Geschichte mal anders: Seit einigen Wochen machen SWR und BR die Geschichte von Widerstandskämpferin Sophie Scholl auf Instagram erlebbar. Der Account @ichbinsophiescholl folgt damit gewissermaßen auf den Pfaden ähnlich angelegter Projekte wie etwa @eva.stories oder dem You-Tube-Kanal Anne Frank Video Diary. Einzigartig macht das Vorhaben um die Geschichte von Sophie Scholl aber die Laufzeit. Erzählt wird nämlich quasi in Echtzeit. "Wir begleiten Sophie Scholl fast ein ganzes Jahr lang – und zwar über alle Formen, die Instagram bietet. Fotos, Storys, Captions. Nur so können wir absolut nah an der Figur erzählen. Wir machen keinen Doku-Film, sondern eine Social-Media-Serie", erzählt Suli Kurban DWDL.de.

Kurban ist eigentlich freie Regisseurin ("Lebenslinien – Der Löwe von Neuperlach") und jetzt als Social-Media-Redaktionsleiterin für den Account verantwortlich. Sie arbeitet dabei für Vice Media, das neben Sommerhaus Filmproduktion und Unframed Productions für das Projekt zuständig ist. "Der Kanal wird bis ins nächste Jahr laufen. Sophie Scholl wird ja am 18. Februar bei einer Flugblattaktion verhaftet, am 22. Februar ist ihr Todestag. An diesem Tag wird auch in unserem Kanal der letzte Post abgesetzt. Das ist echt heftig. Somit liegen nun noch neun Monate voller Höhen und Tiefen vor uns", erklärt sie. Das Projekt hätte – zumindest mit Blick auf die Zahlen – kaum besser starten können. Sie schnellten vor allem in den ersten Tagen regelrecht in die Höhe. "Mit dieser Resonanz haben wir wirklich nicht gerechnet. Wir haben nach vier Tagen schon eine halbe Million Menschen in den Bann gezogen, gehen jetzt auf eine Million Abonnenten zu", sagt Kurban. "Gleichzeitig wächst mit diesem Erfolg jedoch auch der Druck auf uns. Wir wollen diesen hohen Standard natürlich auch in den kommenden Wochen halten. Die Frage, ob wir weiter auf dem richtigen Weg bleiben, wird uns die kommenden Monate begleiten." Das Leben Sophie Scholls soll über den Account gleichermaßen würde- wie respektvoll abgebildet werden.

Suli Kurban © SWR/Sommerhaus/Rebecca Rütten Suli Kurban betreut das Projekt bis zu seinem Ende im Februar 2022.

Die Idee hinter dem Projekt ist schnell erklärt. Erzählt wird Sophie Scholls Widerstandskampf, allerdings vor dem Hintergrund der Fiktion, dass es damals in den 40er Jahren schon Handys und Social Media gegeben habe und sich Scholl somit selbst begleitet. "Natürlich erzählen wir daher dramaturgisch, vor allem wenn es um Gefühle und Emotionen von Sophie Scholl geht. Aber konkrete Zitate haben wir dreifach auf Echtheit gecheckt", sagt Suli Kurban.

Das besondere Projekt ist dabei in vielerlei Hinsicht fordernd. Dem Zuschauer verlangt es eine neue Form des Sehens ab, immerhin verschwinden alle geposteten Insta-Storys nach 24 Stunden wieder. Wer mal etwas verpasst hat, kann jedoch auf eigens erstellte Wochenrückblicke zurückgreifen. Den (Wieder-)Einstieg so wenig holprig wie möglich zu gestalten, ist den Verantwortlichen jedenfalls ein Anliegen. "Unsere Zuschauer können eigentlich jeden Tag einsteigen. Wir bauen keine Hürden auf", sagt Kurban. Wer das Geschehen auf dem Account in den zurückliegenden Wochen verfolgt hat, dürfte sich ein ums andere Mal die Augen gerieben haben. Es ging nämlich eher gemächlich los. Beobachten konnte man darüber ein ziemlich normales junges Mädchen mit eigenem Verstand. Teils waren es fast schon Lappalien aus Sophies Alltag und Beziehungsleben, die mit den Abonnenten geteilt wurden.

"Aktuell erleben wir als häufige User-Reaktion, dass schon nach der Widerstandskämpferin Sophie Scholl gerufen wird." Suli Kurban

"Aktuell erleben wir als häufige User-Reaktion, dass schon nach der Widerstandskämpferin Sophie Scholl gerufen wird. Aber wir sind ja noch am Anfang. Sophie Scholl ist 21, frisch nach München gezogen, sie lernt dort neue Leute kennen. Wir werden langsam und behutsam zeigen, wie sie in den Widerstand geht", bremst Kurban. Genau dieses Erleben sei zentraler Punkt des Projekts, ein normaler Film nämlich würde dies nur sehr schwer schaffen. "Wir bieten den direkten Zugang, weil Sophie Scholl auf Instagram auch direkt zu den Zuschauern spricht. Aktuell sehen wir ja erste Probleme in ihrer Beziehung. Ihr Freund kämpft an der Front für ein Vaterland, das Sophie Scholl so nicht mehr haben möchte", sagt Kurban. Sämtliche Dreharbeiten sind übrigens seit einigen Tagen abgeschlossen. Die Innendrehs verschlangen rund 20 Tage, jüngst wurden noch Außenaufnahmen gefilmt – hierfür reiste die Crew nach Berlin/Brandenburg. "Da sind schöne Momente entstanden. Sophie Scholl war sehr naturverbunden, daher war es klar, dass wir unbedingt solche Szenen draußen in der Natur brauchen", sagt Kurban, die während des Drehs wieder zahlreiche Fotos für den Account knipste.

Ein für alle forderndes Projekt

Luna Wedler ("Biohackers") schlüpft in dem Projekt eindrucksvoll in die Rolle von Sophie Scholl, beherrscht das Strenge in ihrem Spiel ebenso wie das Spielerische. Am Set sah sie sich gleich mehreren Herausforderungen gegenüber. "Es ist ein Unterschied ob eine Schauspielerin privat Selfies macht, eine Story auf dem roten Teppich filmt oder vier Stunden lang einen Gürtel umgeschnallt hat, an dem ein Stativ befestigt ist, um die Kamera zu stabilisieren und sich damit selbst filmt. Sich jeden Tag über Stunden selbst zu filmen, war während des Drehs eine große Hürde", berichtet Kurban. Wedler war als Kamerafrau ja auch verantwortlich für die Abbildung der Szenen. "Wenn sie mit der Weißen Rose zusammen ist und dann vier oder fünf Leute im Raum sind, muss sie darauf achten, dass alles gut abgebildet wird. Ich habe Luna da als sehr mutig erlebt – es war großartig", sagt Kurban.

Wedler selbst sprach übrigens von einer echten "Multitasking"-Aufgabe. "Ich wusste am Anfang nicht, dass das so intensiv werden wird. Es war super spannend, aber gleichzeitig schwierig. Die Kamera ist nicht wie bei einem normalen Dreh einfach da, sondern sie ist dein Partner", sagt Wedler in einem SWR-Interview. "Das direkte Sprechen in die Kamera lag mir noch nicht so, da musste ich erst einmal 'reinkommen." Sie habe es aber irgendwie gemeistert, erklärt Wedler.

In der Tat gelingt es der Akteurin eindrucksvoll vor allem die hektischen Momente festzuhalten. Etwa dann, wenn Protagonisten schnell auf sie zugesprungen kommen – oder aber, wenn sie einen innigen Kuss Sophies mit ihrem Freund im Video festhält. Hier schafft der Account eine besondere Nähe zu den Protagonisten. Gleichzeitig müssen alle Szenen, alle Dialoge, alle Darstellungen absolut auf den Punkt sein - stehen in den Storys doch jeweils nur Momente zur Verfügung. Das entsprechend hohe Tempo verstärkt die Eindringlichkeit. Auf die Beine gestellt anlässlich des 100. Geburtstags der Widerstandskämpferin bleibt der Account aber auch ein spannendes Experiment in Sachen Erzähltechnik – verbunden mit Innovation, sicher aber auch mit dem Prinzip Trial und Error.

Erfüllen soll er aber auch den Zweck, eine Debattenkultur am Laufen zu halten. "Die Geschichte von Sophie Scholl wird derzeit wieder von verschiedenen Ecken missbraucht. Wir hoffen, dass wir ein Stück weit zur Aufklärung beitragen können. Diese Ecken, egal ob links, rechts, oben oder unten, sind da. Sie verfolgen den Account auch", sagt Kurban, deren Hauptaufgabe in den kommenden Wochen nun "gutes Community-Management" sei. Denn: Sophie Scholl antwortet auch auf User-Kommentare, fragt teils sogar gezielt in die Runde, etwa in einem Post, der sie beim Lesen des Buches "Struwwelpeter" zeigt.

Wie üblich in Social Media sind die Reaktionen gespalten. "Posts, die feindlich sind, vielleicht sogar gegen die Verfassung verstoßen, werden sofort gelöscht. Wir löschen jeden Tag, bei dieser Aufgabe gibt es auch keinen Feierabend. Wir freuen uns aber auch über eine sehr wachsame Community und darüber, dass ein guter Dialog entsteht", sagt Kurban mit Blick auf die noch folgenden Monate.