Für den Bayerischen Rundfunk (BR) ist es ein Paradigmenwechsel: Seit dem 1. Februar steht mit Katja Wildermuth erstmals eine Frau an der Spitze der Rundfunkanstalt. Eine breite Allianz im Rundfunkrat unterstützte Wildermuth bei ihrer Kandidatur, sodass sie im Oktober bereits im ersten Wahlgang als Siegerin feststand. So klar sind die Fronten in den verschiedenen ARD-Gremien nicht immer - fragen Sie mal SWR-Intendant Kai Gniffke, wie kompliziert so eine Wahl sein kann

Knapp drei Monate hat sich Wildermuth nun auf ihren neuen Job vorbereitet - inklusive Umzug nach München - und war dabei gleichzeitig noch beim MDR als Programmdirektorin im Funkhaus Halle beschäftigt. Die letzten Monate sind intensiv gewesen: Hier die tägliche Arbeit beim MDR, da die Vorbereitung auf den Intendantinnenjob. Und die Herausforderungen, die beim BR vor Wildermuth liegen, sind nicht klein. Das geht schon bei der finanziellen Ausstattung los: Mit rund 33 Millionen Euro Verlust hatte man für das laufende Jahr geplant. Da ging man aber noch davon aus, dass der Rundfunkbeitrag auf 18,36 Euro steigen würde. Das ist vorerst nicht passiert, vermutlich noch 2021 wird das Bundesverfassungsgericht in der Sache endgültig entscheiden. 

"Wenn die Erhöhung des Rundfunkbeitrags in diesem Jahr nicht mehr kommt, würden uns zusätzlich 31,5 Millionen Euro fehlen", sagt Katja Wildermuth im Gespräch mit DWDL.de. Derzeit geht man noch in Vorleistung, so wie es die Verfassungsrichter geraten haben. "Wir versuchen, vorschnelle Kürzungen im Programm zu vermeiden." Die Vorleistungen könne man aber nur eine gewisse Zeit lang stemmen, sagt die BR-Intendantin. Schon im Dezember war von "drastischen Einschnitten" im Programm zu lesen, vor denen der BR warnte, sollte die Beitragserhöhung nicht doch noch kommen. 

Für mich ist es ein Schritt hin zu etwas mehr Selbstverständlichkeit.
Katja Wildermuth über die Tatsache, dass sie die erste Frau an der Spitze des Unternehmens ist.

Fest steht: Der BR wird seinen Konsolidierungskurs in den kommenden Jahren auch unter neuer Führung fortsetzen. Das sagt auch Wildermuth, die gegenüber DWDL.de gleichzeitig betont: "Der BR muss schlank und modern sein, sowohl in der Technik als auch in den Strukturen." Grundsätzliche stehe das Unternehmen gut da. Die crossmediale Neuaufstellung des BR inklusive Neuordnung der Direktionen, die im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde, sei "der absolut richtige Weg", so Wildermuth. Jetzt gehe es um die Frage, was die neue Crossmedialität im Alltag bedeute. "Schaffen wir es, unsere starken Inhalte einer möglichst breiten Masse an Menschen nahe zu bringen?"

Wichtig wird für die neue BR-Intendantin, damit ist sie aber nicht alleine, die Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung. Es müsse immer das oberste Ziel sein, dass die Menschen quer durch die Gesellschaft sagen: "Es ist gut, dass es den BR gibt", erklärt es Wildermuth. Von lautstarken Populisten, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Staatsfunk oder gar Lügenpresse diffamieren, wird sich Wildermuth kaum irritieren lassen. "Es stellt sich die Frage, ob die Menschen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ablehnen, immer mehr werden oder ob sie einfach nur sehr laut sind", sagt sie. "Man kann in den aktuellen Debatten den Eindruck gewinnen, dass die Anzahl der Kritiker steigt. Aber unsere Akzeptanzwerte zeigen ganz klar, dass wir in der Breite der Gesellschaft eine sehr große Zustimmung haben." Damit das so bleibt, will sie den BR vielfältiger aufstellen, um die gesamte Gesellschaft widerzuspiegeln, und möglichst nah an den Menschen sein. 

Zwischen Neubau und Kulturplattform

Dem manchmal etwas abstrakten Vorhaben, die Akzeptanz der Öffentlich-Rechtlichen in der Gesellschaft zu stärken, steht ein anderes, sehr konkretes Projekt gegenüber: Der Neubau im Münchner Stadtteil Freimann, der noch bis Ende 2023 entsteht. Ein Jahr später ziehen die BR-Mitarbeiter ein. In dem Redaktionszentrum sollen die Einheiten Fernsehen, Radio und Online gebündelt werden. Hier gilt es, die Belegschaft auch mental mitzunehmen, damit alle an einem Strang ziehen - auch die Alteingesessenen. Die neue Intendantin will aber auch die Eigenverantwortung der Mitarbeiter stärken sie fit für die Zukunft machen. Veränderungen sollen also nicht länger als lästiges Übel angesehen werden, sondern als Chance. Um die Mitarbeiter auf dem neuen Weg mitzunehmen, wolle sie in den nächsten Wochen viele Gespräche führen "und dabei zuhören, zuhören, zuhören". Denn, so Wildermuth, der BR sei für sie zwar "keine terra incognita", aber es gebe eben doch viele Themen, bei denen sie noch Einiges lernen könne. 

In einem für die ARD auch nach außen hin wichtigen Projekt bahnt sich unter Katja Wildermuth bereits eine Kehrtwende an, und zwar beim geplanten Kulturangebot. Das wurde im vergangenen Jahr bekanntlich von allen ARD-Anstalten mit Ausnahme des BR beschlossen. Derzeit liegen die Planungen dazu auf Eis, weil das Projekt an die Erhöhung des Rundfunkbeitrags gekoppelt war (DWDL.de berichtete). Daher sagt Wildermuth gegenüber DWDL.de, dass sich die Frage nach der digitalen Kulturplattform derzeit nicht stelle. Wenn es in Sachen Rundfunkbeitrag eine Entscheidung gebe, werde sie sich das erneut für den BR anschauen. Wildermuth betont aber auch: "Die Landesrundfunkanstalten der ARD bieten unheimlich viel im Kulturbereich an, sowohl im Fernsehen, im Hörfunk als auch Online. Und es ist eine zentrale Herausforderung, diese Inhalte möglich nutzerfreundlich zu kuratieren, um so eine hohe Sichtbarkeit zu gewährleisten. Gerade im Digitalen sollten wir innerhalb der ARD unsere Kräfte bündeln, um an Relevanz zu gewinnen." Gut möglich also, dass die ARD-Kulturplattform in Zukunft doch unter der Beteiligung aller ARD-Sender entsteht, sollte der Rundfunkbeitrag steigen. 

Dass Katja Wildermuth Expertin in Sachen Kultur ist und daher auch ein großes Interesse, diesen Bereich innerhalb des BR zu stärken, überrascht nicht. Die neue BR-Chefin kommt aus dem Journalismus und arbeitete zunächst als TV-Autorin für Politikmagazine im MDR sowie im Ersten. 2004 wurde sie Leiterin der MDR-Redaktion Geschichte und Gesellschaft. 2016 wechselte Wildermuth zum NDR und wurde dort Kulturchefin. Drei Jahre später ging sie zurück zum MDR, als Programmdirektorin in Halle verantwortete sie die crossmedialen Themenfelder Kultur, Wissen/Bildung und Junge Angebote. Und auch Bayern bzw. München sind Wildermuth übrigens nicht fremd - ganz im Gegenteil. Die neue BR-Intendantin ist in der Nähe der bayerischen Landeshauptstadt aufgewachsen und hat an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert.

Eine BR-Chefin ohne Parteibuch

Ihre bisherigen, beruflichen Stationen zeigen: Katja Wildermuth ist nicht BR-Intendantin geworden, weil sie eine Frau ist. Sie ist eine ausgewiesene Programm-Expertin. Und doch ist es eben eine Besonderheit, dass beim BR ab sofort eine Frau das Sagen hat - das ist sich auch Wildermuth bewusst. "Es ist unbestreitbar, dass es für den BR ein historischer Schritt ist", sagt die BR-Intendantin. "Für mich ist es ein Schritt hin zu etwas mehr Selbstverständlichkeit. Wir sind eine vielfältige Gesellschaft, und das sollte sich auf allen Ebenen und Positionen spiegeln."

Ein historischer Schritt ebenfalls: Wildermuth kommt nicht aus der Politik und hat auch kein Parteibuch. Gerade im BR ist das keine Selbstverständlichkeit. Ulrich Wilhelm war nicht nur ehemaliger Regierungssprecher, sondern auch CSU-Mitglied. An einem Parteibuch lässt sich natürlich nicht festmachen, wie gut oder schlecht jemand den Posten eines Intendanten ausfüllt. Aber das Gschmäckle gibt es jetzt eben nicht mehr. Ebenso wie das Gschmäckle, das man jahrelang haben musste, weil es so aussah, dass nur ein Mann den BR führen kann. Jetzt liegt es an Katja Wildermuth, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen.