Um zu verstehen, welchen Impact der Anschlag auf den BVB-Bus vor mittlerweile rund sechs Jahren gehabt hat, muss man sich nur die ersten Minuten der neuen Sky-Doku "Der Anschlag – Angriff auf den BVB" ansehen. Der Film steigt ein mit Ausschnitten aus verschiedenen Nachrichtensendungen, die über die Tat berichten. Darunter neben "RTL Aktuell" auch Sendungen von CNN und Al Jazeera. Als sich der Bus des Bundesligisten im April 2017 vom Mannschaftshotel auf den Weg zum Signal Iduna Park machte, abends sollte dort das Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen AS Monaco steigen, explodierten mehrere Sprengsätze. Das schaffte es in viele Medien auf der ganzen Welt.

Constantin Dokumentation zeichnet die Ereignisse des Anschlags und die Ermittlungen nach dem Täter nun in besagter Dokumentation nach. Zu Wort kommen viele Spieler, die damals mit im Bus waren, etwa Roman Weidenfeller, Nuri Sahin, Julian Weigl, Marc Bartra und Sokratis Papastathopoulos. Auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke erläutert in der Doku seine Sicht der Dinge. 

Diese Aufzählung zeigt schon, wie besonders die Sky-Doku ist. Neben vielen PR-Dokus, in denen "hinter die Kulissen" von Vereinen geblickt wird, sind Profi-Fußballvereine gegenüber unabhängigen Journalistinnen und Journalisten oft wortkarg und kontrollieren ganz genau, welche Informationen aus dem Verein nach außen gegeben werden. Ganz zu schweigen von den Agenten der Spieler, die ebenfalls sehr bedacht sind auf das Image ihrer Schützlinge in der Öffentlichkeit. Das alles potenziert sich bei einem Thema, das so heikel ist wie der Anschlag auf den BVB-Bus 2014. Die Filmemacher von Constantin Dokumentation, Produzent Jochen M. Köstler und Executive Producer Jan Klophaus, sowie Autor und Showrunner Markus Brauckmann haben es dennoch geschafft, viele namhafte Köpfe vor die Kameras zu bringen - aber das war nicht ganz so leicht. 

Interviewscheue Spieler vor der Kamera

"Wir hatten schon das Gefühl, dass sich Fußballer nach wie vor schwer tun, Emotionen in der Öffentlichkeit zuzulassen. Angst zuzugeben wird immer noch gleichgesetzt mit Schwäche, und die will man sich anscheinend nicht eingestehen. Begeistert war nach der ersten Kontaktaufnahme von uns definitiv kein Spieler", sagt Jochen M. Köstler im Gespräch mit dem Medienmagazin DWDL.de. Letztlich habe Markus Brauckmann die Spieler und ihre Agenten von einer Teilnahme überzeugen können, weil man ihnen klar gemacht habe, dass man nicht an einer reißerischen Aufarbeitung interessiert sei. Auch die Überzeugung von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke sei nicht einfach gewesen, sagt Executive Producer Jan Klophaus. Hier hätte dann die Unterstützung der Kollegen von Sky Sport geholfen. Man kennt und schätzt sich offenbar. "Für ihn war es wichtig, dass wir aus diesem Fall kein Boulevard-Stück machen", so Klophaus, der betont, dass sowohl die Spieler als auch Watzke in den Interviews alle Fragen beantwortet hätten. 

Der Anschlag - Nuri Sahin © Sky / Constantin Dokumentation Nuri Sahin
Eine Boulevardeske Aufmachung kann man der Sky-Doku nicht vorwerfen, dafür wäre das Thema aber auch viel zu ernst gewesen. Mit Marc Bartra und einem Polizisten gab es zwei verletzte Personen und nur durch Glück und Zufall ist niemand ernsthaft und dauerhaft zu Schaden gekommen. Emotional ist das Stück dafür immer wieder. Etwa dann, wenn Nuri Sahin erzählt, wie er nach den Explosionen Angst hatte, erschossen zu werden, weil er Terroristen in der Nähe vermutete. Oder als er schildert, wie er vor Ort vor den anderen Spielern stark sein wollte und zu Hause bei Frau und Kind der ganze Druck von ihm abgefallen ist. Oder als Esther Sedlaczek, die am Tag des Anschlags bereits im Stadion war, sagt, sie habe irgendwann nicht mehr gewusst, ob sie noch sicher sei. 

Täter kommt nicht zu Wort

In nachgestellten Szenen wird gezeigt, wie der Täter, der im gleichen Hotel wie die BVB-Stars übernachtete, die Sprengsätze vorbereitete. Dabei ist sein Gesicht nie zu sehen. Auch persönlich kommt er in der Doku nicht zu Wort, lediglich sein Anwalt äußert sich gegen Ende des Films. Köstler sagt gegenüber DWDL.de, man habe zunächst versucht, mit dem Täter Kontakt aufzunehmen. Auch mit ehemaligen Arbeitskollegen des Mannes haben die Filmemacher gesprochen, in die Doku haben es diese Interviews aber nicht geschafft. "Am Ende haben wir auch unsere Bemühungen nicht weiter forciert, eine direkte Aussage des Täters zu bekommen. Vor allem auch, weil wir nicht den Eindruck hatten, dass er seine Tat wirklich bereut hat", sagt Köstler. Es sei darum gegangen, die Betroffenen im Fokus zu haben. "Auch deshalb haben wir uns gegen eine Erzählweise entschieden, die den Täter und sein verpfuschtes Leben fast entschuldigend in den Mittelpunkt gerückt hätte."

Wir hatten schon das Gefühl, dass sich Fußballer nach wie vor schwer tun, Emotionen in der Öffentlichkeit zuzulassen.
Produzent Jochen M. Köstler


Dafür konzentriert sich die Doku sehr auf die Aufdeckung der Hintergründe. Zu Wort kommt die Pressesprecherin der Dortmunder Polizei, aber auch leitende Ermittler, ein Oberstaatsanwalt, ein Extremismus-Experte sowie der damalige Innenminister Thomas de Maizière. Viel wichtiger ist aber ist ein BVB-Fan aus Österreich, der zunächst noch sehr unscheinbar wirkt. Zunächst erzählt er in der Doku, was der Verein ihm bedeutet und wie der Ablauf an Spieltagen für ihn normalerweise aussieht. Dass genau dieser Fan später aber noch eine viel größere Rolle spielen wird, erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer erst nach und nach. 

Der Anschlag - Sky Studio © Sky Sport Jessica Libbertz stand im April 2017 im Sky-Studio und schaltete immer wieder ins Stadion zu Reporterin Esther Sedlaczek

Es war nämlich genau dieser BVB-Fan aus Österreich, der die Hintergründe der Tat aufdeckte. Auch wenn viele Beobachter damals zunächst an Terrorismus glaubten, weil sie noch die Anschläge in Paris in Hinterkopf hatten, die sich damals auch am Rande des Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und Frankreich am Stade de France ereigneten. Dem aufmerksamen Fan waren aber schon vor dem Spiel seltsame Börsentransaktionen rund um die BVB-Aktie aufgefallen. 

Als er die Ermittler am Tag nach dem Anschlag darauf aufmerksam machte, hatte er damit wenig Erfolg. In der Doku ist das durchaus ansprechend aufbereitet: Der leitende Ermittler in der Sache sagt, man habe in alle Richtungen ermittelt und nichts ausschließen wollen. Am Telefon nahm man den Österreicher mit dem wichtigen Hinweis aber nicht ernst, was der Chef-Ermittler in der Doku auch mehr oder weniger einräumt. Der Fan wandte sich dann nicht nur an das Börsenteam der ARD, die Deutsche Börse und postete im Forum der österreichischen Tageszeitung "Standard" seine Beobachtungen, er schrieb auch dem Chef-Justiziar des BVB eine Mail. Die landete schließlich bei der Polizei und so kam man dem Täter relativ schnell auf die Spur. Um die komplizierten Hintergründe der Börsenthematik zu erklären, kommt auch ARD-Börsenexpertin Anja Kohl in der Doku zu Wort. 

Wie das System Fußball funktioniert

Insofern spannt "Der Anschlag – Angriff auf den BVB" ein weites Netz. Es geht um die Manipulation von Börsen, aber auch um die Arbeit der Polizei, islamistisch motivierte Gewalt, das Geschäft des Profifußballs und die Menschen dahinter. In dem Film von Regisseur Christian Twente räumt Hans-Joachim Watzke auch öffentlich ein, dass durch den Anschlag viel kaputt gegangen sei, auch zwischen ihm und dem damaligen Trainer Thomas Tuchel. Der musste Dortmund am Ende der Saison verlassen, obwohl er mit der Mannschaft den DFB-Pokal gewann. Mit dem Ex-Trainer habe man gerne sprechen wollen, sagt Constantin-Dokumentation-Chef Jochen M. Köstler. "Wir haben ihn angefragt, er hat sich mit diesem Thema auch beschäftigt aber sich letztendlich dagegen entschieden." 

Inzwischen arbeitet Tuchel bei Bayern München und äußerte sich zuletzt auch noch einmal zum Anschlag auf den BVB-Bus bzw. die Doku. "Der Hauptunterschied in der Sache war, dass ich ihn im Bus erlebt habe und andere Verantwortungsträger bei Borussia Dortmund ihn nicht im Bus erlebt haben. Deshalb haben wir auch eine komplett unterschiedliche Auffassung von diesem Tag", so der Trainer. Dennoch wolle er die ganze Sache nun nicht "nochmal breittreten in einer Dokumentation", sagt Tuchel. Ein Spieler, der in der Doku ebenfalls nicht zu Wort kommt, ist Matthias Ginter. Ihn hätte Jan Klophaus gerne für den Film interviewt, war er doch der einzige Spieler im BVB-Bus, der auch beim Anschlag auf das Stade de France anwesend war.

Die Sky-Doku zeigt auch ganz wunderbar, wie pervers das System Fußball an einigen Stellen mittlerweile ist. So stehen die Verantwortlichen des BVB kurz nach den Explosionen auf dem Rasen des Signal Iduna Parks und verkünden, dass das Spiel bereits am darauffolgenden Tag nachgeholt werden soll. Die Fans im Stadion quittierten das mit einem Pfeifkonzert. "Ich glaube, dass niemand spielen wollte. Auch nicht der Verein", sagt Nuri Sahin. Gespielt wurde trotzdem, Dortmund hat verloren und ist später aus der Champions League ausgeschieden. Das Happy End ist ausgefallen. Aber das System blieb am Laufen und bei der UEFA kann man sich einreden, dem "Terror" getrotzt zu haben und nicht eingeknickt zu sein.

"Der Anschlag – Angriff auf den BVB" ist am 10. April ab 20:15 Uhr bei Sky Crime und beim Streamingdienst Wow zu sehen.