Stéphane Courbit ist der Typ Unternehmer, der groß denkt. Daraus hat der frühere Frankreich-Chef des Produktionsriesen Endemol nie ein Geheimnis gemacht. Also verwundert es kaum, dass sein heutiger Konzern trotz wirtschaftlich schwieriger werdendem Marktumfeld nach wie vor auf Wachstum gepolt ist: Gerade erst hat die Banijay Group die deutschen TV-Produktionsaktivitäten des im Rückzug befindlichen Hollywood-Studios Sony Pictures geschluckt, da steht mit der australischen Beyond-International-Gruppe, Produzentin von "MythBusters", "My Kitchen Rules" oder "Halifax: Retribution", schon die nächste Übernahme an. Läuft alles nach Plan, soll Beyond spätestens Anfang 2023 von der australischen Börse genommen und mitsamt seinem 8.000-Stunden-Rechtekatalog in Banijay integriert werden.

Mit aufwendigen Börsen- und Finanztransaktionen kennt Courbit sich mindestens so gut aus wie mit Shows und Serien. Zuletzt bot er Ende September laut Bloomberg und Reuters rund 1,2 Milliarden Euro, um den Anteil der RTL Group an der französischen Sendergruppe M6 zu kaufen – ehe diese sich entschloss, doch nicht zu verkaufen. Dass Banijay überhaupt noch so aggressiv wachsen kann, verdankt die Unterhaltungsfabrik einer gigantischen Umschuldung, die Courbit im Juli über die Bühne brachte. Seit der zwei Milliarden Euro schweren Übernahme der Endemol Shine Group von den Vorbesitzern Disney und Apollo Global Management im Sommer 2020 war Banijay von einer dicken Schuldenlast geplagt. Die hätte sich angesichts eines operativen Betriebsergebnisses von rund 450 Millionen Euro im vorigen Jahr nur schwer organisch abtragen lassen.

Stéphane Courbit © Series Mania Stéphane Courbit
Also wählte Courbit den Weg an die Börse über eine Abkürzung, ein sogenanntes SPAC (Special Purpose Acquisition Company). Diese Form von Börsenmantel kam vor wenigen Jahren vor allem im Tech-Sektor in Mode. Dabei sammelt eine Vorratsgesellschaft zunächst Kapital über einen Börsengang, ehe sie dieses in ein zu übernehmendes Unternehmen investiert, welches sich so den eigenen IPO erspart. Im konkreten Fall bündelte Courbit seine beiden Assets Banijay Group und den Online-Glücksspielanbieter Betclic Everest Group, zu dem in Deutschland die bet-at-home.com AG gehört, in der neuen Mutter FL Entertainment Group (FLE), die dann wiederum mit einem bestehenden SPAC namens Pegasus Entrepreneurs verschmolzen wurde und so an die Amsterdamer Euronext-Börse gelangte.

Dort startete FL Entertainment im Juli mit einem Firmenwert von 4,1 Milliarden Euro sowie einem frischen Kapitalzufluss von rund 650 Millionen Euro, die unter anderem von den Private-Equity-Fonds hinter dem SPAC und von Courbits eigener Financière Lov als neuem und altem Mehrheitsgesellschafter flossen. Die bisherigen Minderheitsgesellschafter von Banijay – Vivendi, Fimalac und De Agostini – wandelten ihre Anteile in FLE-Aktien um. Als Ergebnis der Transaktion, so Courbit, profitiere die Gruppe von einer "robusten Finanzausstattung" und sei "sehr gut positioniert, um Wachstum in der Entertainment-Industrie zu realisieren". Fürs laufende Jahr erwartet FLE rund 3,8 Milliarden Euro Umsatz, was einer Steigerung um 9 Prozent gegenüber 2021 entspräche, sowie ein um 6 Prozent höheres Adjusted EBITDA von etwa 645 Millionen Euro.

FL Entertainment auf einen Blick

  • Umsatz: ca. 3,8 Milliarden Euro (Prognose 2022)

  • Führung: Stéphane Courbit (Chairman), François Riahi (CEO)

  • Gesellschafter: Financière Lov (Familie Courbit, 46%), Vivendi (19%), SBM International (10%), Fimalac (7%), De Agostini (5%)

  • Wichtige Programme: Big Brother, Black Mirror, The Bridge, MasterChef, Peaky Blinders, Survivor, Temptation Island

Dass FLE die neue Finanzkraft nutzt, um seinen Einfluss weiter auszudehnen, zeigt sich längst nicht nur am Erwerb von Sony – jetzt Noisy Pictures – in Deutschland und Beyond in Australien. Allein in diesem Jahr hat der Konzern in seiner Sparte Content Production & Distribution, also dem Banijay-Geschäft, schon sieben weitere Akquisitionen gestemmt: In Frankreich wurden die Produktionsfirmen Légende Films ("The Spy") und Tooco Formats ("Guess My Age") übernommen, in Italien Groenlandia ("Romulus") und das Kinder-Animationsstudio Movimenti, in Spanien Pokeepsie Films ("30 Coins"), in Großbritannien Kindle Entertainment ("The A List") und in den USA ZnakTV, die Firma von "Love Island"-Erfinderin und "MasterChef"-Showrunnerin Natalka Znak.

Was die wirtschaftliche Dynamik angeht, unterscheiden sich die beiden Unternehmenssparten von FLE erheblich: Während das Geschäft mit Sportwetten und Online-Gaming – auch angesichts weiterer Marktliberalisierungen – in den nächsten Jahren ein niedriges zweistelliges organisches Wachstum bringen soll, ist für Produktion und Programmvertrieb nur ein mittleres einstelliges Plus prognostiziert. Allerdings verhält es sich mit der 2022er Performance bisher genau umgekehrt: Während Betclic Everest im ersten Halbjahr 3 Prozent an Umsatz verlor, legte Banijay um stolze 27 Prozent zu – in diesem Ausmaß ein Einmaleffekt, der vor allem durch die Rückkehr zum Vor-Corona-Produktionsrhythmus bei den großen US-Shows "MasterChef" und "Celebrity Big Brother" zustande kam. Selbst als europäisches Studio bewegt man eben die größten Erlösbrocken immer noch im heiß umkämpften US-Markt.

Europas Studios im Umbruch – bisher erschienen