Nichts weniger als "Österreichs Super-Streamer" soll Joyn in Österreich werden. Und tatsächlich lesen sich die gerade angekündigten Pläne unserer Nachbarn vielversprechend: Neben den Sendern der ProSiebenSat.1Puls4-Gruppe sind auch der ORF und ServusTV an Bord, dazu zahlreiche kleinere Sender und diverse FAST-Channels wie jene von DAZN (DWDL.de berichtete). Auf mehr als 60 lineare Kanäle sowie die entsprechenden On-Demand-Angebote bringt es die österreichische Joyn damit zum Start in wenigen Tagen - und könnte damit ein Vorbild für Deutschland sein.

Bert Habets © ProSiebenSat.1 Media SE/Benedikt Müller Bert Habets
Hierzulande wird schon schon lange darüber diskutiert, ob ein digitaler Schulterschluss von privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern im Kampf gegen die großen US-Player Sinn ergibt. Erst im März reichte der neue ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets ARD und ZDF die Hand. "Die Idee einer branchenverbindenden Plattform ist nicht neu“, räumte Habets ein. "Doch der Zeitpunkt ist günstiger denn je. Und der Grundstein ist mit Joyn schon gelegt. Wir haben mit Joyn die Entwicklung eines Streamingdienstes 'made in Germany' in der Hand. Zusammen können wir für Vielfalt und Qualität stehen." Da war selbst der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke überrascht. "Das finde ich einen großartigen Gedanken", erklärte er und schob schmunzelnd hinterher: "Hätte fast von mir sein können."

Zur Debatte um eine gemeinsame Plattform passt ein Papier, das die Organisation der Mediaagenturen (OMG) kürzlich lancierte. Im Fachblatt "Horizont" präsentierte der Verband konkrete Ideen für eine Neuordnung des dualen Systems, die sich erstaunlich simpel lesen. Der erste Vorschlag sieht eine gemeinsame und kostenlos zugängliche Plattform vor, auf der die Öffentlich-Rechtlichen und Privaten gleichermaßen ihre Inhalt zur Verfügung stellen - organisiert als GmbH nach dem Vorbild des Gesellschafterkonstrukts der AGF Videoforschung. Der zweite Vorschlag sieht vor, dass die bislang verbotene Vermarktung der öffentlich-rechtlichen Mediatheken in einem Pilotprojekt angestoßen wird. Die Vermarktungserlöse sollen zweckgebunden an alle Gesellschafter der Allianz ausgeschüttet und anschließend in sogenannte Public-Value-Programme investiert werden. 

"Denkbarrieren hinter sich lassen"

"Es ist Zeit, das duale System neu zu denken und gängige Denkbarrieren hinter sich zu lassen", zitierte "Horizont" jüngst die Rechtsanwältin Dorothee Belz, den OMG-Vorsitzenden Klaus-Peter Schulz und Martin Krapf, Vice President der Global TV Group, von denen die beiden Vorschläge stammen - wohl wissend, dass die Umsetzung schwierig werden könnte. "Natürlich wären auf diesem Wege viele wettbewerbsrechtlich, technologische und auch betriebswirtschaftliche Aufgaben zu lösen", räumt Krapf ein.

Und auch beim ZDF bleibt man mit Blick auf die aktuelle Rechtslage skeptisch. "Eine gemeinsame Plattform für öffentlich-rechtliche und private Medienhäuser würde zunächst einen entsprechenden Rahmen durch den Gesetzgeber erfordern", sagte ein Sendersprecher gegenüber DWDL.de und verweist zunächst auf einen anderen Fokus. "Beim Thema Streaming setzen wir auf Vernetzung und haben deshalb gemeinsam mit der ARD ein Streaming-Netzwerk konzipiert. Zentrales Ziel ist es zunächst, einen großen Kosmos öffentlich-rechtlicher Inhalte zu schaffen und für das Publikum komfortabel nutzbar zu machen."

Kai Gniffke © SWR/Patricia Neligan Kai Gniffke
Aus diesem Grund baue man etwa auf eine übergreifende Suche, ein gemeinsames Login, ein direktes Abspielen aller Inhalte oder auch übergreifende Empfehlungen. "Letztere sind bereits vor wenigen Wochen im Doku-Bereich gestartet und werden zügig ausgebaut", so der ZDF-Sprecher. "Wir verstehen das Projekt als ein europäisches und könnten uns gut vorstellen, auch andere Partner zu beteiligen." Ähnlich äußert sich eine ARD-Sprecherin. "Die ARD sieht in Kooperationen eine große Chance und eine Antwort auf die weiter wachsenden digitalen Herausforderungen sowie den Wettbewerb auf dem globalen Streamingmarkt. Mit dem ARD/ZDF-Streamingnetzwerk wurde 2021 ein wichtiger Grundstein dafür gelegt."

Der Fokus der ARD liege daher derzeit auf dem weiteren Ausbau des Netzwerks mit dem ZDF. "Die beiden Mediatheken werden auf technischer Ebene bei gleichzeitiger Stärkung des publizistischen Wettbewerbs eng vernetzt, um Inhalte Mediatheks-übergreifend für die Nutzerinnen und Nutzer unmittelbar abspielbar zu machen. Dabei werden einheitliche und gemeinsame Standards mit dem ZDF entwickelt, die perspektivisch weiteren gemeinwohlorientierten Partnern die Möglichkeit bieten, sich anzuschließen."

Die im Papier der OMG beschriebene "gemeinsame Streaming-Plattform" greife jedoch Überlegungen des derzeitigen ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke auf. "Allerdings ist uns bewusst, dass diese Überlegungen grundlegende und bislang noch nicht geklärte rechtliche Fragen berühren", so die ARD-Sprecherin mit Blick auf das Kartell-, Verfassungs- und Beihilfenrecht sowie die staatsvertragliche Beauftragung im Medienstaatsvertrag. "Außerdem ist sie auch in der Umsetzung herausfordernd und ambitioniert. Darum ist diese Vision aktuell noch skizzenhaft und der Fokus liegt auf dem ARD/ZDF-Streamingnetzwerk." 

Matthias Dang © Ad Alliance / Marina Rosa Weigl Matthias Dang
Sehr knapp fällt unterdessen die Antwort aus Köln aus. Hier antwortet Matthias Dang, Co-CEO von RTL Deutschland, man sei grundsätzlich "immer offen für Kooperationen, die strategisch Sinn machen". Klar ist aber auch: Der Fokus liegt weiter auf dem Streamingdienst RTL+, der inzwischen deutlich mehr als vier Millionen zahlende Abonnentinnen und Abonnenten in Deutschland zählt. "Wir sind mit RTL+ sehr gut unterwegs und werden uns daher auf den weiteren Ausbau konzentrieren, um den Erfolg fortzuschreiben", so Dang. Das klingt weiterhin nicht danach, als wolle man sich der Plattform des Mitbewerbers aus Unterföhring anschließend.

Und auch mit Blick auf Joyn Österreich ist die RTL-Gruppe nicht an Bord. Auch wenn deren Sender zusammen zweistellige Marktanteile verzeichnen, sucht man die Live- und On-Demand-Inhalte auf dem vermeintlichen "Super-Streamer" vergeblich. Was in Österreich verschmerzbar scheint, würde den Wert eines ähnlich gelagerten Angebots in Deutschland erkennbar schwächen.

"Herausforderungen sind groß, aber nicht neu"

Dabei weiß man bei ProSiebenSat.1 nur zu gut, wie schwierig es ist, mit einem weiteren Partner einig zu werden. Zunächst gemeinsam mit Discovery gestartet, verließ das Unternehmen nach dem Zusammenschluss mit Warner Bros. das Joint-Venture erst vor etwas mehr als einem halben Jahr, weil sich Joyn nur schwer mit den internationalen Streaming-Plänen des Konzerns vereinen ließen (DWDL.de berichtete). Seither betreibt ProSiebenSat.1 seinen Streamingdienst im Alleingang und kündigte zuletzt unter der Führung von Bert Habets an, wieder verstärkt in Joyn investieren zu wollen. 

Bei ProSiebenSat.1 gibt man sich daher kämpferisch - in der Hoffnung, mit Joyn doch noch mehr bewegen zu können. Sollten weitere Partner hinzukommen, stellen sich auch abseits der rechlichen Ausgangslage zentrale Fragen: Wie funktioniert die Vermarktung und wessen Inhalte werden ins Schaufenster gestellt? Einfache Antworten gibt es hierauf gewiss nicht.

"Die Herausforderungen sind groß, aber nicht neu", sagt ProSiebenSat.1-Sprecherin Stefanie Rupp-Menedetter auf DWDL.de-Nachfrage. "Bei der Integration der Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Joyn würden selbstverständlich die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geltenden spezifischen medienrechtlichen Vorgaben berücksichtigt, insbesondere mit Blick auf das Thema Werbung. Auch urheberrechtlich oder kartellrechtlich sehen wir keinen Showstopper: Denn Joyn ist schon heute ein Aggregator und unsere Einladung steht allen offen."

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