Wenn man sich mit Verantwortlichen von ARD und ZDF unterhält, dann könnte man den Eindruck bekommen, dass TV-Magazine Schnee von gestern sind. Die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl etwa setzte kürzlich zusammen mit ihrem Stellvertreter Florian Hager und Chefredakteur Oliver Köh durch, dass die Redaktionen der Politmagazine in Zukunft mehr Dokumentationen liefern sollen. Bei der Betrachtung des internationalen On-Demands-Angebot könne man sehen, dass Magazin-Sendungen "keine große Rolle spielen – im Gegensatz zu längeren, vertiefenden Dokumentationen, an denen gerade auch jüngere Menschen ein großes Interesse haben, wenn die Machart denn zeitgemäß ist", erklärte Strobl im Dezember im Interview mit DWDL.de.

Sind Magazine im Umkehrschluss also gar nicht zeitgemäß? Diese Frage ist vor allem deshalb spannend, weil die privaten Fernsehsender hierzulande gerade einen entgegengesetzten Weg eingeschlagen haben. Insbesondere RTL hat in den vergangenen Monaten seine Magazin-Strecken geradezu inflationär ausgebaut. Eine Stunde mehr "Punkt 12", dazu "Explosiv Stories" am späten Nachmittag, das tägliche Nachrichtenmagazin "RTL Direkt" mit Jan Hofer sowie mehrere Primetime-Formate, die wahlweise mit dem Label "RTL Spezial", "Stern TV Spezial" oder "Extra Spezial" versehen wurden. Im Laufe des Jahres soll außerdem noch "Gala TV" starten.

Juliane Eßling © Sat.1 Juliane Eßling
Und auch in Unterföhring liegen Magazine im Trend, auch wenn ProSieben mit "Zervakis & Opdenhövel Live" bislang keine guten Erfahrungen gemacht hat und "Jetzt. Besser. Leben. Mit Sat.1" in der vorigen Wochen einen Fehlstart hinlegte. Sat.1-Chefredakteurin Juliane Eßling, die vor einem Jahr von RTL gekommen war, will sich von diesen Rückschlägen aber nicht beeindrucken lassen. Sie stelle ein "verstärktes Interesse" des Publikums als "Einordung und Informationen zu aktuellen Themen" fest, sagt sie gegenüber DWDL.de. "Dazu wollen die Menschen Tipps, um ihr Leben zu verbessern. Diese Wünsche lösen wir an unterschiedlichen Stellen im Sat.1-Programm ein – seit ein paar Wochen auch mit dem 'Frühstücksfernsehen am Sonntag'."

Auf die Frage, wie zeitgemäß Magazine im Jahr 2022 noch sind, antwortet Eßling mit einer Gegenfrage. "Wie sollen Magazine mit aktuellen Inhalten unmodern werden?" Nicht umsonst habe das "Frühstücksfernsehen" gerade sein bestes Jahr seit 15 Jahren gefeiert, argumentiert sie. Auch bei RTL ist man mit der Entwicklung zufrieden. "RTL steht für erfolgreiche Magazine wie kein anderer Sender in Deutschland. Vor allem die Verlängerung von 'Punkt 12' funktioniert sehr gut", erklärt Sendersprecherin Bettina Klauser. "Aber auch mit den neuen Info-Formaten am späteren Nachmittag sind wir zufrieden. Der gesamte Vorabend bei RTL profitiert jetzt von einem interessierten Publikum, das sich ab 16:45 Uhr homogen über die einzelnen Sendungen aufbaut und zu einem nochmaligen Reichweitenplus für 'Exclusiv' und 'RTL Aktuell' in 2021 geführt hat."

Der Unterschied zu ARD und ZDF mag letztlich darin liegen, dass die Privatsender mit ihren Magazinstrecken vor allem auf das lineare Publikum schielen - während ARD und ZDF mit der Verlagerung der Ressourcen hin zu mehr Dokumentationen und Reportagen vor allem ihre Mediatheken stärken wollen, die ein deutlich jüngeres Publikum ansprechen. Vor diesem Hintergrund hat das ZDF schon vor Jahren Magazinformate wie "blickpunkt" oder "ML Mona Lisa" eingestellt, "um neue Doku-Formate wie 'ZDFzoom' oder 'plan b' zu entwickeln und zu etablieren", wie ZDF-Chefredakteur Peter Frey gegenüber DWDL.de erklärt.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey © ZDF/Laurence Chaperon Peter Frey
"Hintergrund waren sowohl die Informationstiefe als auch die Nutzung in der ZDF-Mediathek, wo Dokumentationen und Reportagen unserer Kernmarken stärker nachgefragt und mit einer höheren Verweildauer genutzt werden", so Frey. "Ziel ist es, mit dem ZDF-Informationsangebot sowohl über die linearen als auch über die digitalen Ausspielwege möglichst viele Zuschauerinnen und Zuschauer, Nutzerinnen und Nutzer zu erreichen." Gleichzeitig sollen "Magazin-Kernmarken" wie "Frontal", "Auslandsjournal" oder "Wiso" erhalten bleiben. "Die Redaktionen bieten zu bestimmten Themen zusätzliche Dokumentationen an, die nicht zuletzt auf die Nutzung in der ZDF-Mediathek ausgerichtet sind."

Für die aktuelle politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Berichterstattung bleibe aber beides auch zukünftig relevant: "profilierte Magazinsendungen sowie längere Reportagen und Dokumentationen", betont der ZDF-Chefredakteur. Tatsächlich ist es keineswegs so, dass die Öffentlich-Rechtlichen ohne Magazine klarkämen. Im Gegenteil: Das lineare Programm von ARD und ZDF wird über weite Strecken hinweg mit diesem Genre gefüllt - angefangen vom "Morgenmagazin" über Service-Formate wie "Volle Kanne" und das "ARD-Buffet" bis hin zu "Brisant" oder "Hallo Deutschland". 

Gleichzeitig haben die Privaten wiederum freilich nicht ausschließlich Magazinstrecken im Blick. "Über unsere Magazine hinaus entwickeln wir für das kommende Jahr verschiedene neue Programme in unterschiedlichen Darstellungsformen", sagt Sat.1-Chefredakteurin Juliane Eßling über die künftige Strategie. "Dazu gehören neue Live-Programme, aber auch Spezial-Sendungen wie die Reportage 'Sat.1 investigativ' über das Fleischimperium von Clemens Tönnies." Letzteres zeigt dann auch den Weg, den der Privatsender einschlagen wird. Mit Blick auf die Reportagen wolle man "perspektivisch die Ausrichtung der einzelnen Reihen schärfen", so Eßling. "Zudem wollen wir investigativer werden." 

Das wiederum hat man sich auch bei RTL auf die Fahnen geschrieben, wie Themenabende und Dokus über Angela Merkel, Prinzessin Diana oder Diego Maradona zuletzt zeigten. Darüber hinaus, so heißt es aus Köln, soll der Doku-Bereich bei RTL+ ausgebaut werden. Fürs Lineare aber scheint bei RTL, aber auch Sat.1 vorerst die Devise zu lauten, das Programm mit möglichst vielen Magazinen zu füllen. Wie zeitgemäß das wirklich ist, wird am Ende das Publikum entscheiden.