Ein halbes Jahr ist es her, dass die Menschen im Südosten der Türkei und im syrisch-türkischen Grenzgebiet von zwei Erdbeben überrascht wurden. Die Katastrophe ist längst aus den Schlagzeilen verschwunden, doch eine Doku-Reihe des NDR, die jetzt ihre Premiere in der ARD-Mediathek feiert, erinnert noch einmal an das Schicksal - und erzählt die dramatischen Tage aus Sicht der Helferinnen und Helfer des Technischen Hilfswerks (THW).
Dass ein Team im Auftrag des NDR überhaupt so schnell bereit war, die Rettungsarbeiten in weitaus größerem Umfang zu zeigen als das bei der klassischen tagesaktuellen Berichterstattung der Fall ist, hängt auch damit zusammen, dass der Sender das THW bereits seit Mitte vergangenen Jahres bei Übungen und Einsätzen begleitete. Im Zuge dessen wurde noch zwei Monate vor dem schweren Erdbeben eine Übung der "Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland", die später in der Türkei zum Einsatz kam, in Portugal gefilmt.
Goethes Gedanken kreisten freilich auch um die Gefährlichkeit einer solchen Drehreise, versichert sie. "Aber es war mir in diesem Moment zum einen nicht klar, welche apokalyptischen Dimensionen dieses Erdbeben vor Ort angenommen hat, und zum anderen hatte ich Grundvertrauen in meinen Kollegen und Kameramann Dieter Brockmann. Der zu unserer Erleichterung alles stehen und liegen ließ, um diesen Dreh mit einem Assistenten und mir zu realisieren." Klar, dass es da auch um Vertrauen geht: Mit Brockmann hat Nicola Goethe in der Vergangenheit schon für diverse Filme und Serien zusammengearbeitet. "Mit niemand anderem hätte ich diesen außergewöhnlich anstrengenden, gefährlichen Dreh so realisieren können."
Zwölf Stunden vergingen, bis nach der Genehmigung von NDR und Deutscher Botschaft auch vom THW grünes Licht kam. Die Anreise selbst nach 31 Stunden in Anspruch. "Je näher wir uns der Provinz Hatay näherten, desto langsamer kamen wir voran. Vor Ort waren die Straßen oft nicht befahrbar, umgestürzte Häuser, Steine, Risse in den Fahrbahnen haben uns die ganze Zeit aufgehalten. Umwege mussten gesucht werden, und selbst diese waren zum Teil nicht passierbar. Es gab keinen Strom mehr, also nachts auch keine Lichter. Wir wussten nie, wann es wie oder wohin geht. Genauso wie für das THW waren auch für uns die Bedingungen in so einem katastrophalen Ausmaß der Zerstörung nicht planbar und extrem schwierig."
Vor Ort angekommen, zeichnete sich schließlich ein Bild des Grauens. "Es gab kaum ein Gebäude, das nicht zerstört war, und das über einen kilometerlangen Radius hinweg", erinnert sich Goethe. "Es war gefährlich, durch die hohe Zahl der Nachbeben war jedes Annähern oder Betreten eines der zerstörten Gebäude, Hochhäuser schlicht lebensgefährlich. Das THW musste oft selbst erst einmal die Lage sondieren und einschätzen, denn auch die Behörden vor Ort waren aufgrund des extrem hohen Grades der Zerstörung überfordert oder aber selbst Opfer der Katastrophe geworden."
An eine Hotelübernachtung war deshalb nicht zu denken. Luftmatratzen und Schlafsäcke und ein Drei-Personen-Zelt, das das THW der Crew zur Verfügung stellte, bildeten während der Drehtage den einzigen Rückzugsort. Dort, bei minus 15 Grad, war ohne Heizung an Schlaf allerdings nur bedingt zu denken.
Auch die Sprachbarriere sorgte vor Ort für Herausforderungen - ganz zu schweigen von den Schicksalen der Menschen, mit denen Goethe, ihr Kameramann Dieter Brockmann und Assistent Josa Fiedler konfrontiert wurden. "Neben der Müdigkeit, da wir keine Nacht mehr als drei bis vier Stunden geschlafen haben, waren der Geruch nach Leichen und Verwesung, das Leid vor Ort zu sehen und zu riechen ebenfalls eine Belastung für das ganze Team", sagt die Autorin. "Bei der Lebendrettung durch das THW nach mehr als 100 Stunden - an sich ein wahres Wunder, dass die Frau noch lebte - hatten wir schwer bewaffnetes Militär vor Ort, dessen Fokus auf der Abriegelung der Schadenstelle lag. Daher mussten mein Team und ich uns einen Weg bahnen, damit wir überhaupt den Einsatz drehen konnten. Insgesamt haben wir alle drei versucht, alles mit den Kameras festzuhalten."
"Ich hatte oft das Gefühl vor Ort, ich befinde mich in einer Roland-Emmerich-Blockbuster Drehkulisse, aber es war alles Echtzeitszenario."
Nicola Goethe
Gedreht wurde mit mehreren Kameras, einer Drohne und diversen Bodycams. Dass die Bilder überhaupt brauchbar sind, ist nicht zuletzt mit Akku betriebenen Speziallampen zu verdanken. Sie hätten es überhaupt erst ermöglicht, "in den zerstörten Regionen, in denen es kein Strom, also auch kein Licht gab, zu drehen", so Goethe im Gespräch mit DWDL.de.
Herausgekommen sind fünf beeindruckende Folgen, die noch einmal die dramatischen Tage, aber auch die Leidenschaft der Helferinnen und Helfer dokumentieren. Gewiss kein gewöhnlicher Dreh für Nicola Goethe und ihr Team. "Wir alle haben noch lange die Bilder und Eindrücke von Tod, Leid, Zerstörung mit nach Hause genommen", erzählt sie. "Überall roch es nach verbranntem Gummi, Holz oder anderen Sachen, weil die Menschen sich Lagerfeuer gemacht hatten, keiner traute sich mehr in die zerstörten Häuser oder Wohnkomplexe zurück und es war nachts sehr kalt. Die Menschen hatten alles verloren."
Apokalypse, sagt Goethe mit Blick auf die Situation im Erdbebengebiet, trifft es eigentlich ganz gut. "Ich hatte oft das Gefühl vor Ort, ich befinde mich in einer Roland-Emmerich-Blockbuster Drehkulisse, aber es war alles Echtzeitszenario. Die Bilder, die man im Fernsehen und auf allen anderen Medienkanälen gesehen hat, können diesen Schrecken und das Leid nicht wirklich wiedergeben." Sehenswert sind die sehr authentischen Eindrücke, die die Filmemacherin mit nach Deutschland gebracht, freilich trotzdem. Erst recht, weil das Leid der Menschen zwar aus den Fernsehnachrichten verschwunden ist, in Wirklichkeit aber bis heute anhält.
"Wahre Helden - Einsatz fürs THW" ab sofort in der ARD-Mediathek sowie am 18. und 20. September ab 22:00 Uhr im NDR Fernsehen. Schon am 4. Oktober folgt die zweite Staffel der Doku-Reihe in der Mediathek.