"Hören Sie, Schettino. Es sind Menschen an Bord gefangen. Sie gehen jetzt mit Ihrem Rettungsboot unter den Bug des Schiffes auf der Steuerbordseite. Dort ist eine Strickleiter. [...] Sie gehen auf das Schiff und sagen mir, wie viele Leute da sind und was sie haben. Ist das klar? Sagen Sie mir, ob es Kinder, Frauen oder hilfsbedürftige Menschen sind. Und sagen Sie mir die Anzahl jeder dieser Kategorien. Ist das klar? Hören Sie, Schettino, Sie mögen aus dem Meer gerettet worden sein, aber ich nehme es ihnen sehr übel. Ich werde Ihnen eine Menge Ärger bereiten. Gehen Sie an Bord, verdammt noch mal!"
Diese Worte haben Gregorio De Falco im Januar 2012 weltberühmt gemacht. De Falco war damals Leiter der Einsatzabteilung der Küstenwache in Livorno, als solcher koordinierte er die Rettungsmaßnahmen der Costa Concordia und hielt die Kommunikation mit Kapitän Francesco Schettino aufrecht. Das Kreuzfahrtschiff war damals vor Giglio mit einem Felsen kollidiert, 32 Menschen starben in der Folge. Monatelang lag das manövrierunfähige Schiff daraufhin in Schieflage vor der italienischen Insel und wurde zum Mahnmal.
Pünktlich zum 10. Jahrestag der Tragödie ist bei Sky nun die Dokumentation "Costa Concordia - Chronik einer Katastrophe" zu sehen - und sie beginnt mit den Worten von Gregorio De Falco. Akribisch zeichnen die Macherinnen und Macher in der Folge die Ereignisse des 13. Januar 2012 nach. Dabei setzt man auf Interviews mit Juristen, Passagieren, die damals an Bord waren, und Retterinnen und Rettern, die den vielen Gestrandeten Hilfe angeboten haben. Zu Wort kommen auch der damalige Offiziersanwärter, der sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf der Brücke der Costa Concordia befand, sowie der Bordarzt. Mit Reenactments zeigt man zudem die entscheidenden Szenen, von denen es keine Originalaufnahmen gibt.
"Bisherige Dokumentationen zu dem Thema waren eher eindimensional."
Produzent Till Derenbach
Herausgekommen ist ein eindringlicher Film, der sehr anschaulich macht, wie dramatisch die Situation damals an Bord war. Das gelingt vor allem durch Aufnahmen, die Passagiere damals gemacht haben. So sieht man etwa, wie die gesamte Crew die Gäste zu Beginn der Reise begrüßt - auch der Kapitän ist hier mit dabei. Die Passagiere feiern, essen und die Stimmung ist ausgelassen. Später schlägt das in Panik um. Menschen erzählen, wie sie dachten, dass sie sterben würden. Wie sie dachten, sie seien auf dem offenen Meer und würden ertrinken. Auf den Passagier-Videos ist auch die Durchsage an Bord zu hören, in denen das Team die Menschen bittet, Ruhe zu bewahren und behauptet, es handele sich nur um einen Stromausfall.
Auf gespenstische Art und Weise baut sich in den ersten 20 Minuten der Doku eine gewisse Spannung auf - obwohl eigentlich schon klar ist, wie die ganze Sache ausgehen wird. Voyeuristisch oder sonst irgendwie unangenehm ist die Doku aber nie - im Gegenteil. Dadurch, dass auch der Anwalt des Kapitäns zu Wort kommt, ist der Film sehr ausgewogen und erlaubt sich im Übrigen auch keine eigene Meinung in der endgültigen Schuldfrage, auch wenn klar wird, dass Francesco Schettino (gespielt von Antonio Di Mauro), der zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde, eine große Mitschuld trifft.

Schon 2015 war ein fiktionales Projekt geplant
Produziert wurde die Doku von Zeitsprung Pictures in Koproduktion mit Rai Documentari und Sky Studios. Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Konstellation, arbeitet Rai doch sonst eigentlich nur mit italienischen Firmen zusammen. Doch in diesem Fall stand man schon länger in Kontakt. In den Presseunterlagen von Sky verrät Produzent Till Derenbach, dass man 2015 ein großes, fiktionales Fernsehevent zur Costa Concordia habe machen wollen. Schon damals waren die Italiener mit an Bord.

Von Anfang an sei es der Plan gewesen, das Unglück auf verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Das habe auch den scheidenden TV-Direktor von Rai, Duilio Giammaria, überzeugt, sagt Derenbach. "Bisherige Dokumentationen zu dem Thema waren eher eindimensional. Dass der Stoff für Italien und damit für die Rai ein nationales Desaster bedeutet, ist unstrittig. Daraus resultierte die Dringlichkeit, zum 10-jährigen Gedenken den richtigen Erzählansatz zu finden."
Nur 9 Monate blieben bis zur Fertigstellung
Und trotz der langen Zeit, die seit dem Unglück vergangen ist, und dem zwischenzeitlich im Raum stehenden Fiction-Projekt zur Costa Concordia musste am Ende alles ganz schnell gehen. Erst im Februar 2021 ging Derenbach auf Sky mit der Idee zur Doku zu. Dort wollte man aber nur unter bestimmten Bedingungen zusagen. So wollte Sky exklusiven Zugang zu bestimmten Gesprächspartnern, die sich erstmals vor der Kamera äußern. Außerdem wollte man eine ansprechende, visuelle Umsetzung des Themas und, vielleicht das Wichtigste: Die Doku sollte zum 10. Jahrestag fertig sein.
Den zeitlichen Druck beschreibt Till Derenbach gegenüber DWDL.de dann auch als die größte Herausforderung der Produktion. "Uns blieben seit dem Moment des Greenlight von Sky Studios und Rai Documentari genau 9 Monate bis zur Lieferung." Zum anderen sei es nicht einfach gewesen, die beteiligten Protagonisten zur Mitwirkung zu bewegen. Für viele ist das Ereignis nach wie vor traumatisch. "Das war ein Rennen gegen die Zeit mit offenem Ausgang."
Warum es keine Doku-Serie wurde
Nicht geschafft hat man es, die Reederei Costa Crociere von einer Mitwirkung zu überzeugen. Am Ende der Doku lässt man die Zuschauerinnen und Zuschauer wissen, dass sich das Unternehmen inhaltlich nicht mehr zum Unglück äußern wolle. Till Derenbach spricht von einer "rigiden Blockadepolitik, die uns viele Wege und Möglichkeiten versperrt hat".
Neben der Tatsache, dass einige der Opfer aus Deutschland kamen, hat das Unglück eigentlich wenig mit dem Land zu tun. Dennoch wurde es gerade auch hier besonders stark rezipiert, auch deshalb war nun wohl auch eine deutsche Produktionsfirma federführend für die Doku verantwortlich. Im Doku-Bereich liegen hierzulande aktuell Doku-Serien im Trend. Da stellt sich die Frage, weshalb Zeitsprung Pictures auf einen Film gesetzt hat und nicht auf mehrere Teile einer Serie? Denkbar wäre es ja gewesen, die Geschichten von Passagieren, Crew, Retterinnen und Rettern sowie Anwälten zu trennen, um sie separat zu erzählen. Till Derenbach sagt im Gespräch mit DWDL.de, dass eine Doku-Serie von Beginn an nicht zur Debatte stand, denn Kern der Geschichte sei die Nacht der Katastrophe. Alle wichtigen und emotionalen Momente hätten sich in wenigen Stunden abgespielt. "Es machte aus unserer Sicht keinen Sinn, diese hochemotionale Situation aus dem Fokus der zeitlichen Ereignisse zu holen, um sie einem seriellen Erzählen zu opfern."
"Costa Concordia - Chronik einer Katastrophe" ist am 13. Januar ab 20:15 Uhr bei Sky Documentaries zu sehen.