Eines der vertrautesten Fernsehgesichter macht Schluss. 35 Jahre lang überbrachte Jan Hofer die guten und die schlechten Nachrichten der „Tagesschau“ in die Wohnzimmer der Republik, 16 Jahre davon als Chefsprecher. Von Tschernobyl bis Corona-Lockdown, von Mauerfall bis Brexit – wenn die Welt brannte, bewahrte er stets die Fasson, ob um halb sechs im „Morgenmagazin“ oder zur Hauptausgabe um 20 Uhr. Und wankte er dennoch einmal am Pult mit schwacher Stimme so wie im März 2019 während der Moderation, hielt die Nation sorgenvoll den Atem an. Die Sache damals ging gut aus. Nur ein kleiner Schwächeanfall infolge eines nicht gänzlich kurierten Infekts, gab er noch aus der Klinik Entwarnung. Schon bald war er wieder im Dienst. Auf Jan Hofer war eben immer Verlass.

Und das soll jetzt vorbei sein?

In einer Zeit, wo News-Anchor wie Claus Kleber und Petra Gerster über die öffentlich-rechtliche Altersgrenze von 65 Jahren hinaus ihren Ruhestand vom ZDF hinausschieben, statt spontan nach Timbuktu aufzubrechen, wenn ihnen der Sinn danach steht (und es die Pandemie erlaubt), mutet Jan Hofers Abschied von der Nachrichtenbühne fast schon anachronistisch an. Ende Januar wird er 69. Oder schon 70 oder gar 71? Auskünfte über das genaue Alter gibt der aus Wesel am Niederrhein stammende Hofer nicht. Dafür erzählt er von seiner Großmutter. Sie starb mit 63 und war in seiner Erinnerung „immer eine uralte Frau, die sich schwarz kleidete und für nicht mehr viel interessierte“. Was er damit sagen will: Heute 60- oder 65-Jährige könne man mit seiner Großmutter überhaupt nicht vergleichen. „Sie stehen noch mitten im Leben. Und es wäre fatal, wenn man auf ihre Erfahrung und ihr Wissen nicht zurückgreifen würde.“ Natürlich stehe man mit 65 nicht mehr ganz so im Saft wie ein 30-Jähriger. „Aber es gibt eine Menge Möglichkeiten, sich in die Gesellschaft einzubringen.“

Noch im Frühsommer spielte Jan Hofer mit der Möglichkeit, seinen Zweijahresvertrag bei der „Tagesschau“ erneut zu verlängern. Aber er wollte dann offenbar doch nicht. Das Corona-Jahr war hart auch für ihn, er habe durchgearbeitet ohne Urlaub. Daheim wartet ein fünfjähriger Sohn aus zweiter Ehe mit seiner Managerin. Nicht zuletzt sei die Aussicht, nicht mehr um drei für die Frühschicht aufstehen zu müssen, „schon nicht so schlecht“.

Jan Hofer © NDR/Hendrik Lüders Jan Hofer im "Tagesschau"-Studio

In den neuen Langschläferlebensabschnitt nimmt der „Tagesschau“-Veteran warme Worte seines NDR-Intendanten mit: Der überragende Erfolg der „Tagesschau“ wäre ohne Jan Hofer nicht denkbar, sagte Joachim Knuth. Hofer selbst will das, hanseatisch-runtergekühlt, „nicht zu hoch hängen“. Jeder sei austauschbar. Man könne sich an alles und jeden gewöhnen. Aber mit Sicherheit spiele Kontinuität eine Rolle: „Dass da jemand über Jahre hinweg verlässlich da ist, den man zu kennen glaubt und der keine großen Fehler macht, das ist schon wichtig.“

Emotion und Empathie sind erlaubt

Seit Karl-Heinz Köpcke selig 1959 als allererster die Nachrichten des Tages verlas, galt bei der „Tagesschau“ die Maxime, Nachrichtensprecher sollen Hüllen sein und sich gar nicht so sehr abheben. Schon das schräg angehobene Blatt, von dem Wilhelm Wieben dann in den 1970ern ablas, war gewagt, fast exzentrisch. Dass die Sprecher hinter die Nachrichten zurücktreten müssen, stimme nach wie vor, sagt Jan Hofer. Allerdings habe sich doch einiges geändert, nicht nur an der Optik und der Technik im Hintergrund des neuen Nachrichtenhauses in Hamburg-Lokstedt, das der scheidende „Tagesschau“-Sprecher als „Sensation“ bezeichnet. Die Sprache sei nicht mehr so klar nachrichtlich und oft angelehnt an Verlautbarung, sondern erzählender und erklärender. „Emotion und Empathie sind bei uns Sprechern durchaus erlaubt. Nur werten sollten wir auf gar keinen Fall.“

Und was ist mit Show? Als Ende Oktober Die Ärzte das Intro der „Tagesthemen“ live im Studio spielten, jubelten die einen „wie cool“ und kritisierten die anderen „befremdlich“. Wie viele Auftritte solcher Art verträgt seiner Meinung nach also das Hochamt der Information? Als Medienunternehmen müsse man „gelegentlich auf sich aufmerksam machen, solange es in homöopathischen Dosen passiert“, findet Hofer. „In diesem Fall war es absolut legitim. Das Anliegen war, einer breiten Öffentlichkeit klar zu machen, dass die gesamte Kulturbranche brachliegt und Millionen Existenzen gefährdet sind.“ Zwar habe man intern wie stets üblich gestritten. Die Redaktion sei sehr diskussionsfreudig und divers aufgestellt und streite bis hin zu der Frage, ob man mit einem kommerziellen Unternehmen wie Facebook zusammenarbeiten muss. „Letztendlich muss immer einer die Entscheidung treffen. Und das ist der Chefredakteur. Daran muss man sich halten.“

Das Exzentrischste, was sich der scheidende Chefsprecher in all den Jahren geleistet hat, war wohl, im September 2019 in den Abspann der 20-Uhr-Ausgabe hinein das Smartphone für ein Selfie zu zücken. Wenige Minuten später meldete er sich mit einem Filmchen auf dem Instagram-Account der „Tagesschau“, wo er erklärte, dass er ausnahmsweise ein Handy mit ins Studio genommen habe, weil die „Tagesschau“ nun eine Million Follower habe. Hofer selbst bringt es auf seinem privaten Insta-Kanal auf aktuell 28.000 Fans und ist tief beeindruckt: 80 Prozent seiner Follower seien zwischen 18 und 34 Jahre jung. Beachtlich findet er auch, wie professionell die Influencer dort mit Licht und Kamera umgingen. Trotzdem bereite ihm Instagram inzwischen Sorgen: „Es verkommt zum Kommerzkanal. Die ursprüngliche Intention, der Austausch untereinander, ist in den Hintergrund gerückt. Bei TikTok ist das anders. Das finde ich spannend.“

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Wer so fachmännisch spricht, war schon ein digital native, als diese Generation noch gar nicht geboren war, geschweige denn es dieses Wort gab. Als erster besaß Jan Hofer ein Fax und einen Computer samt dazu notwendigen DOS-Kenntnissen. Mit seinem privaten PC begannen sie in der Tagesschau zu experimentieren zu einer Zeit, als das in Nachrichtenredaktionen überhaupt kein Thema war. Mit (vermutlich) 67 Jahren dann, da fing das digitale Leben von Jan Hofer noch einmal von Neuem an. „Vergesst Instagram, TikTok hat mehr Follower“, habe er den Kollegen von der Social-Media-Redaktion gesagt und sich im November vor einem Jahr sogleich einspannen lassen für das Debüt der „Tagesschau“ auf jener Videoplattform, die mit Tanz und anderen Lustigkeiten der Hit auf Schulhöfen geworden ist. #Ehrenjan taufte ihn die TikTok-Community, als er in ersten Clips mit Softwaretricks Farbe und Muster seiner Krawatte wechselte oder aus seinem #Joballtag erzählte, wie ein Teleprompter funktioniert. Das wohl seriöseste Gesicht des Nachrichtenfernsehens wurde so zum großen Influencer in der Generation Z/Y, noch größer als seine jüngeren Kolleginnen Judith Rakers und Linda Zervakis, die hin und wieder auch auf @tagesschau herumspaßen. Als @janhofer_official tiktokt er zudem auch privat.

„Ich finde diese Leute irre gut“, schwärmt Hofer über die Social-Media-Truppe von ARD-aktuell, „dieser Drive, dieser Wille zu gestalten und Neues zu entdecken, einfach großartig. So was finden Sie bei gestandenen Journalisten leider oft nicht mehr.“ Apropos „gestandene Journalisten“: Die insbesondere unter den Schreibern verbreiteten Standesdünkel, dass „Fernsehnasen“ wie Jan Hofer ja bloß vorgeschriebene Texte ablesen und demnach keine richtigen Journalisten sind, lassen Hofer kalt. Er habe in seinem Berufsleben so unfassbar viele Dinge gemacht wie manch versierter Kollege nicht. So arbeitete er als junger Journalist nach dem Volontariat bei der Deutschen Welle für den Südwestfunk (heute SWR). War dann Redakteur und Moderator beim Saarländischen Rundfunk, wo er alles machen durfte und, wie bei kleinen Sendern üblich, auch alles machen musste. Bis eben 1985 der Ruf aus Hamburg kam, um von der, wie er es nennt, „Landesliga“ in die „Bundesliga“ aufzusteigen. Daneben machte er Radio, führte durch eine Jazz-Musikreihe und war 20 Jahre Gastgeber der Talkshow „Riverboat“ (MDR). Und podcasten tut er neuerdings auch noch.

"Ich habe einiges vor im nächsten Jahr"

Gerade erst nahm er den Piloten zu einem Thema auf, das ihn schon länger umtreibt: Was ist eigentlich aus den Nachrichten geworden, die er im Lauf der Jahrzehnte verkündet hat? Was ist zum Beispiel aus den Menschen geworden, die Opfer waren des Terroranschlags am Breitscheidplatz? Für den noch namenlosen Podcast führte er Gespräche mit Experten. Ob er je veröffentlicht wird, steht noch aus. Aber Hofers eigener „Drive“, das wird deutlich, hört mit dem heutigen Abend nicht auf. „Ich verabschiede mich ja nur vom Schichtbetrieb der ,Tagesschau‘. Von einem kompletten Rückzug aus den Medien kann in meinem Fall keine Rede sein. Ich habe einiges vor im nächsten Jahr.“ Sein unschätzbarer Vorteil sei dabei: „Ich kann es machen, aber ich muss es nicht.“

Hofers Nachfolge als Chefsprecher tritt übrigens ein 57-Jähriger an, Jens Riewa, der mit fast 30 Dienstjahren sozusagen zum Inventar der „Tagesschau“ gehört. Neu auf den gewichtigen Hauptabendplatz rückt, neben Julia-Niharika Sen, 53, Constantin Schreiber auf. Der ist mit seinen 41 Jahren vergleichsweise ein Jungspund im Nachrichtenfernsehen, wo graue Schläfen und Stirnfalten, zumindest bei den Männern, gemeinhin mit Glaubwürdigkeit und Seriosität gleichgesetzt werden. Ob im Umkehrschluss Schreiber aufgrund seines jüngeren Alters womöglich als weniger seriös wahrgenommen werden könnte? Wenn in der 20-Uhr-Tagesschau nur ,junge Leute‘ säßen, glaubt Hofer, dann würden ihnen „unsere zumeist älteren Zuschauer die Nachrichten nicht unbedingt abnehmen aufgrund der fehlenden Lebenserfahrung. Sie brauchen einen Anker, der verdeutlicht, ich bin immer da“. In der Mischung aus gestandenen Journalisten und Zöglingen, wie sie „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ immer hatten, würde es wiederum funktionieren. „Aber das ist meine Küchenpsychologie.“

Bleibt zum Schluss mit Blick auf den jüngsten Hofer-Nachwuchs noch die Frage: Wird sein Sohn Henry, wenn er mal in das Alter kommt, die Macht um acht überhaupt noch klassisch, also linear sehen können? Davon ist Hofer fest überzeugt. „Dazu verpflichtet uns der Rundfunkstaatsvertrag. Aber ob die ,Tagesschau‘ weiter mit der hohen Zuschauerzahl senden wird, kann ich natürlich nicht voraussagen.“ Er selbst werde seine tägliche Portion „Tagesschau“ über diesen 14. Dezember hinaus „mit Sicherheit“ weiter zu sich nehmen, dann als Zuschauer: „Das ist meine DNA. Die hat man mir eingepflanzt.“ Nur in einem Punkt, verspricht Hofer, werde er sich zügeln, anders als es sein Vorgänger Werner Veigel bei ihm konnte. Der rief nämlich schon mal gerne direkt nach der Frühausgabe um halb sechs an, um die falsche Aussprache zu korrigieren.