zu den Menschen, die erst im Lager und später auf der Straße lebten, sei allerdings von Tag zu Tag durch griechische Sicherheitskräfte schwieriger geworden. "Mehrfach wurde der Bereich der Straße willkürlich gesperrt. Für bis zu 36 Stunden. Oder man stand an der Absperrung und hat gewartet, dass man rein durfte." Von derartiger Willkür berichtet auch Paul Willmann. "Von der Polizei werden wir teilweise völlig willkürlich abgewiesen, weggeschickt ohne Begründung. Zwei Stunden später geht’s dann doch wieder." 

Willmann erzählt, angegangen worden zu sein, sodass andere Wege gefunden werden mussten, um Zugang zu Camp zu erhalten. "Zum Beispiel über die Hügel mit viel Equipment laufen, um dann eben trotzdem Bilder zu machen", sagt der Welt-Reporter zu DWDL.de. "Wir haben den Eindruck, dass wenn wir mit der Kamera vor Ort sind, sich die Einsatz- und Sicherheitskräfte etwas zurückhalten, was das energische Vorgehen angeht." Schwierig, betont Isabel Schayani, sei es nachts gewesen, weil es die Warnung gab, dass gewaltbereite Bürger auf ausländische Helfer und Journalisten losgehen könnten. "Zum Glück haben wir das selbst nicht erlebt." Was künftige Arbeitsbedingungen angeht, ist die WDR-Reporterin pessimistisch, weil die Menschen in einem neuen Lager sind, zu dem es keinen Zugang gibt.

Wer all das Elend auf Lesbos aus nächster Nähe sieht, kann sich womöglich wundern über kritische Stimmen aus Deutschland und dem Rest Europas, die sich an den Flüchtlingen ebenso reiben wie an der Berichterstattung der Medien. Doch Paul Willmann nimmt nur wenig davon wahr. "Ich konsumiere kaum deutsche, sondern eher die ortsansässigen griechischen Medien, um so die aktuellen Informationen zu erhalten." Letztlich wolle man nicht nur die Seite der Migranten zeigen, sondern auch die der Einheimischen und die Frage, wie sie mit der Situation klarkommen. "Man kann schnell den Blick dafür verlieren, weil wir natürlich eher dort unterwegs sind, wo das Leid am größten ist."