Mit Kanonen auf Spatzen schießen. Die beliebte Redewendung ließe sich künftig auch mit dem Medientalk von Mediengruppe RTL Deutschland und Deutscher Telekom vom heutigen Dienstag bebildern, könnte man meinen. Die Partnerschaft der beiden Unternehmen wurde aufwändig inszeniert mit nicht weniger als vier Führungskräften, die in Abwesenheit jeder Bescheidenheit die Dimension der künftigen Zusammenarbeit zu vermitteln versuchten, wobei letztlich zunächst einmal nur hängen blieb: TVNow gibt es jetzt auch direkt über MagenaTV und Adressable TV wird irgendwann mal möglicherweise ein großes Thema, das man 2021 mal testen wolle. Das ist auf den ersten Blick nicht furchtbar aufregend.

Fast sogar ein bisschen lustig, denn was beispielsweise gar nicht so offen zur Schau gestellt wurde: Das monatlich kündbare MagentaTV-Angebot via App wird zwei Euro teurer. Nur so wird der Deal mit der Mediengruppe RTL Deutschland überhaupt zu einem attraktiven Angebot, denn bislang kostet besagtes MagentaTV via App monatlich 7,95 Euro und TVNow Premium einzeln 4,99 Euro. Ohne die aus naheliegenden Gründen nicht thematisierte Preiserhöhung der Telekom würden Kundinnen und Kunden beim neuen MagentaTV Smart Flex überhaupt nichts sparen. Und für so eine Vertriebspartnerschaft sitzen da jetzt Bernd Reichert und Stephan Schäfer für Bertelsmann sowie Michael Hagspihl und Michael Schuld von der Telekom?

Das wäre viel heiße Luft um wenig. Aber so ist es nicht, nein, ganz im Gegenteil. Die eigentliche Dimension dieser neuen Partnerschaft ging nur in blumigen Worten aller Beteiligten ein Stück weit unter. Und manches blieb auch einfach noch unerwähnt, weil sich weder die Bertelsmann-Tochter Mediengruppe RTL Deutschland noch die Deutsche Telekom mehr als nötig in die Karten schauen lassen wollen. Aber dazu später mehr. Im Studio des jüngste TVNow-Comedyversuchs „Täglich frisch geröstet“ trafen bei der Bekanntgabe am Dienstag zwei Local Heroes zusammen, die hier der Wunsch nach zwei Dingen eint: Absicherung der bestehenden Marktposition und die Skalierbarkeit neuer Segmente vor dem Hintergrund eines viel internationaler gewordenen Wettbewerbs.

Local Heroes? Nun, anders als die ProSiebenSat.1 Media SE, die an der Börse schon mehrfach zum Spielball von ausländischen Investoren wurde, ist die Mediengruppe RTL Deutschland seit je her unverändert mittelbar in den Händen von Bertelsmann. Ostwestfälisches Unternehmertum trifft auf die Deutsche Telekom aus Bonn, deren Hauptkonkurrent im Kampf um die TV-Infrastruktur in Deutschland Vodafone, ein britischer Medienkonzern, ist. Während seit Jahren auf allen Podien wortreich darüber diskutiert wird, wie der deutsche Markt neuer Konkurrenz aus den USA etwas entgegensetzen könnte, schaffen Bertelsmann und Telekom hier Fakten und den Grundstein einer Allianz - ein Wort, in das man bei Bertelsmann ohnehin sehr verliebt ist.

Man ergänzt sich also: TVNow ist ein Streamingdienst mit jetzt schon einigen und künftig noch viel mehr Eigenproduktionen, aber nur einer Million Abonnenten. MagentaTV wiederum hat schon etwa vier Millionen Kunden, aber bislang nur wenige, weitgehend verzichtbare Eigenproduktionen. So weit, so gut, so naheliegend. Die Telekom hofft, und mit ihr jetzt eben auch die Mediengruppe RTL Deutschland, möglichst viele Bestandskunden zu einem Wechsel rein in die neuen Tarifen mit TVNow Premium zu bewegen. Wermutstropfen für Serienfans übrigens: Aus unerklärlichen Gründen wird TVNow Premium und nicht TVNow Premium+ integriert. Englischsprachige Originalversionen von TVNow-Lizenzserien wie beispielsweise Emmy-Abräumer „Schitt’s Creek“ bekommen MagentaTV-Kunden nicht - und können sie nicht einmal dazu buchen.

Das lukrative Comeback der Laufzeitverträge 

Für Festnetz-Kunden der Telekom mit Media-Receiver ist es nicht neu, aber für Kunden, die MagentaTV über die App oder den MagentaTV-Stick nutzen, gibt es seit heute übrigens ein Comeback der Laufzeitverträge. MagentaTV Smart hat eine 24-monatige Mindestvertragslaufzeit, die bisherige monatliche Kündbarkeit (MagentaTV Smart Flex) lässt sich die Telekom mit einem höheren Monatspreis bezahlen. So richtig warm geworden ist die Telekom nie mit ihrem eigentlich so spektakulären App-only-Angebot von MagentaTV. Vermarktet wurde es lange gar nicht, auf der Website war es nur schwer zu finden. Man kann es der Telekom wohl kaum verübeln: Laufzeitverträge stecken tief in der DNA des Unternehmens. Ein Angebot zu pushen, das keiner darüber hinaus gehende Vertragsbeziehung mit der Telekom bedarf, war Neuland. 

Mit den neuen Tarifen bleibt die Telekom offen für alle, die ihre Internetverbindung über andere Anbieter beziehen und nur Magenta TV haben wollen - aber will zurück zur besseren Planbarkeit mit Laufzeitverträgen über zwei Jahre. Genau die sind es übrigens, die auch die Mediengruppe RTL Deutschland an dem Deal mit der Deutschen Telekom reizen: Jeder Neukunde von MagentaTV Smart bringt schließlich 24x so viel Umsatz wie ein Neukunde von TVNow Premium, der nach einem Bezahlmonat wieder kündigt. 

Die Partnerschaft mit der Telekom erlaubt es der Mediengruppe RTL Deutschland künftig beides zu bekommen: Die spontanen Kundinnen und Kunden, die mal eben einen Testmonat direkt bei TVNow ausprobieren wollen und andererseits eine längerfristige Planbarkeit für den Ausbau von TVNow über die via MagentaTV Smart gewonnenen Abonnenten mit Mindestvertragslaufzeit. Das hilft bei der Skalierbarkeit des SVoD-Angebots ebenso wie auch in der Vermarktung beim Stichwort Adressable TV. Showcases gab es schon, was dem Modethema aber bislang fehlt, ist die Massentauglichkeit. Bertelsmann bringt mit der Ad Alliance die Vermarktungskompetenz ein, die Deutsche Telekom eine Plattform mit Millionen Abonnentinnen und Abonnenten.

Medien-Talk © TVNOW / Willi Weber Michael Schuld, Bernd Reichart, Moderatorin Isabelle Körner, Michael Hagspihl und Stephan Schäfer beim "Medientalk" von Telekom und RTL

Für Joyn ist die Partnerschaft von Bertelsmann und Telekom ein Schlag ins Gesicht: Angetreten war das SVoD-Portal von ProSiebenSat.1 und Discovery als offenes Angebot an alle Marktteilnehmer in Deutschland. Legendär sind die immer wieder öffentlich ausgesprochenen Einladungen von Ex-ProSiebenSat.1-Vorstandschef Max Conze, der unbeirrt daran glaubte, alle hinter Joyn vereinen zu können. Und dann kam im Herbst 2018 der Relaunch von MagentaTV als App-only-Angebot - mit allen Sendern, auch denen von der Mediengruppe RTL Deutschland, und dazu neuen VoD-Angeboten von ARD und ZDF. Dass fernab der Fachpresse immer Joyn und TVNow als Duell dargestellt wurden und MagentaTV oft übersehen wurde, lag an der feuilletonistischen Fokussierung auf Eigenproduktionen, wo von der Telekom eben am wenigsten kam.

Dabei ist es nicht nur ein Wettbewerb der Inhalte, sondern ein Wettkampf um die Frage, welcher Anbieter künftig das umfassendste TV- bzw. On-Demand-Angebot machen kann. Wer wird der sagenumwobene Gatekeeper? Eine Konsolidierung zeichnet sich ab, denn die Begeisterung, für jeden einzelnen Anbieter eine App zu installieren, einen Account anzulegen und gegebenenfalls noch zu zahlen, schwindet. Vor diesem Hintergrund ist die heute bekanntgegebene Partnerschaft eine wichtige Weichenstellung, allerdings auch eine Provokation gegenüber Vodafone und anderen Verbreitungspartnern, die noch zu einigen Machtspielchen der Kategorie „Schauen wir mal, wer hier ohne wen besser klar kommt“ führen dürfte, denn die Zusammenarbeit von Bertelsmann und Telekom sei keine bloße Vertriebspartnerschaft, wie man sie schon oft erlebte und die mit zeitlichem Abstand auch anderen Marktteilnehmern angeboten wird.

ARD und ZDF kann die Partnerschaft nicht gefallen

Schon im Vorfeld der Bekanntgabe bekräftigten Führungskräfte beider Partner, sowohl von Bertelsmann als auch Deutscher Telekom, dass die heutige Bekanntgabe nur der Anfang einer längeren und intensiveren Zusammenarbeit sei, die auf viele Jahre angelegt ist. Deshalb auch der monumentale Rahmen für die Bekanntgabe der auf Anhieb gar nicht so weltbewegenden Neuigkeiten. Denn was noch nicht bestätigt wurde, aber nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de ebenfalls Teil der Zusammenarbeit ist: Bertelsmann und die Deutsche Telekom wollen die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland gemeinsam medial so intensiv aufbereiten wie nie zuvor. Vor gut einem Jahr hatte sich die Deutsche Telekom überraschend alle Live-Rechte an dem Wettbewerb gesichert. 

Nun müssen laut Rundfunkmedienstaatsvertrag gewisse sportliche Großereignisse der Allgemeinheit zugänglich sein. Die Lesart noch vor einem Jahr war geprägt von der Gewohnheit: ARD und ZDF werden von der Telekom schon noch Sublizenzen erwerben und die wichtigsten Spiele dann der breiten Masse zugänglich machen, die die Deutsche Telekom allein über MagentaTV noch nicht erreicht. Mit der jetzt vermeldeten Allianz von Bertelsmann und Deutscher Telekom stehen ARD und ZDF bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 im Abseits: Die Telekom hat einen Partner gefunden, der über RTL inzwischen schon häufiger die Fußball-Nationalmannschaft im Programm hatte und die UEFA Europa League zeigt. Mehr aber noch: Die ganze Content Alliance von Bertelsmann soll bei der medialen Aufbereitung der EM 2024 bei Magenta TV und RTL eingebunden werden. 

Es sind die unausgesprochenen Dinge, die letztlich erklären, warum Bertelsmann und Deutsche Telekom den ganzen großen Aufschlag gewählt haben für ihre Partnerschaft. Sie haben eben doch nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen. 

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