Als Kai Gniffke zu Beginn des vergangenen Jahres ankündigte, die Hörfunknachrichten seiner Zwei-Länder-Anstalt künftig nur noch am Standort Baden-Baden produzieren zu lassen, war die Verunsicherung unter den Mitarbeitenden groß. "Viele neue Sachen" wolle man machen, sagte der SWR-Intendant im Februar 2020, kurz bevor die Corona-Pandemie das Land erreichte, im DWDL.de-Interview. "Um das möglich zu machen, ohne die Leute sozusagen durch den Fleischwolf zu drehen, müssen wir uns an den einzelnen Standorten differenzierter aufstellen als das bisher der Fall war." Die regionalen Nachrichten, so versprach es Gniffke, sollen jedoch "selbstverständlich weiter aus den SWR-Studios vor Ort kommen".

Trotz des Versprechens blieben viele im Haus skeptisch. Vor allem am Standort Mainz fürchtete man den Verlust regionaler Kompetenz. Es sind Sorgen, die auch den Rundfunkrat umtrieben. Im Protokoll einer öffentlichen Sitzung des Aufsichtsgremiums aus dem vergangenen September, an der neben dem Intendanten unter anderem auch Simone Schelberg, die Landessenderdirektorin Rheinland-Pfalz teilnahm, wird explizit festgehalten: "In der Diskussion war es dem Landesrundfunkrat wichtig, dass im Zuge der Neuorganisation der Nachrichten die Interessen von Rheinland-Pfalz nicht hinten runterfallen."

Gut möglich, dass sich manches Mitglied vor wenigen Wochen daran erinnert fühlte. Es war die Nacht vom 14. auf den 15. Juli, als heftige Unwetter die Pegel vielerorts in Rheinland-Pfalz ansteigen ließen und für schwere Verwüstungen sorgten. Alleine im Ahrtal starben mehr als 130 Menschen. Viele Warnungen erreichten die Bevölkerung erst spät - wenn sie sie überhaupt erreichten. Eine Auswertung des Deutschlandfunks ergab kürzlich, dass Behörden und Institutionen zwar Warnungen an Medien weitergeleitet hatten, aber jede vierte davon fehlerhaft oder missverständlich war.

So kam etwa im Kreis Trier-Saarburg keine Meldung bei relevanten Redaktionen an, obwohl dort 16 Warnungen abgesetzt wurden, wie es in dem Bericht heißt. Der Landkreis Ahrweiler verschickte sogar nicht eine Meldung über das sogenannte Modulare Warnsystem, kurz MoWas, über das auch konkrete Anweisungen an Medien weitergegeben werden. Inzwischen wird gegen den Landrat ermittelt, weil ihm vorgeworfen wird, zu spät gewarnt zu haben. Andernorts wiederum haben selbst einige Meldungen mit der höchsten Dringlichkeitsstufe, die beispielsweise im Radio sofort vermeldet werden müssten, die Redaktionen nicht erreicht. Die Flut-Katastrophe deckt auch ein Versagen der Behörden auf.

Simone Schelberg © SWR/Monika Werneke Simone Schelberg
Auf die ausgebliebenen Warnmeldungen beruft sich auch Simone Schelberg, wenn es um die Rolle des SWR in besagter Nacht geht. "Natürlich haben wir uns durchaus selbstkritisch gefragt, ob wir auch zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens noch mehr hätten machen können", sagt sie im Gespräch mit DWDL.de. Man habe die Wettersituation jedoch nicht anhand der amtlichen Warnmeldungen verifizieren können, da der SWR nicht als Empfänger der Warnmeldungen hinterlegt gewesen sei. "Genau das wäre jedoch eine wichtige Quelle gewesen, um diese journalistische Einschätzung machen zu können."

Sie bleibe daher selbstkritisch, wenn es um die Frage geht, "ob wir noch früher in die Programmstrecke außerhalb der Servicemeldungen und Nachrichten hätten gehen können", erklärt Schelberg. "Es gibt umgekehrt auch nichts Schlimmeres als ohne vertiefte Prüfung eine Katastrophe auszurufen, wenn sie nicht da ist." Das verunsichere "zutiefst", so die SWR-Landessenderdirektorin weiter.

Pikant: Nach DWDL.de-Informationen wussten zahlreiche Medien, darunter auch der WDR, bereits gegen Mitternacht vom Katastrophenalarm im Ahrtal. Unklar, wieso der SWR diese Nachricht nicht vermeldete. Möglich ist zweierlei: Entweder wurde der Sender nicht informiert - oder er war, was nicht weniger schlimm wäre, aus welchen Gründen auch immer nicht erreichbar. "Es gibt nicht den WDR oder den SWR", sagt Simone Schelberg. "Das macht die Kommunikation in solchen Situationen sicher nicht leichter. Die Abstimmung untereinander lässt sich daher sicher noch weiter professionalisieren." Fakt ist auch: Der Landkreis hatte noch am späten Abend in einem entsprechenden Tweet über den Katastrophenalarm informiert - auch das wäre also eine gute Quelle gewesen. 

Fraglich ist allerdings ohnehin, wie gut der SWR überhaupt hätte reagieren können, schließlich sendete im Hörfunk in besagter Nacht keine der Landeswellen aus Rheinland-Pfalz. Während das Nachtprogramm von SWR1 aus Stuttgart kam, übernahm SWR4 die sogenannte "Hit-Nacht" vom NDR und die Popwelle SWR3 sendete aus Baden-Baden, rund 300 Kilometer entfernt von Ahrweiler.

"Übliche Besetzung" in der Nacht

Und in Mainz? Dort gab es in der Flut-Nacht die "übliche Besetzung", wie eine Sendersprecherin gegenüber DWDL.de sagte. Erst auf erneute Nachfrage heißt es mit Verweis auf einen 24/7-Betrieb im Online-Bereich: "Eine Kollegin bzw. ein Kollege hatte auch in der Flut-Nacht Dienst." Der Hauptsitz des Senders in Rheinland-Pfalz war also über Stunden hinweg mit nur einer Person besetzt. Simone Schelberg zu DWDL.de: "Das Ausmaß dieser Katastrophe war offensichtlich nicht absehbar. Das war eine dynamische Entwicklung in der Nacht und das haben wir vielleicht nicht zu jeder Sekunde gesehen."

Dabei hatte ein SWR-Reporter noch in der Spätausgabe der Fernsehnachrichten knöcheltief im braunen Ahr-Wasser gestanden und davon berichtet, dass die Häuser regelrecht "absaufen". Hätte man da nicht ahnen können, dass in der Nacht mehr Personal nötig sein könnte als die "übliche Besetzung"? "Wenn wir absehen können, dass sich Dinge rasend schnell entwickeln, dann haben unsere Reporterinnen und Reporter alle Freiheiten, zum Telefon zu greifen und die Redaktionsleitung aus dem Bett zu werfen. Da kommt es nicht auf Dienstpläne und Einsatzvorgaben an", bekräftigt Schelberg. Hinzu kommt, dass die Reporterinnen und Reporter vor Ort wegen der Umstände offenbar nur bedingt sendefähig waren. "Das war den Umständen geschuldet. Wir mussten erst mal Technik dorthin bringen, um sicherzustellen, von vor Ort senden zu können."

Die geringe Funkhaus-Besetzung in der Nacht stellt allerdings längst nicht nur den SWR in Mainz auf die Probe, sondern auch andere Mehrländeranstalten der ARD. So seien die Landesfunkhäuser des NDR im Regelfall nachts für einige Stunden nicht besetzt, erklärt Sendersprecherin Barbara Jung gegenüber DWDL.de. Der NDR sei jedoch durch Sturmfluten, Orkane und Tornados im Norden "krisenerprobt", so Jung weiter. "Die Landesfunkhäuser in Kiel und Schwerin arbeiten mit festen Meteorologen zusammen, die über regionale Expertise verfügen. Dies lässt die Landesfunkhäuser Unwetterlagen zuverlässig einschätzen." Im Falle einer bedrohlichen Wetterlage werde eine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft sichergestellt.

Dazu kommt, dass der für die "ARD-Infonacht" zuständige NDR in der Lage sei, das Programm von Hamburg aus in alle NDR-Regionalprogramme durchzuschalten und somit das reguläre Programm zu ersetzen. Beim MDR wiederum existiert nach den sogenannten "Jahrhunderthochwassern" 2002 und 2013 an Mulde und Elbe eine interne Warnmeldekette. Demnach setzt die zentrale aktuelle Information, die an allen Wochen- und Feiertagen 24 Stunden besetzt ist, bei einem Krisenfall in unserem Sendegebiet ein Alarmierungsprozedere in Gang, so MDR-Sprecherin Julia Krittian. "Die verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen aus Hörfunk, Fernsehen und Online aktivieren dann die Bereitschaftsteams zur Berichterstattung."

"Wir waren sogar sehr früh dran."

SWR-Landessendedirektorin Simone Schelberg räumt indes gegenüber DWDL.de ein, dass die Informationslage im Hörfunk in der Nacht vor "auf einer anderen Höhe" sei, nämlich auf einer reinen Bundes- und Welthöhe. "Die regionalen Ereignisse müssen da schon sehr groß sein, um den Stellenwert zu bekommen, nachts in den Nachrichten vorzukommen. Es hätte allerdings im konkreten Fall nichts genutzt, wenn ein Kollege in Rheinland-Pfalz da gesessen hätte, denn auch unsere Online-Kollegen haben keine Warnmeldung bekommen", sagt sie mit Blick auf die jüngsten Flut-Ereignisse. "Da könnten hier zehn Leute gesessen haben, es wäre kein anderes Programm herausgekommen in dieser Nacht."

Den SWR sieht sie daher strukturell "sehr gut aufgestellt, um sogenannte Ereignislagen abbilden zu können - auch in der Nacht". Schließlich, so Schelberg, sei man in der Flutnacht "ab spätestens 5 Uhr" auf allen Kanälen mit Sondersendungen drauf gewesen und habe erste Updates im Fernsehen gesendet "als es noch dunkel war". Schelberg: "Aus Ihrer Sicht waren wir vielleicht spät dran, aus unserer Sicht, mit den verspäteten Informationen, waren wir sogar sehr früh dran." Ohnehin sei doch "entscheidend" was in den hunderten von Stunden danach gelaufen sei, sagt sie. "Es ist unser Versprechen an die betroffenen Menschen: Wir, als ihr regional zuständiger Sender, werden vor Ort bleiben. Denn wir sind eben nicht wie die Boulevardpresse, die jetzt abrückt, weil es die großen Schauderbilder nicht mehr gibt."

Auf die Frage, ob sich die Bündelung der Hörfunknachrichten bewährt hat, antwortet sie dann auch mit einem unmissverständlichen "Absolut!". Kritisch betrachtet sie jedoch vor allem die am Tag zuvor immer wieder gesendeten Bilder von Hängematten auf einem Campingplatz, die den drohenden Ernst der Lage verkannten. "Die stehen uns nicht gut", räumt Schelberg ein und kündigt gegenüber DWDL.de Veränderungen bei der Wetter-Berichterstattung an. "Wetter ist Klima und kein Thema, das wir in Zukunft mit Hängematten und Nilgänsen abbilden wollen. Aus diesem Grund haben wir unsere 'Wetterreise' auch erst mal ausgesetzt. Das ist kein zeitgemäßer Umgang mit dem Thema Klima mehr."

Sie selbst wird den Posten der Landessenderdirektorin übrigens im kommenden Jahr räumen. "Mit 52 Jahren habe ich jetzt noch einmal die Chance, mich neu zu erfinden. Und diese Chance werde ich nutzen." Dass Schelberg eigentlich eine vierte Amtszeit angestrebt haben soll, wie ein Schreiben an den Rundfunkrat, in dem sie im Vorfeld einer Sitzung über Entwicklungen im Haus berichtete, von einigen Beobachtern gedeutet wird, weist sie zurück. "Dass das Schreiben in der zeitlichen Nähe meiner Entscheidung aufzuhören steht, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich musste aber den Intendanten informieren, weil er nur jetzt im Sommer das Vorschlagsrecht hat", sagt Schelberg. "Auf den Kalender habe selbst ich noch keinen Einfluss."

Nachtrag, 19. August: Wir haben die Passage über den Katastrophenalarm im Landkreis Ahrweiler noch einmal konkretisiert.

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