"Nebenkostenprivileg" - so trocken und langweilig das Wort klingt, so sehr dürfte die Abschaffung dessen in den kommenden zwölf Monaten für Aufruhr in der Branche sorgen. Denn de facto können 12,5 Millionen von insgesamt knapp 17 Millionen Kabel-Haushalten in Deutschland spätestens zum 1. Juli 2024 erstmals frei darüber entscheiden, über welchen Weg sie ihr TV-Signal künftig eigentlich empfangen möchten - oder ob sie gleich ganz darauf verzichten.

Das sogenannte "Nebenkostenprivileg" ist die gesetzliche Regelung, die es Vermieterinnen und Vermietern seit vier Jahrzehnten erlaubte, den Kabelanschluss monatlich über die Nebenkosten abzurechnen. Die Frage, wie man sein TV-Signal empfangen will, stellte sich also für viele Millionen Haushalte in Deutschland gar nicht, weil das Signal einfach ungefragt aus der Dose kam - zumindest, wenn man keine über die Basis-Versorgung hinausgehenden Dienste haben wollte.

Gerechtfertigt wurde das damit, dass das Verlegen der TV-Kabel einst mit hohem Aufwand verbunden war. Zum Ausbau des Kabelnetzes konnten Vermieter damals Sammelverträge abschließen, die Netzbetreiber kümmerten sich dann um die Verkabelung auch im Haus. Im Gegenzug erhielten sie über viele Jahre sehr stabile Einnahmen. Doch die Kosten sind längst vielfach zurückverdient - und das klassische TV-Kabel hat in den vergangenen Jahren immer größer werdende Konkurrenz bekommen.

Daher wurde die Umlagefähigkeit auf die Nebenkosten mit der Neufassung des Telekommunikationsgesetzes am 1. Dezember 2021 abgeschafft - versehen mit einer Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2024. In einem Jahr ist nun für 12,5 Millionen Haushalte also tatsächlich "Independence Day" - von dem der Großteil aber nach wie vor nichts weiß. Einer Umfrage von waipu.tv zufolge gaben nur acht Prozent der Kabelanschlusskunden im Frühjahr an, schon einmal vom "Nebenkostenprivileg" gehört zu haben.

Aufklärungsarbeit dringend notwendig

Vodafone © Vodafone
Insofern steht nun also erstmal Aufklärungsarbeit an - und hier ist zunächst die Wohnungswirtschaft in der Pflicht, die ihren Mieterinnen und Mietern mitteilen muss, wie es künftig weiter gehen soll. Nebenkostenabrechnungen, die ab 1. Juli noch Kosten fürs TV-Kabel enthalten, sind in jedem Fall anfechtbar. Möglich aber, dass der Vermieter andere Lösungen vorschlägt: "Ein Teil unserer Partner in der Wohungswirtschaft hält an einer direkten Abrechnung für TV fest. Die TV-Kosten werden dabei aber nicht mehr über die Betriebskosten, sondern beispielsweise über Zusatzvereinbarungen abgerechnet", sagt Marc Albers, Bereichsleiter Breitband bei Vodafone.

PŸUR © Tele Columbus
Die allermeisten bislang über Sammelinkasso versorgten Haushalten werden die Kabelnetzbetreiber aber als direkte Kunden gewinnen müssen. Auch dabei setzt man auf die Mithilfe der Hausverwaltungen und Vermieter - schon allein, weil man den größeren Teil der Haushalte namentlich gar nicht kennt. "Die Erstinformation übernimmt immer die Wohnungswirtschaft, da sie für die Mieterschaft ja bisher 'gefühlt' den Kabelanschluss bereitgestellt und über die Mietnebenkosten abgerechnet hat", erläutern Unternehemenssprecher Sebastian Artymiak und Produktstratege Stephan Kalleder von Tele Columbus, die mit PŸUR nach Vodafone der zweitgrößte Kabelnetzbetreiber sind. "Eine aktive Begleitung der Kommunikation durch die Wohnungswirtschaft ist enorm wichtig. Also nutzen wir zum Beispiel Fluraushänge, Mieterzeitungsbeiträge und organisierte Informationsveranstaltungen in den Mieterbüros." Auch bei Vodafone verweist man auf Aushänge und Informationsschreiben.

Kabelnetzbetreiber setzen auf den Faktor Bequemlichkeit

Fernsehen © ad.unger / photocase.com
Gemessen daran, dass die Kabelnetzbetreiber einen Großteil der bislang versorgten Haushalte für die Zukunft erst noch als Kunden gewinnen zu müssen, gibt man sich betont gelassen und sieht sich gut gerüstet. "Wir haben früh begonnen die Umstellungen vorzubereiten, was inzwischen ein ganz normaler Prozess bei uns ist", heißt es bei Tele Columbus. Vodafone teilt mit, man sei "gut vorbereitet "und setze bereits "verschiedenste Szenarien und Marktangänge" um. Auch wenn der wichtigste Meilenstein der 1. Juli 2024 ist, informiere man bereits vorher und schließe "hier und dort" auch schon Direktverträge ab.

Dabei setzt man vor allem darauf, dass viele, die sich nie mit ihrem TV-Empfang auseinandersetzen wollten, auch künftig wenig Aufwand in diese Frage investieren wollen. "Die meisten Haushalte wollen nach unseren Erkenntnissen einfach entspannt weiter fernsehen. Und das geht am einfachsten und stabilsten über den Kabelanschluss", so Vodafone-Mann Marc Albers, der kurze Umschaltzeiten und stabile Übertragungen als Vorteile der eigenen Infrastruktur anpreist und für die Konkurrenz Spott übrig hat: "Warum sollten sie sich mit Bildaussetzern oder Passwörtern beim Internetfernsehen rumplagen?"

Ähnlich klingt es seitens Tele Columbus: "Ein Großteil der Mieterinnen und Mieter nutzt den Kabelanschluss seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten und möchte uns auch weiter treu bleiben. Für sie ist die Umstellung ein zwar lästiger, aber am Ende auch einfach zu vollziehender Akt des Inkassowechsels." Ein Inkassowechsel, der allerdings auch mit einer Preiserhöhung einher gehen wird: Neue Einzelverträge werden ein paar Euro über den bisher im Sammelinkasso abgerechneten Preisen liegen.

Wenn man nichts tut: Wird der Bildschirm schwarz?

Frau vor dem Fernseher © imago images / Panthermedia
Schließt man keinen direkten Vertrag mit seinem Kabelnetzbetreiber ab und gibt es auch keine andere vom Vermieter vorgeschlagene Lösung, der man zugestimmt hat, dann wird das TV-Signal in der Regel trotzdem nicht zum 1. Juli spontan verschwinden und der Fernseher schwarz bleiben - denn um Haushalte oder ganze Häuser vom Kabelsignal abzuschneiden, muss ein Techniker ins Haus kommen. Haushalte zu verlieren bedeutet für die Kabelnetzbetreiber also noch einmal zusäztzliche Kosten.

"Zentral können wir nur einen kleinen Teil unserer Anschlüsse abschalten, sodass wir uns darauf vorbereiten, auch die für die manuellen Abklemmungen notwendigen technischen Ressourcen zur Verfügung zu haben." Man gehe aber davon aus, dass aufgrund der Aufklärungskampagnen im Vorfeld "nur wenige Nutzer den Umstellungstermin übersehen und von der Abklemmung überrascht werden", heißt es bei Tele Columbus. Und wenn man ohne Vertrag einfach weiter schaut, solange kein Techniker da war? "Dann läge eine unberechtigte Nutzung vor. Und wir behalten uns vor, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Dann droht ein schwarzer Bildschirm", stellt Vodafone auf DWDL.de-Nachfrage klar.

Die Konkurrenz lauert: Wie sich Telekom, Waipu, Zattoo & Co. positionieren

Deutsche Telekom © Deutsche Telekom
Ein schwarzer Bildschirm, der sich aber durch den Wechsel auf andere Anbieter einfach vermeiden ließe. Vor allem bei der Telekom reibt man sich schon die Hände: "Der Wegfall des Nebenkostenprivilegs ist natürlich eine Riesenchance für uns", sagt Arnim Butzen, TV-Chef der Telekom gegenüber DWDL.de. "Dass sich rund 12,5 Millionen Haushalte auf einen Schlag frei für einen neuen TV-Anbieter entscheiden können, ist einmalig. Wir werden alles dafür tun, Magenta TV dieser sehr spannenden Zielgruppe näherzubringen." Mit der gezielten Ansprache dieser Zielgruppe will man nun im Herbst starten.

In diesem Zusammenhang erscheint auch der Erwerb der Übertragungsrechte für die Fußball-Europameisterschaft 2024 im eigenen Land gut durchdacht - das Großereignis findet nämlich genau zu diesem Zeitpunkt im Juni und Juli kommenden Jahres statt. Dass die Telekom Umstellungswillige auch damit anlocken will, dass man nur dort alle Spiele komplett live sehen kann, ist naheliegend. Butzen spricht davon, dass sich "in dieser Richtung ganz neue Möglichkeiten" eröffnen werde.

Zunächst habe aber "Aufklärungsarbeit" Priorität. "Erst wenn die Mieterinnen und Mieter verstehen, dass da tatsächlich laufende Kosten für die TV-Versorgung entfallen und sich dadurch ihr monatliches Budget automatisch erhöht, wächt ihr Interesse daran, ihr TV-Erlebnis zu optimieren", so Butzen - der sein eigenes Produkt Magenta TV dafür natürlich sowohl technisch als auch preislich weit vorne sieht. Tatsächlich hat man es längst auch als Produkt positioniert, das auch ohne gleichzeitigen Telekom-Internetanschluss erhältlich ist und obendrein eine beachtliche Anzahl an Bündel-Optionen mit anderen Streamingdiensten in petto.

Zattoo © Zattoo
Klar ist also: Die Telekom wird werblich in die Offensive gehen - und kleinere Anbieter wie Zattoo oder waipu.tv dürften da finanziell kaum mithalten können. Bei einer Panel-Diskussion auf der Breitbandmesse ANGA COM war daher kürzlich auch herauszuhören, dass man hier gar nicht erst versuchen will, werblich dagegen zu halten. Dafür hofft man, von der Aufklärungsarbeit, die andere leisten müssen, mit zu profitieren. Wer sich aktiv nach neuen Anbietern umsieht, stößt dann beispielsweise auch auf Info-Angebote wie das gerade von Zattoo gelaunchte, auch die Pressearbeit dürfte man intensivieren, entsprechende Angebote sind ebenfalls zu erwarten.

waipu.tv © waipu.tv
Christoph Bellmer, Chef der waipu.tv-Mutter Exaring gab sich bei den Aussichten auf der ANGA COM trotzdem kurzfristig vergleichsweise zurückhaltend - zunächst würden aus seiner Sicht vielleicht viele aus Bequemlichkeit noch beim klasisschen Kabel bleiben, den Umstieg hin zu IP-basierten Lösungen sieht er aber nur als Frage der Zeit.

Und was bedeutet das eigentlich fürs lineare Fernsehen?

Nicht zuletzt dürften auch die großen TV-Konzerne aufmerksam beobachten, welche Auswirkungen die große Freiheit für die Millionen Kabelhaushalte künftig haben wird. Denn statt für einen der Konkurrenten könnten sich viele ja den Zugang zum klassischen Fernsehen künftig auch gleich ganz sparen. Der Großteil der Inhalte lässt sich schließlich über Mediatheken oder bei Streamingdiensten auch ohne Zugang zum klassischen linearen Fernsehen konsumieren.

Das wäre weniger für die Kabelnetzbetreiber ein Problem, die ja schon lange als Breitbandanbieter auch ohne Notwendigkeit des TV-Signals auftreten, als für die Fernsehkonzerne - könnte es doch den allgemeinen Abwärtstrend der linearen TV-Nutzung nochmal massiv verstärken. Wieviele "Cord-Cutter" künftig ganz auf einen linearen TV-Zugang verzichten, bleibt abzuwarten. Bislang sind es laut Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten 5,6 Prozent der Haushalte. Man darf gespannt sein, wo man in ein bis zwei Jahren stehen wird - und ob und wie das die Erlösmodelle der privaten TV-Konzerne weiter unter Druck bringen wird, die den Großteil ihrer Werbeeinnahmen nach wie vor im Linearen erzielen.