Unbegreiflich. Unvorstellbar. Ein Albtraum. Die Hölle. Matthias Matuschik hat wieder Worte für das gefunden, was sich Ende Februar und in den Wochen und Monaten danach in seinem Leben abspielte. Das war nicht immer so. Denn einige Zeit lang hatte es dem Bayern3-Radiomoderator buchstäblich die Sprache verschlagen. Dagesessen sei er mit seiner Freundin, schweigend. Vielleicht ein wenig kopfschüttelnd. Er befand sich in einer Art Schockzustand. Hilflos – und trotz Anwesenheit von Menschen allein.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf am Abend des 24. Februar 2021. Wie üblich steht Matuschik, der auch als "Matuschke" bekannt ist, im Sendestudio von Bayern 3. Er redet sich über die koreanische Boyband BTS in Rage. Der Anlass: Die Boyband hatte einen Coldplay-Song gecovert, ein Fakt, der bei Matuschik gemäß seiner Moderation einen "Brechreiz" auslöste, den er gerade noch so habe runterwürgen können. Fast zwei Minuten lang spricht er in sein Mikrofon. Heute weiß er, es war nicht seine "glorreichste Moderation". Sie war nicht bis zum Ende gedacht, sicher überzogen. Worte wie "kleine Pisser" fallen in Bezug auf jene Band, die eine Abkürzung so wie SARS als Namen habe. Für eine Band aber, die eine gewaltige Fangemeinschaft hat. 51,6 Millionen auf Instagram etwa. Eine Fangemeinde, die sich selbst als "Army" bezeichnet und die er "definitiv unterschätzt" habe. Und während Matuschke in sein Mikro schimpft, startet ein junges Mädchen irgendwo in Deutschland ihre Handykamera und filmt vom Fernseher das Live-Programm von Bayern3 ab. Ungläubig. Ihrer Empörung macht sie via Twitter Luft, beklagt Rassismus im Radioprogramm – und ein Shitstorm ungeahnten Ausmaßes beginnt.

Eine Situation wie in einer Dystopie

"Ich war drei Tage lang auf den Plätzen eins, zwei und drei der weltweiten Twitter-Trends. Aus der zwei wurde die eins, aus der eins die drei, aus der drei die zwei", erinnert sich Matuschik zurück. Zu Beginn dieser drei Tage sah alles noch nach einer kleinen Protestwelle aus. Eine Welle, von der selbst Kolleginnen und Kollegen davon ausgingen, sie würde recht bald wieder abebben. Ein klassischer Shitstorm eben. Am 25. Februar fährt Matuschik am späten Nachmittag wie üblich ins Funkhaus im Herzen Münchens, bereitet seine Sendung vor. In der Redaktion sei alles recht cool gewesen, meint sich der Moderator zu erinnern. Der "andere Abend in Bayern 3" startet wie immer um 21 Uhr. Doch es wird keine normale Sendung. Regelrecht "orchestriert" wird in diesen Minuten der Shitstorm der BTS-Fangemeinde. "Mein Handy ist förmlich explodiert. Die Bayern3-WhatsApp-Nummer hat unzählige Nachrichten erhalten. Aus Estland, Lettland, Litauen. Teils wurde via Message angekündigt, welche Länder in Kürze hinzukämen", erinnert sich Matuschik zurück. Von Minute zu Minute muss er mit ansehen, wie er "komplett zerlegt" wird. Eine Situation für ihn wie aus einer unvorstellbaren Dystopie.

Denn: Seiner "unglücklichen Moderation" zum Trotz, als Rassist sieht sich der 56 Jahre alte Radiomoderator auf keinen Fall. Auch nicht als "alten, weißen Mann", als der er in Folge immer wieder beschrieben werden sollte. Im Gegenteil. Seit 2015 ist er aktiv in der Flüchtlingshilfe unterwegs und somit im Einsatz für Menschen afghanischer Herkunft. Das lässt sich in der Tat nachlesen. Deutschland im Jahr 2018: Um bei der Landtagswahl in Bayern 2018 zu kandidieren, legt Matuschik sogar eine längere Radiopause ein. Er engagiert sich für die kleine Partie "Mut", die auf ihrer Homepage als wesentliche Themen die Punkte "Asyl und Zuwanderung" und "Gesellschaftliche Vielfalt" angibt. Dort heißt es: "'Die Würde des Menschen ist unantastbar' gilt uneingeschränkt – also auch für Menschen, die hierher geflüchtet oder migriert sind. Da gab und gibt es in den letzten eineinhalb Jahren massive Angriffe darauf. Wir wollen als und mit einer neuen Partei dagegen halten." Und weiter: "Minderheitenschutz, die Gleichstellung unterschiedlichster sexueller Orientierungen und Geschlechtsidentitäten sind unverhandelbar." Die großteils inzwischen außerhalb Deutschlands stattfindende Protestbewegung weiß davon im Februar 2021 natürlich nichts. Als um wenige Sekunden vor Mitternacht des 25. Februar 2021 "Matuschke – Der andere Abend" in Bayern 3 endet, weiß auch noch niemand, dass es die allerletzte Sendung des ungewöhnlichen Radioformats sein sollte. Nach über zehn Jahren.

Der Shitstorm nimmt über das Wochenende gewaltig an Fahrt auf. Die Wut, Empörung und der Hass richten sich gegen den Moderator, gegen den Sender, aber auch gegen Kolleginnen und Kollegen, die zwischenzeitlich pro Matuschik Stellung beziehen. Lieb sei es von ihnen, sagt er einigen, aber sie mögen es um ihrer selbst Willen doch vielleicht lieber lassen. Seine Kinder habe er warnen müssen, an diesen Tagen im Spätfebruar. Seitdem ist sein Haus in Süddeutschland mit einer Video-Überwachung gesichert. Zwei Drohbriefe seien auch physisch bei ihm gelandet, die Übermittler wurden gefilmt. Gegen einige Verfasserinnen und Verfasser von Drohbotschaften, die nicht nur den Moderator selbst, sondern beispielsweise auch dessen Mutter betrafen, laufen Verfahren. Vieles sei nicht zu ermitteln gewesen. Immerhin: Echte Angst um Leib und Leben habe er nicht gehabt, erinnert sich Matuschik heute zurück. Die Absender zahlreicher Messages kommen in diesen Stunden nicht mal aus der EU. Sie sind also keine Bayern3-Hörerinnen und -Hörer, sondern nur über den Ausschnitt des jungen Mädchens auf die Sendungssequenz aufmerksam geworden. 

So kursiert also das Moderations-Versatzstück an diesen Februartagen in BTS-Kreisen, wo die Empörung selbst nach einer Weile nicht abklingt, während Matuschik förmlich nach Worten ringt. Am letzten Februar-Montag geht er nicht wieder auf Sendung, er ist stattdessen krankgeschrieben. In einem Statement des BR entschuldigt sich der Moderator ganz offiziell für seine Moderation. In den Tagen danach wird ihm klar, dass er mal raus muss aus Deutschland, Abstand gewinnen. Einen klaren Kopf kriegen. Die Anfeindungen gegen ihn und seine Fürsprecher gehen weiter. Ganze Accounts werden förmlich auseinander genommen, Matuschiks Instagram-Account sogar gekapert. Ein Freund des Entertainers meldet sich, bietet seine Hilfe an. Matuschik erzählt heute, dieser hätte betont, er wisse, dass der Radiomoderator kein Rassist sei – und wolle daher helfen, wo er kann.

Undercover nach Dubai

Um sicher zum Münchner Flughafen zu kommen, setzt sich der 56-Jährige also in eine XL-Limousine mit verdunkelten Scheiben, eine Käppi tief ins Gesicht gezogen, eine Sonnenbrille vor den Augen, um unter falschem Namen zwei Wochen im Urlaub zu verbingen. Sonne mitten im Kreuzfeuer. Zeit, in denen er seine Gedanken aufschreibt. Später zurück in Deutschland haben sich die ersten Wogen zwar geglättet, ausgestanden ist der Shitstorm aber noch nicht. Ende Mai entscheidet der Bayerische Rundfunk, die Sendung nicht mehr zurückzubringen, teilt mit, dass Überlegungen bezüglich einer Veränderung des Abendprogramms schon länger bestanden hätten. Für den freien Mitarbeiter, der seit fast zwei Jahrzehnten für den Bayerischen Rundfunk arbeitet, findet der Sender schnell ein anderes Einsatzgebiet. "Ich bin nicht gefeuert worden", sagt der 56-Jährige. Matuschik arbeitet nun hinter den Kulissen, nimmt zudem einen Podcast auf. Seine Fans vermissen ihn. Noch jetzt, neun Monate nach dem Shitstorm, bekäme er Nachrichten und Anfragen, wann er wieder eine Radiosendung moderieren würde. Eine Sendung wie es damals "der andere Abend in Bayern 3" eben war.

Bis jetzt gab es darauf keine Antwort. Nun aber, wo Matuschik doch seine Sprache wieder gefunden hat, soll es wieder losgehen. Neben seiner weiterhin freiberuflichen Tätigkeit bei Bayern 3 wird der 56-Jährige, quasi in seiner Freizeit, Moderator und Head of Music des neuen Webradios Radio-C mit Sitz in Luxemburg, wie Matuschik exklusiv gegenüber DWDL.de verrät. Musikalisch soll es dort 24 Stunden am Tag "Matuschke-Musik" geben, der Sender ist angedacht als Gegenentwurf zum klassischen Formatradio. Und Matuschke moderiert auch selbst - zur gewohnten Sendezeit montags bis donnerstags von 19 bis 22 Uhr, in den Schulferien manchmal auch länger. Die Premiere ist für den 10. Januar 2022 geplant.