Wer heute bei einer der großen Pop-Wellen dieses Landes für das Programm verantwortlich ist, egal ob in privater Hand oder öffentlich-rechtlicher, unterliegt verschiedenen Zwängen – bei Weitem nicht nur mit Blick auf finanzielle Ausstattung. Immer mehr Forschungen und Marktbefragungen haben zu einem deutlich optimierten Programm geführt. Ein Programm, das Kritiker als zunehmend kantenlos bezeichnen. Der Reuters News Report 2022 ist eine solche Studie und laut Valerie Weber, seit 2022 Programmgeschäftsführerin der Audiotainment Südwest, die unter anderem die Wellen Radio Regenbogen (BW) und RPR 1 (RLP) betreibt, "erschreckend aufgezeigt, dass Menschen Live-Medien mit Infoanteil vermeiden – weil sie mit den verstörenden Nachrichten nicht mehr umgehen können." Ein Verhalten, das von Radiomachern längst berücksichtigt wird.

Mitte kommender Woche werden die neuen Radio-Quoten veröffentlicht. Für Radioverantwortliche sind die Zahlen entweder Bestätigung oder Anlass für Veränderungen. In Zeiten, in denen Radio immer neue digitale Konkurrenz bekommt, stellen sich der Gattung zahlreiche Fragen. Wie muss mein Programmmix aussehen? Funktionieren die über Jahre verwendeten Major Promos noch? Wo finde ich Nachwuchs für's Team und nicht zuletzt: Wie sicher sind bisherige Finanzierungsmodelle? Über all diese Fragen hat DWDL.de mit Entscheidern quer durch die Republik gesprochen. Die Antworten: Diese Woche in unserer Themenwoche. Unsere Themenwoche Radio
Mit der "meisten Musik" warben und werben heutzutage nicht wenige Radiosender. Manche Programme schmücken sich sogar damit, Musik zu spielen, während andere labern. „'Mehr Musik – weniger Wort' – dieser Slogan wird immer mal wieder von dem ein oder anderen Pop-Radiosender verwendet. Das soll einen strategischen Vorteil vor allem gegenüber Mitbewerbern hervorheben. Strategische Studien und Marktforschungsergebnisse legen durchaus nahe, dass „Wort“ kritisch gesehen wird. Und das oft zu recht!", behauptet Wolfram Tech, Chef der Firma BCI, die gemäß eigener Homepage zahlreiche große private wie öffentlich-rechtliche Programme berät.
Kein Platz für "überflüssiges Gerede"

Unterhaltungs-Radio ist ein Nebenbei-Medium. Radio-Beraterin Yvonne Malak

Sie verweist auf eine Welt, die sich eben verändert habe – und mit ihr auch Aufmerksamkeitsspannen. "Ein Pre-Roll-Spot auf Youtube dauert fünf Sekunden und für jedes Nischen-Thema gibt es einen Podcast. Die Medien-Nutzung hat sich verändert und kluge Radio-Macher haben sich diesen veränderten Zeiten angepasst", meint Malak.
Musik Haupteinschaltgrund, aber kein Reichweitentreiber

Wir müssen Themen mit einem anderen Dreh, der dann wieder auf die Marke einzahlt, angehen. Die Musikpositionierung alleine also wird es nicht mehr sein können. Das ist ein Festhalten an alten Tugenden und komplett falsch. Stephan Offierowski, Programmchef Hitradio Antenne 1
Offierowski setzt also wieder vermehrt auf Wort. Er erklärt: "Wir müssen über Personalitys – und zwar nicht nur morgens – die Leute wieder ansprechen." Dabei setzt sein Sender nun "auf sehr viel Unterhaltendes, weil wir eine gewisse Form von Normalität über ein gutes Gefühl liefern können." Gemeint sei damit keine Schenkelklopferei, "aber ein bisschen heile Welt". "Für die harten Informationen im Programm gibt es bei uns die Nachrichtenstrecken und für Vertiefung die Öffentlich-Rechtlichen. Wir müssen Themen mit einem anderen Dreh, der dann wieder auf die Marke einzahlt, angehen. Die Musikpositionierung alleine also wird es nicht mehr sein können. Das ist ein Festhalten an alten Tugenden und komplett falsch", sagt Offierowski, der einen sich beschleunigenden "Bindungsverlust" beklagt. Das sei ehrlicherweise, so der Audio-Experte, auch eine Quittung. "Früher gab es eine große Euphorie für das neue Medium „Privatradio“….wir sind verspielt und kreativ mit den Inhalten umgegangen und haben den öffentlich-rechtlichen Sendern damit den Rang abgelaufen, die mehr oder weniger auf ihren Informations-USP beharrten. Und dann wurde aus den Gesellschafterkreisen von Privatsendern, übrigens zum damaligen Zeitpunkt völlig zurecht, das Geschäftsmodell anders bewertet. Man sagte damals, dass es reicht, wenn man die bekannte Form von Radio morgens anbietet und tagsüber einfach einen Musikteppich spielt. Es wurde also immer mehr Wort rausgenommen und Ressourcen abgezogen."

Ein Thema, das für Radiomacher beispielsweise keine Rolle spielt, sei der jährliche Veganuary. "Wenn Sie da mit dem erhobenen Zeigefinger ihrer Hörerschaft Fleisch madigmachen und sie zu mehr Erbsen und Bohnen ermahnen, dann schalten sie entnervt ab. Natürlich kann man darüber reden, dann aber vielleicht lieber ergebnisoffen und nach dem Motto: 'Ist das bei Ihren Freunden oder in der Familie überhaupt ein Thema?!'. Dennoch ist es natürlich ganz klar, dass man heute mit Wort den Unterschied macht. Musik spielen sie alle, aber wer wirklich etwas zu sagen hat, der bindet die Fans an sich."
Immer etwas zu sagen gibt es bei Radios rund um die volle Stunde. Also in den Nachrichten. Diese hat Valerie Weber seit ihrem Amtsantritt bei der Audiotainment Südwest auf ihren Sendern für Erwachsene ausgebaut. Und weiß, dass sie damit morgens mit einer für Private eigentlich eisernen Regel bricht. Die lautet: Sei zuerst wieder in der Musik. Die folgt dem Gedankenspiel, dass der Newsblock um Voll ein Umschaltimpuls ist. Wer als Erstes wieder Musik spielt, bei dem bleiben die Menschen hängen. Dieser Gedanke spielt auch bei all jenen eine wesentliche Rolle, die ihre Nachrichten um fünf Minuten vor der vollen Stunde senden. "Wir sind zur vollen Stunde nach den News oftmals später in der Musik als SWR3", weiß Weber. "Es wäre aber gefährlich für uns, diesen Kampf am Morgen anzunehmen. Er würde zwangsläufig dazu führen, noch mehr Musik zu spielen. Dann würden wir als Marke ausbluten. Daher setzen wir bewusst auf mehr regionales Wort."
Unangenehme Nachrichten bleiben bei uns meist berechenbar im Nachrichtenblock. Valerie Weber, Programmgeschäftsführerin der Audiotainment Südwest
Um das hinzubekommen, musste auch die Redaktion umdenken. Denn: Der von Weber angestrebte Weg sei, sich nicht mehr von "typischen Agenturmeldungen" treiben zu lassen. "Unangenehme Nachrichten bleiben bei uns meist berechenbar im Nachrichtenblock. Dieser besteht bei uns dazu aus einem hohen Regionalanteil – und ganz zum Schluss gibt es noch eine gute Nachricht." Auf Regionalität setzt Weber auch abends ab 18 Uhr mit einem Rheinland-Pfalz-Magazin bei RPR1, Formate wie "Der Tag" sind im Programm von privaten Mainstream-Wellen mittlerweile eine Rarität. Aus gutem Grund. Und aus gutem Grund hat Weber die Sendung dennoch nicht aus dem Programmschema genommen.
"Auch SWR3 hat kürzlich seine Magazin-Sendung am Mittag aussortiert. Mit Blick auf die maximale Reichweite mag das die richtige Entscheidung sein. Radiohörer von Begleitprogrammen schalten selten gezielt für eine Sendung ein", erklärt Weber. Warum hält sie also an "Der Tag" fest? RPR1 stehe für Regionalität, führt die langjährige WDR-Hörfunkchefin aus. "Dafür sind wir auch bereit, 'Reichweiten-Opfer' zu bringen, um uns mit einem Rheinland-Pfalz-Magazin am Abend zu positionieren. Unsere Marken müssen über die Musik hinaus strahlen, nicht nur qualitativ für die Hörer, sondern auch, um Kunden immer ein hochwertiges Umfeld zu geben."


Wenn es also notwendig ist, dass ein Bericht zu einem Thema länger ist, oder ein Interview in der Kürze zu viele Fragen offenließe, entscheiden wir uns ganz bewusst gegen den Formatzwang und für die Stimmigkeit der Information. Roland Welling, SWR1 Programmchef & Bernd Rosinus, SWR1 Programm-Management


Was speziell junge Menschen hören wollen, weiß auch der Jugendsender BigFM, ebenfalls im Verantwortungsbereich von Valerie Weber, sehr genau. "Bei den Unter-30-Jährigen ist das Nutzungsmotiv für Information am Morgen auf Platz 3. Vor uns liegen Social Media und News Apps. BigFM-Hörer am Morgen sind also bereits komplett informiert, wenn sie einschalten. Das müssen wir in unseren Planungen berücksichtigen. Bei Hörern 50+ ist das anders, da liegt Radio morgens weiter auf Platz eins. Also müssen wir Hörer 50+ morgens vor allem informieren", meint Weber.
Radio ist nicht mehr die schnellste Informationsquelle, so ist die Erwartung der Hörer bezüglich des Inhalts nicht sehr groß.Radioberater Wolfram Tech
Eine Berücksichtung dieses veränderten Hörverhaltensfordert auch Berater Tech: "Hörer der Popwellen warten nicht auf irgendeinen Inhalt im Radio, der vielleicht irgendwann gesendet wird. Radio ist nicht mehr die schnellste Informationsquelle, so ist die Erwartung der Hörer bezüglich des Inhalts nicht sehr groß. Das Handy, und dort vor allem die sozialen Netzwerke sind heute der echte Konkurrent der Radiostationen. Wenn ein Thema, eine Moderation, ein Break als langweilig angesehen wird, ist der Griff zum Handy schnell getan." Welche Lösungen empfiehlt er? "Mehr Mut, mehr Freiraum (und Kreativität), mehr Persönlichkeit und mehr Livesituationen zulassen, bessere Vorbereitung und seine Hörerschaft wirklich kennen. Damit kann man deutlich mehr Relevanz erzeugen. Und was relevant ist, wird auch gehört."