Die alternde Bevölkerung in Deutschland, kombiniert mit einer rückläufigen Fernsehnutzung, stellt die Verantwortlichen hiesiger Privatsender vor eine gewaltige Herausforderung, weil die einst viel beschworene Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen zunehmend ausgedient hat. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt wird daher in der Branche nach einem neuen Vergleichsmaßstab gerungen, doch eine Einigung kam bislang nicht zustande. Daran änderte sich auch nichts, als RTL Deutschland im vorigen Jahr einen neuen Anlauf unternahm und den Fokus bei seinen TV-Kanälen seither auf die 14- bis 59-Jährigen legt.

"Deutschland wird älter und 14-49 spiegelt lediglich noch rund 20 Prozent der tatsächlichen linearen TV-Nutzung in Deutschland wider", rechnete Stephan Schmitter, inzwischen zum CEO von RTL Deutschland aufgestiegen, Anfang 2023 vor. "Wenn wir den Markt und die Strahlkraft von Fernsehen oder letztendlich Bewegtbildinhalten wirklich abbilden wollen, dann kann dies nur über Gesamtreichweiten beziehungsweise konvergente Betrachtungen von TV und Streaming sowie über die für den Werbemarkt längst relevante TV-Zielgruppe 14-59 adäquat funktionieren."

Lauter Widerspruch kam damals aus Unterföhring. "Anders als es Stephan Schmitter darstellt, kauft der Werbemarkt nicht 14-59 - und hat auch bisher nicht 14-49 gekauft", erklärte Guido Modenbach, Geschäftsführer des ProSiebenSat.1-Vermarkters Seven.One Media, daraufhin im Interview mit DWDL.de. Wieder schien der Traum einer einheitlichen Zielgruppe geplatzt. Oder etwa nicht?

Verwunderung in der Branche

Anfang März überraschte ProSiebenSat.1-CEO Bert Habets auf der Bilanz-Pressekonferenz des Unternehmens mit der Ankündigung, dass man sich auf Konzernebene fortan auf die 20- bis 59-Jährigen konzentrieren will und nicht mehr wie bisher auf die 14- bis 49-Jährigen. Die Verwunderung in der Branche war groß, allen voran beim Konkurrenten in Köln, wo intern die Frage aufgeworfen wurde, weshalb ProSiebenSat.1 nun umschenkt, aber trotzdem die Chance verpasst, auf eine einheitliche Linie mit RTL zu gehen, indem die 14- bis 19-Jährigen in der Quoten-Betrachtung ausgeblendet werden. 

Guido Modenbach © Seven.One Entertainment/Florian Bachmeier Guido Modenbach
Im Gespräch mit DWDL.de versucht sich Guido Modenbach an einer Einordnung, denn tatsächlich will ProSiebenSat.1 auch weiterhin bei der Bewertung seiner einzelnen Sender spezifische Zielgruppen definieren, sogenannte "Senderzielgruppen", die in der Vergangenheit noch "Relevanzzielgruppen" genannt wurden. "Unser Senderportfolio ist in seinem Zielpublikum sehr ausdifferenziert. Für uns wäre es daher nicht zielführend, wenn es nur eine einzige Zielgruppe gäbe, an der sich alles ausrichtet", sagt Modenbach. "Es ist in dieser differenzierten TV-Landschaft nicht mehr zeitgemäß, alles anhand einer Zielgruppe zu betrachten. Wir würden daher auch niemals all unsere Sender nur nach ihrer Performance bei 20-59 zu beurteilen."

Wie ist vor diesem Hintergrund also der plötzliche Schwenk auf 20-59 zu verstehen? "Nur wenn wir uns die Summe aller Leistungen anschauen, also nicht nur die einzelnen Brands, gehen wir auf 20-59", stellt Modenbach klar und wiederholt noch einmal sein schon vor einem Jahr vorgetragenes Argument. "Es gibt im Werbemarkt nicht diese eine Zielgruppe. Vielmehr adressiert jeder Kunde oder sogar jede Kampagne eine eigene Zielgruppe. Aber 20-59 funktioniert letztlich als gute Klammer um die Summe aller Zielgruppen und TV-Kampagnen."

 

"Der deutsche Werbemarkt ist besonders, weil die Nummer zwei der Sender auf ein junges Publikum ausgerichtet ist."
Guido Modenbach, Geschäftsführer Seven.One Media

 

Dass ProSiebenSat.1 zumindest auf Konzernebene seinen Blick also um die 50- bis 59-Jährigen erweitert, ist aus Modenbachs Sicht nur folgerichtig. "Sofern jeder unserer Sender in seiner spezifischen Zielgruppe erfolgreich ist, wachsen wir als Gruppe automatisch auch bei 20-59. Und wenn wir dort Marktanteile hinzugewinnen, werden wir wiederum am Werbemarkt relevanter." Dass man die 14- bis 19-Jährigen ausklammere, sei indes auch als "Signal nach innen" zu verstehen, "dass wir unsere Sender in einem alternden Fernsehmarkt also bewusst nicht zu jung positionieren".

Das gilt im Übrigen auch für ProSieben, als dessen Senderzielgruppe zwar nach wie vor die 14- bis 49-Jährigen definiert ist, auch wenn das Durchschnittsalter des ProSieben-Zuschauers inzwischen recht deutlich jenseits der 40 liegt. Verglichen mit anderen Sendern ist ProSieben damit aber noch immer das mit Abstand jüngste Vollprogramm in Deutschland - was auch ein Grund dafür ist, dass sich ProSiebenSat.1 weiterhin gegen eine generelle Zielgruppen-Erweiterung ausspricht. Tatsächlich ginge ProSieben bei einer Betrachtung der 14- bis 59-Jährigen als größter Verlierer vom Feld; würde mit kaum mehr als fünf Prozent Marktanteil durchgereicht auf den vierten Platz unter den Privatsendern.

Sat.1 muss ältere Zuschauer zurückgewinnen

"Der deutsche Werbemarkt ist besonders, weil die Nummer zwei der Sender auf ein junges Publikum ausgerichtet ist", betont Guido Modenbach mit Blick auf die klassische Zielgruppen-Betrachtung. "Das gibt es in dieser Form weltweit nicht mehr, schon gar nicht in den USA, wo die Network-Sender allesamt viel älter positioniert sind – ähnlich wie hierzulande ARD und ZDF." Zwar sei es richtig, dass junge Leute auch hierzulande weniger fernsehen, "aber sie nutzen lineares Fernsehen noch immer und sehr gezielt", führt der ProSiebenSat.1-Manager im Gespräch mit DWDL.de aus. "Dadurch ist es möglich, dass 'Germany's next Topmodel' bei jungen Frauen, selbst in der Generation TikTok, nach wie vor eine Ikone ist."

Während ProSieben also auch in Zukunft jünger als die Konkurrenz positioniert bleiben soll, liegen die Hoffnung auf steigende Marktanteile in der neuen Konzernzielgruppe vor allem auf Sat.1, dessen Publikum in den zurückliegenden Jahren aus Sicht der Verantwortlichen nicht ausreichend gealtert ist - auch, weil viele zu jung ausgerichtete Programme schlicht an der Sat.1-Zielgruppe vorbeisendeten. Das wiederum hatte zur Folge, dass der Sender inzwischen nicht nur den Anschluss an RTL verloren hat, sondern auch hinter das nah am großen Sender-Bruder positionierte Vox zurückgefallen ist.

Das Wachstumspotenzial für Sat.1 ist, will man es positiv formulieren, ziemlich groß. Eine einheitliche Zielgruppen-Betrachtung in Unterföhring und Köln wird es jedoch zumindest auf absehbare Zeit weiterhin nicht geben.