Mirella © Oğuz Yılmaz
"Jetzt ist er zu weit gegangen", findet Mirella Precek – und meint mit "er", einen Kandidaten der laufenden "Temptation Island"-Staffel. "Temptation Island" ist eines von mehreren Trash-TV-Formaten, das dieser Wochen die Gemüter seiner Fans erhitzt. Und darüber diskutiert auch YouTuberin Mirella, noch besser bekannt als mirellativegal, in auf You Tube veröffentlichten Videos. Auf der Videoplattform kommentiert die gebürtige Nürnbergerin das Geschehen von mehreren Reality-Shows – und erreicht damit erstaunliche Abrufzahlen. "Meine Videos erreichen je nach Sendung und Thema zwischen 300.000 und teilweise 700.000 Aufrufe, mitunter also höhere Zahlen als die Formate im linearen Fernsehen selbst haben", sagt Precek.

In Sachen Reaction Videos, so werden jene Clips genannt, in denen für Einordnung der im TV gezeigten Szenen gesorgt wird, war Precek eine der Vorreiterinnen in Deutschland. Inzwischen gibt es rund eine Handvoll Content Creator, die auf ähnliche Abrufzahlen kommen – und etliche weitere, die vor kleinerem Publikum kommentieren. Seit rund fünf Jahren macht Mirella Precek solche Reaction Videos, los ging es, weil die im kommenden Jahr 30 Jahre alt werdende Unternehmerin "Love Island", "Bachelor" und "Bachelorette" gesehen hatte.  "Ich habe beim Schauen dieser Sendungen einfach festgestellt, dass in den Formaten Dinge passieren, die ich so nicht stehen lassen möchte. Vielen geht es auch so. Ich liefere quasi die Einordnung zu den Szenen. Diese Art von Austausch findet bei YouTube großen Anklang", sagt die YouTuberin im Gespräch mit DWDL.de auch mit Blick auf etliche Kommentare von Userinnen und Usern im Kommentarfeld unterhalb ihrer Videos.

Was Mirella Precek derzeit zu jeder Folge von "Temptation Island" macht, hat eine Länge zwischen 45 und 60 Minuten – darunter sind meist rund 20 Minuten Sendungsmaterial. Denn die besten Szenen einer jeden Folge gibt es auch in den Mirella-Videos zu begutachten. "Ich suche mir vor der Aufzeichnung die besten Szenen einer Folge heraus, eben solche, die es sich zu kommentieren lohnt." All denjenigen, die Reaction-Videos auf dem mirellativegal-Kanal anschauen, solle ein "Mehrwert" geboten werden, sagt die Content Creatorin, die sich abseits der Trash-TV-Nische in Videos auch mit Themen wie Nachhaltigkeit oder dem Alltag als Mutter befasst.

Das aus dem Fernsehen verwendete Material nutze sie also, um etwas Neues zu schaffen. Das ist auch einer der Kernpunkte, um dieses überhaupt verwenden zu dürfen. Denn längst stellt sich die Frage, ob die bei YouTube verfügbaren Reaction Videos dem ausstrahlenden Sender nicht auch den ein oder anderen Zusehenden abluchsen. Bei RTL sieht man in den Reaction Videos vor allem eine Chance, wie eine Sendersprecherin gegenüber DWDL.de mitteilt: "Eine Plattform wie You Tube hat große Reichweiten und ebenso interessante Zielgruppen. Wenn Influencer:innen im Rahmen von Reaction Videos über unsere Sendungen berichten, generiert dies Aufmerksamkeit und spricht neue Zielgruppen an, auf unsere Plattformen zu kommen."

So argumentiert auch Precek. Sie habe ihre Userinnen und User kürzlich befragt, ob diese abseits ihrer Videos auch die Original-Shows schauen würden. "Da gibt es in der Tat Beides. Viele 'Bachelor'-Fans haben aber geantwortet, dass der Sendeplatz mittwochs um 20:15 Uhr eine Art feste Instanz geworden ist. Hinzu kommt, dass durchaus einige 'Bachelor'-Fans durch meine Videos beispielsweise auf "Temptation Island", das ich gerade kommentiere, aufmerksam geworden sind."

Dass sich die Reaction-Video-Welt auf der Plattform YouTube nahezu ausschließlich mit Formaten von RTL+, RTL und RTLzwei befasst, hat Gründe. Sehr gerne würde Precek während einer laufenden Staffel auch "Germany's Next Topmodel" von ProSieben kommentieren, berichtet sie. Leider aber sei das nicht möglich. "Videos mit Inhalten aus den Folgen werden sehr schnell von YouTube gesperrt, weshalb das auch keiner macht. Warum das so ist, weiß ich gar nicht." ProSieben-Sprecher Christoph Körfer machte gegenüber DWDL.de deutlich: "Das Material von 'GNTM' ist so beliebt, dass wir insbesondere zum Schutz der Models sehr darauf achten, dass es digital nur auf unseren eigenen Kanälen läuft." So wird es also wohl dabei bleiben, dass Content Creatoren und -Creatorinnen bei ihren Besprechungen auf Formate aus der RTL-Gruppe zurückgreifen müssen.

Für Mirella Precek ist die Arbeit an ihrem You Tube-Kanal inzwischen ein Fulltime-Job, wie sie berichtet. Und der funktioniert so gut, dass "ich seit einiger Zeit ein kleines Produktionsteam um mich herum aufbauen konnte. So bleibt nicht mehr die komplette Arbeit nur an mir hängen", erzählt sie.

 

Natürlich ist Reality-Fernsehen seichte Unterhaltung. Aber die dort vorkommenden Themen sind fraglos ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft.  
Mirella Precek

 

Zur am Genre Reality-TV vorgetragenen Kritik hat die 28-Jährige derweil eine glasklare Meinung. Natürlich, bestätigt sie, dass Reality-TV seichte Unterhaltung sei. Fraglos aber seien die dort vorkommenden Themen, etwa Liebe, Trauer, Eifersucht und genereller Umgang miteinander, ein "wichtiger Teil unserer Gesellschaft." Entsprechend sei es wichtig, "dass wir uns alle darüber Gedanken machen und Grenzen offen ansprechen. Wie verhält man sich Frauen gegenüber? Warum ist es wichtig, dass es Feminismus gibt? Meine Videos kombinieren diese seichten Themen mit Infos." Kürzlich etwa griff Precek das Thema Rassismus recht ausführlich in einem ihrer Videos auf. Natürlich aber würde es gute und schlechte Reality-Formate im Fernsehen geben, die Unterschiedung sei freilich Definitionssache.

"Vom Niveau kann man sagen, dass "Bachelor" und "Bachelorette" sicherlich vor "Love Island" liegen und erst später "Ex on the Beach" kommt. Aber die Staffeln sind oftmals einzigartig. Früher war mir "Ex on the Beach" too much. Es gab zu viel Drama, die Charaktere handelten nicht authentisch. Aktuell schaue ich die laufende Staffel sehr gern. Es geht zwar weiterhin krass zu, aber mir gefällt, dass insbesondere die Frauen stark zusammenhalten und Fehlverhalten der Männer ganz klar angesprochen wird. Das ist ein wichtiges Zeichen", sagt Precek und kommt zum Schluss, dass ein Stempel beim Reality-TV eben nicht für immer gelten würde. Ein Beispiel dafür sei auch die Maxime-Staffel aus dem Jahr 2021 von "Die Bachelorette" gewesen, die Precek "ungewohnt langweilig" nennt.



Positiv-Beispiele dieser Programmfarbe seien unterdessen "Princess Charming" und "Prince Charming". Diese Formate würden dafür sorgen, "dass die LGBTQIA+ Community mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt", sagt Precek und verweist auf das amerikanische Programm, wo es zuletzt eine "Are you the One"-Staffel mit ausschließlich queerem Cast gegeben habe. "Das würde ich mir auch für Deutschland wünschen." An Material zum Kommentieren wird es Precek und zahlreichen anderen YouTuberinnen und YouTubern so oder so nicht mangeln.