Manchmal muss man den Anfang vom Ende denken. "Die ARD", sagt ihr aktuell Vorsitzender Kai Gniffke beim Schlusswort der 23. Medientage Mitteldeutschland, "gab es ja schon, als ich noch nicht auf der Welt war". Kurze Kunstpause. "Und ich arbeite jeden Tag daran, dass es sie auch noch gibt, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin." Kurzes Saalgelächter. Bei einem Mann Anfang 60 könnten das schließlich locker drei Jahrzehnte sein.

Damit sein Verbund grundverschiedener Rundfunkanstalten nicht vorher das Zeitliche segnet, sind allerdings – laut Duden – planvolle Umgestaltungsprozesse nötig, die das Finale des Leipziger Branchentreffs im Titel dreifach interpunktiert: "Reform. Reform! Reform?" heißt der einflussreich besetzte Schlussakkord einer zweitägigen Druckbetankung mit allem, was hierzulande von Funk und Fernsehen bis Games und Podcasting unter Medien firmiert.

Wobei das Fragezeichen verdeutlicht: Es ist nicht nur viel zu tun, sondern mehr ungeklärt bei einer reformbedürftigen Institution, die Moderatorin Michaela Kolster, als Phoenix-Angestellte höchstpersönlich betroffen, wie folgt beschreibt: "Zu groß, zu teuer, zu träge, zu unübersichtlich" – so werde das gebührenfinanzierte Fernsehen ja nicht erst seit der Skandalwelle wahrgenommen, die vorigen Sommer von Berlin-Brandenburg bis Hamburg schwappte.

Dank Patricia Schlesinger neofeudalem Hofstaat schien die ARD da kurz vorm Exitus zu stehen. Aber Totgesagte, bleibt MDR-Verwaltungsratschefin Birgit Diezel drei Plätze weiter im fatalen Bild, "leben lang". Da herrscht, wie so oft bei dieser Wohlfühlveranstaltung im liebevoll heruntergerockten Industriedenkmal, ein gewisser Konsens. Zumindest, wenn sich die Arbeitsgemeinschaft massiv verändert. Nur wie?

Die Stimme sanfter Kritik kommt aus Sachsen

Darüber diskutieren Diezel und Gniffke mit ZDF-Intendant Norbert Himmler (Mainz), Journalismus-Professorin Annika Sehl (Ingolstadt) und – immerhin per Video zugeschaltet –Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (Saarbrücken) anstelle ihres verhinderten Amts- (nicht Partei-) Kollegen Kretschmer, dessen Bundesland durch Oliver Schenk vertreten wird, Medienbeauftragter der sächsischen Staatskanzlei und schon beim Panel zur Beitragserhöhung tags zuvor die Stimme sanfter Kritik an ARD und ZDF.

Medientage Mitteldeutschland, Kai Gniffke © Viktoria Conzelmann / MTM Kai Gniffke
Als er nun erneut von "wachsender Unzufriedenheit" einer Bevölkerung berichtet, die der "belehrende Tonfall" öffentlich-rechtlicher Informationsformate störe, wie die mangelnde "Trennung von Information oder Unterhaltung" und auch wegen hoher Kosten für Streamingdienste aller Art Beitragserhöhungen kritisch sehe, guckt Gniffke am anderen Ende der Bühne als kaue er Klostein. Aber das war’s dann schon mit dem Streitpotenzial. Zumal der Sozialdemokrat eigentlich andauernd dreinblickt wie ein trotziges Kind.

Also auch, als der Christdemokrat Schenk die Häuser von Gniffke und Himmler ohne Wenn und Aber verteidigt. Oder als Medien-Fachfrau Sehl die unabhängige Gebührenberechnung der KEF, denen ARD und ZDF vor einer Woche ihren Finanzbedarf für 2025-28 vorgelegt haben, als weltweit vorbildlich lobt. Oder als Regierungschefin Rehlinger beiden "Veränderungsdruck, aber auch -bereitschaft" zugutehält. Oder als MDR-Verwaltungsrätin Diezel von "Spirit in den Gremien" und "neuem Selbstverständnis" schwärmt.

Rundfunk "nicht schlechter reden, als er ist"

Es sind halt übellaunige Zeiten für Seriosität und Sachlichkeit, weshalb Gniffke es ablehnt, Reformdebatten mit Geldfragen zu beginnen. Denn "damit Hass und Hetze den Diskurs nicht dominieren, müssen wir inhaltlich und technologisch was tun". Etwa "glänzenden Journalismus" auf "allen Abspielstationen" zu bieten, der "an die Menschen denkt" und dabei "so wirtschaftlich wie möglich ist". Hier erntet der Trotzkopf zwar Zustimmung, aber auch Bedenken.

Von Norbert Himmler zum Beispiel, als früherer Neo-Chef standesgemäß in Sneakers zum Anzug. Der will den staatsvertraglich garantierten Rundfunk "nicht schlechter reden, als er ist", warnt aber davor, dass zu moderates Gebührenwachstum bei inflationsbefeuerter Kostensteigerung "nicht mehr genug in Qualität investieren" lasse. Beim "Kampf um die besten Köpfe" zu unterliegen etwa, sekundiert ARD-Aufseherin Diezel. Zwei Reformkonzepte dazu lauten: Zukunftsrat und Kooperation.

Ersterer vernetzt Politik und Sender durch ein achtköpfiges Gremium aus Forschung, Recht, Publizistik fürs zukunftsfähige Fernsehen, das sich Himmler "wendig und schnell" genug wünscht, "um nutzerrelevante Inhalte zu schaffen, die die Demokratie stärken". Letztere sollen Gniffke zufolge intensiviert werden, um "knappe Zeitbudgets auf Plattformen zu lenken, die von journalistischem Ethos getrieben sind". Ob es hier Tabus gebe, fragt Moderatorin Kolster ihr Podium, schaut Anke Rehlinger aus dem Land der zweitkleinsten Sendeanstalt jedoch am tiefsten in die Augen.

Rehlinger verteidigt mal wieder kleine Anstalten

"Natürlich muss sich jede Struktur rechtfertigen", antwortet sie offen. Aber gerade die Kleineren seien da, "obwohl sie seit Jahren unter Druck stehen", oft Impulsgeberinnen. Solche Länder an größere "ranzuflanschen" jedenfalls löse kein einziges Finanzproblem von alleine. Und Regionalität als Daseinsgrund neun öffentlich-rechtlicher Anstalten gebe es auch nicht zentral organisiert. Touché. Und damit Zeit für letzte Worte zweier Medientage von respektvoller Debattenfreude wie selten in dieser streitsüchtigen Epoche.

"Wir müssen Konflikte aushalten, die nicht nur Freude auslösen", umreißt Gniffke den Reformprozess. "Aber ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der die Gesellschaft zusammenhält", sei diese Schmerzen allemal wert. "Wir wollen, dass den Leuten 15 Cent am Tag fürs ZDF wert sind", sagt dazu noch Norbert Himmler. Und wie lange? "Ich bin ja jünger als Herr Gniffke". Also noch ein Weilchen.