Könnte doch nur alles so perfekt laufen wie der Werdegang des jüngsten Disney+-Films "Sneakerella". Die märchenhafte Geschichte vom Dienstmädchen, das sich erst in einen Prinzen verliebt und dann aus der Bedeutungslosigkeit emporsteigt, erfährt hier eine originelle Neuzeit-Interpretation. Diesmal ist es ein kreativer Teenager aus dem New Yorker Stadtteil Queens, der davon träumt, magische Turnschuhe für Top-Sportler zu designen. Die auf "Aschenputtel" beruhende Ur-Vorlage "Cinderella" zählt seit den 1950er Jahren zum Tafelsilber der Walt Disney Company, wohl auch, weil die darin vermittelten Werte des Hoffens, Träumens und Durchhaltens deren Gründer selbst ausmachten. Umso wichtiger, dass der lebensfrohe Mix aus Herzblut und Modernität nun überwiegend positive Presse bekommt.

Davon hat Disney in letzter Zeit nicht allzu viel. Kaum hatten sich die Fachmedien in den USA und weltweit auf den historischen Abschwung des Erzrivalen Netflix im April gestürzt, da wurde auch schon allerorts daran erinnert, dass Disney seinerseits seit Jahresbeginn über ein Viertel an Marktwert verloren hat. Die herkömmliche Wirtschaftslogik, nach der – vereinfacht gesagt – Disney von dem profitiert, was Netflix schadet, und umgekehrt, scheint durch Pandemie, Inflation und sonstige Unsicherheiten ausgehebelt. Wer Marvel-Blockbuster im Kino und wiedereröffnete Freizeitparks anzubieten hat, sollte angesichts gestiegener Ausgehlust eigentlich florieren. Doch das Gros der Konsumenten agiert derzeit preissensibel. Das führt auch dazu, dass sich das Abo-Wachstum im Streaming verlangsamt, während gleichzeitig die Kosten für Produktionen steigen.

In solch fordernden Zeiten wünschte sich manch einer bei Disney eine Führungspersönlichkeit an der Konzernspitze, die so souverän, vermittelnd und visionär auftritt, wie Ex-CEO Bob Iger es 15 Jahre lang tat. Stattdessen hat Disney nun einen anderen Bob, der hausgemachte Probleme eher noch anheizt: Igers Nachfolger Bob Chapek. Das zeigte sich zuletzt in Florida, dem Schauplatz einer absurden politischen Debatte, wie sie so nur im aufgeheizt-polarisierten Klima Amerikas möglich ist. Die dortige republikanische Parlamentsmehrheit hatte im März ein neues Gesetz mit dem offiziellen Titel "Parental Rights in Education Act" verabschiedet, welches jegliche schulische Vermittlung zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität vor dem vierten Schuljahr verbietet – von Gegnern daher als "Don't Say Gay"-Gesetz tituliert.

Bob Chapek © Disney Disney-CEO Bob Chapek
Weil Disney mit seinem Disney World Resort der größte private Arbeitgeber Floridas ist, protestierten zahlreiche Mitarbeiter gegen das Gesetz und forderten eine offizielle Stellungnahme ihres Unternehmens. Diese verweigerte Chapek mit der Begründung, dass Statements von Firmen "kaum geeignet" seien, "Ergebnisse oder Gemüter zu beeinflussen". Was die Gemüter seiner Leute nur umso mehr aufwühlte, zu internem Widerstand führte und Chapek schließlich doch dazu brachte, sich öffentlich gegen "Don't Say Gay" auszusprechen. Das verunglückte Krisenmanagement endete mit Vergeltung der Republikaner gegen Disney: Das Mickey-Maus-Imperium verlor Ende April seine weitgehenden Sonderverwaltungsrechte für das 100 Quadratkilometer große Resort, in deren Genuss es seit 55 Jahren gewesen war, inklusive gehöriger Steuervorteile. "Ich werde nicht zulassen, dass ein 'wokes' Unternehmen aus Kalifornien unseren Staat regiert", kommentierte Gouverneur Ron DeSantis, der als Hoffnungsträger der Republikaner für die US-Präsidentschaftswahlen 2024 gilt. Chapek bleibt derweil auf materiellem wie ideellem Schaden sitzen. Nicht wenige glauben, Iger hätte den Konflikt eleganter aus der Welt geschafft.

An anderer Stelle setzt Chapek den Kurs seines Vorgängers dagegen nahtlos fort: bei der fast schon radikalen Konzentration der Ressourcen aufs Streaming, die Disney+ mit weltweit 130 Millionen Abonnenten zum ernsthaftesten Netflix-Verfolger machte. Der schnelle Erfolg veranlasste die Finanzmärkte dazu, Disney wie einen Streamer zu bewerten, sprich: Gewinneinbrüche durch stark erhöhte Investitionen bis auf weiteres zu unterstützen. Disney+ ließ es so leicht aussehen: zehn Millionen Abonnenten am ersten Tag, 50 Millionen nach einem halben Jahr, 100 Millionen nach 16 Monaten. Freilich halfen Niedrigpreis-Angebote in den USA und Asien kräftig nach, von der Pandemie ganz zu schweigen. Etliche Analysten sagen heute, diese positive Bewertung habe Peacock, Paramount+ und Discovery+ den schnellen Weg geebnet, da die jeweiligen Betreiber sonst vielleicht zögerlicher beim Investieren geblieben wären.

"Kein Disney-Investor kauft Disney wegen der Umsätze und Gewinne im linearen TV", sagt LightShed-Partners-Analyst Rich Greenfield. "Inzwischen schielt jeder auf das Abonnentenwachstum, den ARPU und die Profitabilität von Disney+." Vor diesem Hintergrund sei es richtig, TV-Formate wie "Dancing with the Stars", die US-Version von "Let's Dance", oder Pixar-Animationsfilme verstärkt auf die Streaming-Plattform zu verschieben. Da Disney+ durch solche Maßnahmen eine breitere Aufstellung über Marvel- und "Star Wars"-Serien hinaus erlange, sieht Greenfield gar die Perspektive, dass Disney seine Zwei-Drittel-Mehrheit am US-Streamer Hulu (45 Millionen Abonnenten) an den Mitgesellschafter NBC Universal veräußern könne, statt wie geplant dessen restliches Drittel auch noch zu übernehmen.

Ein spannendes Gedankenspiel, bisher allerdings auch nicht mehr als das. Realistischer scheint die Spekulation, Hulu könne mittelfristig in Disney+ aufgehen, so wie in Europa bereits wesentliche Hulu-Inhalte unter dem "Star"-Button Teil der Disney+-App sind. Schon jetzt ist klar, dass Disney+ gegen Jahresende dem Vorbild seiner Schwester Hulu in puncto Werbevermarktung folgen wird. Dann kommt zusätzlich eine preiswertere Abo-Variante ins Angebot, die "Boba Fett" & Co. im Gegenzug mit Werbespots garniert – laut Disney ein "Baustein auf dem Weg des Unternehmens zum Erreichen des langfristigen Ziels von 230 bis 260 Millionen Abonnenten bis zum Geschäftsjahr 2024".

US-Studios im Umbruch – bisher erschienen