Die Annahme, bloß weil Silvio Berlusconi tot sei, könne er seinen Familienkonzern nicht mehr beeinflussen, erwies sich schnell als falsch. Unmittelbar nachdem der Tod des "Cavaliere" Mitte Juni bekannt wurde, schoss der Kurs von MediaForEurope in die Höhe – am ersten Tag um 3,7 Prozent, am zweiten um weitere knapp sieben Prozent. Die Hoffnung der Investoren schien klar: Seine Erben mögen neue Partner für MFE suchen oder das Unternehmen gleich ganz verkaufen.
Erklären lässt sich das mit dem Umstand, dass das einstige Mediaset von seiner größten wirtschaftlichen Blüte mittlerweile weit entfernt ist. Schon zu Lebzeiten des Hauptgesellschafters, der seit zwei Jahrzehnten keine operative Rolle im Konzern mehr spielte, war MFE in einen merkwürdigen Schwebezustand geraten. Einerseits gibt es europaweit nach wie vor keine andere TV-Gruppe, die mit ihren linearen Sendern im Heimatmarkt so hohe Marktanteile erreicht. Andererseits hat MFE innerhalb der letzten sechs Jahre – schon deutlich vor der jüngsten Konjunkturkrise – mehr als 80 Prozent seines Börsenwerts verloren.
Doch wer auf ein rasches Zeichen der Veränderung gesetzt hatte, wurde enttäuscht. In einem internen Schreiben an die Belegschaft versprach MFE-CEO Pier Silvio Berlusconi wenige Tage nach dem Tod seines Vaters "ungebrochene Kontinuität". Der 54-Jährige führt den Konzern seit 2015 und ließ sich auch nicht davon abhalten, als ein Mailänder Gericht ihn 2016 wegen Steuerbetrugs zu 14 Monaten auf Bewährung verurteilte. Genau wie seine ältere Schwester aus erster Ehe, Marina Berlusconi, hatte der Junior einst das Studium abgebrochen, um in Papas Unternehmen anzufangen – in den frühen 90ern zunächst als Chef der Vermarktungstochter Publitalia.
Die 57-jährige Marina wiederum, die als Silvios "Lieblingskind" galt und ihren Vater stets öffentlich gegen jede Kritik verteildigte, wirkt seit Jahren eine Ebene höher – als Verwaltungsratsvorsitzende der Familienholding Fininvest, der knapp die Hälfte von MFE gehört. Berlusconis Testament hat die beiden ältesten Kinder zur neuen starken Front gemacht: Aus Finanzkreisen verlautete, dass Marina und Pier Silvio zusammen jetzt eine Mehrheit von 53 Prozent an Fininvest halten. Zuvor hatte jeder von ihnen 7,7 Prozent. Gemeinsam mit ihren drei jüngeren Geschwistern aus zweiter Ehe schalteten sie am Tag der Beerdigung eine rührende Botschaft in allen großen Zeitungen Italiens: "Süßer Papa, danke für das Leben, danke für die Liebe. Du wirst immer in uns leben."
Die geschäftlichen Ambitionen der jüngeren Berlusconis, die ebenfalls an Fininvest beteiligt sind, scheinen unklarer: Eleonora, 37, kümmert sich um Immobilien und führt ein Privatleben in aller Stille, während Barbara, 38, und Luigi, 34, immerhin im Verwaltungsrat der Holding sitzen, ansonsten aber auch eigenen Investments nachgehen. 2020 hatten die drei gemeinsam versucht, die queere Dating-App Grindr zu übernehmen, wurden jedoch von amerikanischen Investoren überboten. Für alle fünf Geschwister stellt sich mittelfristig trotz des beträchtlichen Erbes – Berlusconis Vermögen wurde auf 6,4 Milliarden Euro geschätzt – die Frage, ob sie am in die Jahre gekommenen Konzern festhalten oder ihre Anteile lieber versilbern wollen.
Der enorme Wertverlust von MFE über die Jahre geht im Wesentlichen mit dem Siegeszug des Streaming einher. Weil die klassischen TV-Sender einfach zu gut liefen und die Werbeerlöse nur so sprudelten, klammerte man sich lange ans herkömmliche Free-TV und verpasste den Zeitpunkt für eine rechtzeitige Digitalisierung des Geschäfts. So half es im Geschäftsjahr 2022 dann auch nicht viel, dass die Mediaset-Kanäle in Italien ihren Zuschauer-Marktanteil sogar noch um mehr als zwei Prozentpunkte auf 40,5 Prozent hochschrauben konnten. Weil gleichzeitig der TV-Werbemarkt zur Talfahrt ansetzte, sackte der Konzernumsatz am Ende um vier Prozent auf 2,8 Milliarden Euro ab, das operative Betriebsergebnis gar um elf Prozent auf 804 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die deutsche Beteiligung ProSiebenSat.1 erwirtschaftete im selben Zeitraum bei 4,2 Milliarden Euro Umsatz ein EBITDA von 666 Millionen Euro.
Die angestrebte Europäisierung, die Berlusconi junior seit Mitte 2019 unter dem neuen Namen MFE, mit der Komplett-Integration der spanischen Töchter und dem wachsenden Einfluss in Unterföhring verfolgt, ist somit auch der Versuch, nationalen Schwund in ein größeres internationales Ganzes hinüberzuretten. Was nicht heißt, dass es nicht auch für das arg schwächelnde ProSiebenSat.1 sinnvoll wäre, im Zuge einer übergreifenden technologischen und kommerziellen Plattform zusammenzuarbeiten. Dazu sind die Deutschen unter ihrem seit elf Monaten amtierenden Vorstandschef Bert Habets nun erstmals bereit – nach jahrelangen Abwehrkämpfen.
Was in der Zwischenzeit passiert ist: MFE hat seine direkte Beteiligung an ProSiebenSat.1 auf 28,9 Prozent und damit auf Stimmrechte in Höhe von 29,7 Prozent gesteigert. Behrends ist in den Aufsichtsrat eingezogen. Und erste bilaterale Arbeitsgruppen haben ihre Gespräche über gemeinsame IT- und Plattformfragen aufgenommen. Laut Behrends beabsichtigt MFE "derzeit nicht, den Anteil zu erhöhen". Man darf wohl davon ausgehen, dass die Italiener Habets mindestens ein halbes bis dreiviertel Jahr Zeit geben werden, den Tanker durch Stellenabbau, Stärkung der Streaming-Plattform Joyn und Veräußerung von Digital-Beteiligungen auf Kurs zu bringen.