Seit einigen Jahren ist es eine gewisse Tradition, dass sich das ZDF daran versucht, ernste Themen in leichtere Verpackungen zu gießen. Und das durchaus erfolgreich: Formate wie "Unvergesslich - Unser Chor für Menschen mit Demenz" und "Dont' stop the Music" kamen nicht nur beim Publikum gut an, sondern auch bei Kritikern. "Wir suchen nach Themen, die in unserer Gesellschaft leider immer noch mit Tabus belegt sind und rücken sie in den Fokus – immer verbunden mit einem konstruktiven, positiven Ansatz", erklärt Thorsten Haas, stellvertretender Leiter der Hauptredaktion Show beim ZDF, gegenüber DWDL.de den Ansatz. "Die Projekte und die emotionalen Heldenreisen zeigen nicht nur Probleme, sondern auch Lösungsansätze und Perspektiven auf."
Nun, kurz vor Weihnachten, will der öffentlich-rechtliche Sender nachlegen und sich mit "Buchstäblich leben" vier Folgen lang Menschen widmen, die nicht oder nur unzureichend lesen können. 6,2 Millionen Erwachsene, auf die das zutrifft, gibt es in Deutschland - es ist also gewiss kein Nischenthema, um das es in dem neuen Factual-Format mit Moderatorin Sabine Heinrich geht, hinter deren Umsetzung die Produktionsfirma Endemol Shine Germany steht.

"Uns war wichtig, aufzuzeigen, dass Lese- und Schreibschwäche unabhängig ist von Alter, sozialem Background oder der bisherigen Lebensgeschichte", so Vafea. "Wir sind sehr dankbar, dass wir Menschen gefunden haben, die den Mut hatten, uns ihr schambehaftetes, lang gehütetes Geheimnis anzuvertrauen und mit der Sendung nach außen zu treten." Doch wie gelingt es, die vermeintlichen Schwächen der Protganostinnen und Protagonisten zu zeigen, ohne sie vorzuführen? "Indem wir ganz natürlich mit der 'Schwäche' umgegangen sind", erzählt sie. "Unser Team-Motto war 'Mitgefühl statt Mitleid', Begegnungen auf Augenhöhe."

Im Falle von "Buchstäblich leben" war das Risiko wahrscheinlich sogar noch ein bisschen größer, weil sich das Original eben nur zum Teil auf Deutschland übertragen ließ. "Lese- und Schreibprobleme haben etwas mit Sprache zu tun. Andere Sprache, andere Herausforderungen", fasst Panagiota Vafea von Endemol Shine Germany zusammen. Aus diesem Grund habe man das Format an die hiesigen Gegebenheiten angepasst und ein individuell erarbeitetes Lernprogramm zugrunde gelegt. Erklärtes Ziel sei es aber auch gewesen, Anderen Mut zu machen und mit Vorurteilen aufzuräumen. "Was für die meisten von uns stinknormaler Alltag ist, ist nicht für jeden selbstverständlich. Ein Vater, der zum Ziel hat, seinem Kind endlich mal eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen zu können, banale Dinge wie einkaufen gehen oder im Restaurant die Speisekarte lesen zu können."
Mit dem Ergebnis ist Vafea zufrieden. "Dank unserer Experten und ihrer Lernmethoden konnten wir auf einer intensiven, viermonatigen Reise, zum Teil Jahre oder sogar Jahrzehnte des Leidens brechen", sagt sie zu DWDL.de. "Ich glaube, deswegen ist es auch für das gesamte Team ein Herzensprojekt - eben ein Format, das buchstäblich Leben verändert."
Beim ZDF will man das Genre indes auch in Zukunft weiterverfolgen und nicht nur ins Ausland schielen, auch wenn man mit der Adaption eines bereits erprobten Modells auf der sichereren Seite sei, wie Thorsten Haas betont. "Da sollten wir mutiger werden und es gibt ja auch bereits einige erfolgreiche Beispiele." Aktuell entwickelt der Sender bereits ein neues Projekt, sagt er, "diesmal ganz ohne internationale Vorlage".
"Buchstäblich leben", samstags um 19:25 Uhr im ZDF