Ben Napier ist ein viel beschäftigter Mann. Heute lebt der 37-Jährige aus Laurel in Mississippi ein Leben, das dem amerikanischen Traum ziemlich nahekommt. Ben ist – genau wie seine Frau Erin – zum TV-Star avanciert. Die beiden gehören derzeit zu den bekanntesten Stars des US-Nischensenders HGTV, der sich auf Dokusoaps rund um Haus- und Gartenthemen spezialisiert hat. 2016 entdeckten Produzenten des zu Discovery gehörenden Senders die beiden auf Instagram, schon damals brachten sie Häuser auf Vordermann. Seitdem wurden fünf Staffeln von "Mein Kleinstadt-Traumhaus" (Originaltitel: "Home Town") hergestellt, die jüngste davon lief in Amerika am 3. Januar an.


Das deutsche HGTV, gelaunched im Sommer 2019, dürfte auf diesen Nachschub sehnlich warten. "Mein Kleinstadt-Traumhaus" sei 2020 in der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen die erfolgreichste House-Flipping-Show aus den Staaten gewesen. Wörtlich heißt "flipping" im Deutschen "umdrehen", in den Shows werden heruntergekommene Häuser mit Potential renoviert und auf Vordermann gebracht. "Mein Kleinstadt-Traumhaus" erzielte 2020 bei HGTV im Schnitt 0,3 Prozent Marktanteil, erklärte ein Sendersprecher. Angesichts des durchschnittlich erreichten Wertes von 0,2 Prozent beim Sender lief es für Erin, Ben und ihre Kunden also ziemlich gut.

Ben und Erin Napier © HGTV Bei der Arbeit: Ben und Erin Napier (rechts) planen den Umbau eines Hauses

Die Napiers sind dabei nur ein Paar von vielen, die inzwischen im Senderauftrag Häuser entkernen, umbauen und aufhübschen. Kaum ein anderes Nischengenre wuchs in den zurückliegenden Jahren so schnell wie das House-Flipping. Allein der deutsche HGTV-Ableger bietet zig solcher Formate an. Von "First Time Flippers – Unser erster Umbau" über "Mein Haus am Strand" bis hin zu "Mein Haus in Alaska" und ein ebenfalls mehrere Ableger umfassendes "House Makeover"-Franchise findet sich allein eine niedrige zweistellige Zahl an Produktionen im deutschen HGTV-Line-Up. Dabei fehlt hier noch eine der bekanntesten US-Renovierungsshows; nämlich "Fixer Upper", das in Deutschland sixx teilweise auf Randsendeplätzen wunderbare Quoten von bis zu über sechs Prozent bei den Umworbenen beschert.

Darin sind Chip und Johanna Gaines die Renovierungsprofis, die aus Ruinen echte Schmuckkästchen machen. Bis 2017 wurden von der Sendung fast 80 Folgen von HGTV beauftragt, danach war vorerst Schluss. 2021 soll es ein Revival geben; auf dem Magnolia Network in Amerika. Von kleineren Variationen abgesehen, funktionieren alle US-Flipping-Shows nach gleichem Prinzip. Aus hässlich wird schön, wobei in jeder Folge mindestens eine gravierende Problemlage überwunden werden muss – und wird. Die Monotonie dürfte den Shows unfreiwillig sogar in die Karten spielen. Der Einheitsbrei führt letztlich dazu, dass der Zuschauer hauptsächlich des Themas wegen einschaltet und erst in zweiter Linie wegen der Protagonisten. Stößt er dann auf Sympathieträger wie die Eheleute Napier oder eben die Gaines, umso besser.

House Makeover in Atlanta © HGTV In dieser HGTV-Show kaufen Ken und Anita Corsini alte Häuser in Atlanta. "House-Makeover in Atlanta" ist eine von vielen Variationen nach Schema F.

US-Flipping-Shows bestechen durch die Bank durch recht konservatives Auftreten. Die Männer sind zuständig für die kernigen Arbeiten, erledigen das Grobe, während die Frauen als helfende Hand dienen und am Ende die Räume dekorativ aufhübschen. Für gelungene Deko hatte in Deutschland einst schon Tine Wittler ein gutes Händchen. 18 Jahre ist es her, dass die Einrichtungsexpertin in "Einsatz in vier Wänden" zunächst einzelne Zimmer und am Ende ganze Häuser auf Vordermann brachte. Doch in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs verloren Flipping-Sendungen zwischendurch ihren Reiz in Deutschland. RTL beendete die Produktion 2013 – in die Entscheidung spielte auch mit hinein, dass gleich mehrere Teilnehmer die Renovierungsarbeiten schließlich als geldwerten Vorteil versteuern mussten. Die böse Überraschung kam also Monate nach Drehschluss. Ähnlich erging es Berichten zufolge auch Kandidaten der noch bis 2019 gelaufenen RTLzwei-Sendung "Zuhause im Glück". Auch sie war, gestartet im Jahr 2005, ein Utensil aus der ersten Hochzeit von Heimwerkersendungen – und über lange Zeit ein zuverlässiger Quotengarant.

Da überrascht es auch nicht, dass in den USA auch Shows von damals hoch im Kurs stehen. ABCs "Extreme Makeover: Home Edition" (lief bis 2012) wurde 2020 wiederbelebt – natürlich von HGTV. In Deutschland steht der große Boom noch aus. Auch wenn sixx am werktäglichen Vormittag oder am Wochenende nachmittags klar überdurchschnittliche Quoten mit den Umbau-Shows aus Übersee einfährt, selbst die meistgesehenen Folgen kommen in der Regel nicht über 300.000 Zuschauer hinaus. 

Ein Sturm im Wasserglas?

Mit deutschen Eigenproduktionen klopften sich die Sender zuletzt ziemlich kräftig mit dem Hammer auf die Finger. "House Rules", ein Renovierungsduell in Sat.1, verschwand nach nur einer Staffel und im Schnitt gerade einmal um die fünf Prozent Marktanteil bei den jungen Leuten, allzu bald wieder von der Bildfläche. Derselbe Sender probierte sich dann 2020 nochmals an einer weiteren Kreativ-Challenge namens "Mit Nagel und Köpfchen", die den Sonntagvorabend mit maximal acht, teils aber weniger als sechs Prozent, nicht aufmotzte.

So darf der Schein nicht darüber hinwegtäuschen, dass die malerischen Kulissen, bezaubernden Städtchen oder Strände mitsamt ihren verwachsenen Gärten und putzigen Häusern nur eine kleinere Fanschar verzaubern. Für Sender wie HGTV ist das ausreichend – und bietet offenbar noch Potential. Dabei dürfte auch der aktuelle Zeitgeist eine Rolle spielen. In Monaten, in denen die Deutschen corona-bedingt ihren Freizeit-Fokus auf die eigenen vier Wände legen, steht Werkeln und Renovieren hoch im Kurs.  Natürlich war es eine Sendung aus genau diesem Bereich, die 2020 die erste deutsche Eigenproduktion des Kanals HGTV wurde. Die Zuschauerinnen und Zuschauer hätten "Haus des Jahres: Deutschland", das im Herbst 2020 gesendet wurde, "sehr gut angenommen", berichtet ein Sendersprecher. Von Spitzenquoten in Höhe von 0,8 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe ist die Rede, wobei der Staffelschnitt bei den Erstausstrahlungen bei 0,4 Prozent gelegen hätte. Die meistgesehene Episode habe 125.000 Zuschauer angelockt, freute sich die PR-Abteilung. Trotz des Erfolgs – zu einer möglichen zweiten Staffel von "Haus des Jahres: Deutschland" konnte noch keine Aussage getroffen werden.

Innenarchitektin Eva Brenner, die für die erste Staffel als Jurorin gewonnen wurde, kann sich also noch keine neuen Einträge in ihren Terminkalender machen. Ganz anders ergeht es Ben und Erin Napier. Jüngst wurden zwei Spin-Offs ihrer HGTV-Show geordert; "Home Town: Ben's Workshop" startete in dieser Woche im Mutterland beim neuen Streamingdienst Discovery+, in "Home Town Takeover" soll dann in sechs Folgen ein komplettes Dorf, das wegen infrastruktureller Mängel abgehängt wird, auf Vordermann gebracht werden. Die Wahl fiel dabei auf Wetumpka in Alabama. Gegenden wie dieser ist es zu verdanken, dass der Programmnachschub bei HGTV so schnell nicht versiegen wird.

Wie schnell der Trend in Deutschland Fahrt aufnehmen wird, könnte auch mit Netflix zusammenhängen. Der Streamingdienst wird im Frühjahr 2021 eine Flipping-Show mit Fynn Kliemann und Olli Schulz zeigen. In "Das Hausboot" renovieren sie ein eben solches.