Mit der Innovation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das so eine Sache. Das neue Nachmittags-Quiz mit Jörg Pilawa dürfte damit ebenso wenig gemeint sein wie eine Krimi-Dauerschleife im ZDF. Und dass die WDR-"Lokalzeit" kürzlich nach einem "Secret Star" mit besonderen Talenten im Sendegebiet suchte, war sicher auch die nicht ungewöhnlichste Idee. Auch wenn man es dem Programm über weite Strecken hinweg nicht ansehen mag, hat sich der Westdeutsche Rundfunk aber seit einiger Zeit Innovation auf die Fahnen geschrieben.

Um dem Bestreben nach Erneuerung auf die Schliche zu kommen, muss man ausgerechnet dorthin fahren, wo über mehr als drei Jahrzehnte hinweg die "Lindenstraße" entstanden ist. In Köln-Bocklemünd, gewissermaßen zwischen Wiesen, Wald und Feldern, hat der WDR das "Innovation Hub" angesiedelt, ein sechsköpfiges Team, das die Themen von morgen aufspüren soll. "Im Grunde ist das, was wir machen, Trendforschung", sagt Dennis Horn, der dieser Truppe angehört, im Gespräch mit DWDL.de.

Horn ist Journalist, Ende 30 und tritt seit einigen Jahren auch im Fernsehen als Digitalexperte in Erscheinung. Auf der Website des "ARD-Morgenmagazins" wird er als "Nerd vom Dienst" bezeichnet, was schräger klingt als es der dunkleblaue Pullover über dem hellblauen Hemd suggiert, den Horn auf dem offiziellen Pressefoto trägt. Tatsächlich ist der gebürtige Kölner ebenso wie der Rest des Teams weniger nerdig als vielmehr neugierig, was für den Job per sé keine schlechte Ausgangsposition ist.

Innovation Hub © WDR / Annika Fußwinkel "Innovatiob Hub": Lisa Zauner, Dennis Horn, Christina Schamp, Philipp Sevenich, Vanessa Beule, Alex Nieschwietz

"Unsere Aufgabe ist es, jeder Einheit und Redaktion im Sender Antworten auf Zukunftsfragen zu liefern", erklärt er – und betont, dass es wirklich um das ganze Haus geht, denn explizit fürs Programm arbeitet das "Innovation Hub" bewusst nicht. "Wir arbeiten nicht produktzentriert", stellt Lisa Zauner klar, die das wenig hierarchisch aufgestellte Team leitet. "Am Ende unserer Arbeit können zwar Prototypen herausspringen, aber auch Thesenpapiere, Studien oder Vorschläge für strategische Ableitungen." 

Vielmehr verstehe man sich als "Netzwerk, das sich beispielsweise mit Forschungseinrichtungen, Start-ups und anderen Organisationen und Expertinnen austauscht", sagt sie zu DWDL.de. "Einerseits geht es darum herauszufinden, mit wem wir es bei der Generation Alpha in fünf bis zehn Jahren zu tun bekommen werden. Andererseits wird auch die Mediennutzung der Babyboomer in fünf Jahren eine andere sein. Auch darauf müssen moderne Medienhäuser reagieren."

Umgang mit Games und synthetischen Medien

Die Generation Alpha meint all jene, die ab 2010 auf die Welt gekommen sind und eine rein analoge Welt gar nicht mehr kennen. Das Wissen über sie gebe nicht nur Aufschluss darüber, wie Produkte gestaltet werden müssen, sondern auch über Inhalte oder Personalmarketing, führt Lisa Zauner aus. Ein Beispiel ist Gaming, das mehr und mehr zu einem Social-Media-Thema wird. "Wir sehen, dass Elemente, die wir bisher aus sozialen Netzwerken kennen, stärker in Games einziehen."

Die Nutzerinnen und Nutzer werden sich in Games also nicht mehr nur zum Spielen aufhalten, sondern diese verstärkt als soziale Treffpunkten nutzen. "Also suchen wir zusammen mit Games-Expertinnen und -Experten aus dem WDR und von außerhalb nach Antworten auf die Frage, was das für unsere Inhalte bedeutet - und wie wir sie auch in solchen Umgebungen ausspielen könnten."

Ein anderes Thema ist der Umgang mit synthetischen Medien. "Es ist heute mit einfachen Mitteln möglich, Menschen und Stimmen in Videos und Audios zu synthetisieren - und ihnen dann Dinge in den Mund zu legen, die sie nie gesagt haben", erklärt Dennis Horn. "Bisher läuft das Thema oft unter dem Stichwort 'Deep Fake', weil es ein enormes Fälschungspotenzial mit sich bringt. Es stecken aber auch Chancen drin, wenn man es zum Beispiel mit Personalisierung zusammen denkt - und es zum Beispiel möglich macht, dass unsere Moderatorinnen und Moderatoren, die man heute aus Fernsehen und Hörfunk kennt, in Zukunft über digitale Wege jedem einzelnen Menschen sein persönliches Programm liefern."

Davon ausgehend baut das "Innovation Hub" deshalb einen Prototypen, der diese Möglichkeiten demonstriert, "und arbeitet aus, welche ethischen Implikationen das hat und welche Dinge für einen ethisch vertretbaren Einsatz dieser Technik erfüllt sein müssen", so Horn. In einer Welt, in der im Fernsehprogramm auf Hausbooten gekocht wird und Yvonne Willicks Staubsauger testet, klingt das ungewöhnlich. Doch Zauner und Horn beteuern, wie offen das Haus für Veränderungen ist, auch wenn das Team am Kölner Stadtrand angesiedelt ist.

Tom Buhrow © WDR/Annika Fußwinkel Tom Buhrow
Auf dem Papier ist das "Innovation Hub" Chefsache, angesiedelt ist es nämlich direkt beim Intendanten. "Innovation ist ein unternehmensweites und zentrales Thema", sagt Tom Buhrow zu DWDL.de. "Es betrifft nicht nur das Programm, sondern auch Technik, Verwaltung und Produktion." Er sehe Innovation als "zentrales Strategiethema", betont der Intendant. "Konkret erhoffe ich mir vom Innovation Hub, dass wir mit ihm Abkürzungen gehen können, um schneller dran zu sein - und Entwicklungen im besten Fall selbst gestalten können."

Keine leichte Aufgabe in einem großen Haus wie dem WDR, auch wenn Buhrow unterstreicht, dass in vielen Redaktionen schon seit Jahren "innovative und digitale Formate" entstehen. "Gleichzeitig muss das Thema aber auch strategisch gedacht und bereichsübergreifend verankert werden. Denn Innovation passiert nicht punktuell, Innovation ist ein ständiger unternehmensweiter Prozess, ist vielschichtig und komplex." Genau diese Prozesse sollen mit dem Hub initiiert und gesteuert werden.

Was am Ende dabei herauskommt, wird die Zukunft zeigen. Dass alleine das sechsköpfige Team den öffentlich-rechtlichen Tanker in neue Bahnen lenken kann, glaubt Dennis Horn indes nicht. "Wir", sagt er, "sind nicht die Einheit, die den WDR im Alleingang rettet." Es ist eine realistische Einschätzung und gewiss nicht die eines Nerds.