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Was lange währt, wird endlich gut. Wobei das mit dem Ergebnis noch nicht so klar ist. Mit dem Kompetenzcenter Gesundheit der ARD ist am 1. Mai das erste seiner Art an den Start gegangen. Endlich, möchte man meinen. Und auch wenn es für ein Fazit rund drei Wochen nach dem Start natürlich noch zu früh ist, dürfte Vielen innerhalb und außerhalb der ARD ein Stein vom Herzen gefallen sein, dass es nun tatsächlich losgeht, nachdem sich der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke zuvor lange von Ankündigung zu Ankündigung hangelte. 

Doch was passiert nun überhaupt in diesem Kompetenzcenter Gesundheit, bei dem die NDR die Federführung übernommen hat? Was ist anders als zuvor und was ist das mittelfristige Ziel? Dazu hat DWDL.de mit Friederike Krumme und Kristopher Sell gesprochen. Sie sind die Leiter des Kompetenzcenters und haben schon zuvor in der Leitung des Bereichs Service, Wirtschaft und Gesundheit zusammengearbeitet.

Das vielleicht wichtigste vorweg: Das Kompetenzcenter produziert für die verschiedenen ARD-Anstalten nicht auf Nachfrage. "Dazu hätten wir keine Kapazitäten", sagt Friederike Krumme, die seit 2006 die Redaktion des NDR-Gesundheitsmagazin "Visite" leitet. Stattdessen hat man ein Wochenangebot geschaffen: Man produziert einerseits Stücke für ARD Aktuell ("Tagesschau", "Tagesthemen") und die Webseite der "Tagesschau", andererseits macht man aber auch den Hörfunkwellen der ARD ein Angebot aus verschiedenen Beiträgen. Hinzu kommt ein Beitragspool, der sich aus verschiedenen Magazinen speist. Für diesen Pool produziert man wöchentlich vier neue Beiträge, die allen interessierten Abnehmern innerhalb des Senderverbunds zur Verfügung stehen. 

Haben die Redaktionen, die in der Vergangenheit TV-Sendungen, Langformate oder die Social-Media-Kanäle verantwortet haben, vergleichsweise isoliert gearbeitet, soll nun alles vernetzter passieren. Möglich ist das auch, weil in einer crossmedialen Konferenz über die Anstaltsgrenzen hinweg jede Woche über Inhalte und die besten Ausspielwege diskutiert wird. Nicht zuständig ist das Kompetenzcenter im Bereich der Gesundheitspolitik sowie im Regionalen, hier steht man den Kolleginnen und Kollegen dennoch beratend zur Seite, falls diese das wünschen. 

Was sich schon geändert hat

Die verschiedenen ARD-Anstalten können das Pool-Angebot des Kompetenzcenters nutzen, müssen es aber nicht. "Jede Landesrundfunkanstalt kann ihren Inhalt wie bisher produzieren und muss das nicht über das Kompetenzcenter machen. Das wäre nur nicht schlau, denn über das Kompetenzcenter haben wir ganz andere distributorische Möglichkeiten", sagt Krumme gegenüber DWDL.de. So stehe man den Sendern bzw. Redaktionen auch beratend zur Seite, um sie etwa auf Themenschwerpunkte oder einzelne Beiträge aufmerksam zu machen. Krumme und Sell vergleichen das Kompetenzcenter mit einer Bibliothek: Man stelle die Inhalte in das Regal und die Anstalten könnten auswählen, ob und wenn ja welche Beiträge sie sich herausnehmen. 

Visite © NDR/Hendrik Lüders "Visite" mit Moderatorin Vera Cordes ist in immer mehr ARD-Dritten zu sehen
Der Bayerische Rundfunk (BR) agiert beim Kompetenzcenter Gesundheit als sogenannter Content-Partner, liefert also Beiträge zu, die dann eben auch die anderen Anstalten über das neue Modell nutzen können. Anders als andere Anstalten behält der BR auch sein Format "Gesundheit" im Programm, während MDR ("Hauptsache Gesund"), RBB ("RBB Praxis") und HR ("Der Gesundmacher") ihre jeweiligen Sendungen eingestellt haben. MDR und HR übernehmen seit einiger Zeit die NDR-Sendung "Visite", beim RBB gibt’s das neue "RBB Gesund+" zu sehen, das bislang eher noch eine wilde Mischung aus Beiträgen verschiedener ARD-Anstalten ist (DWDL.de berichtete). Und digital will man mittelfristig alle Inhalte unter dem Dach von ARD Gesund bündeln. 

"Der Meta-Auftrag lautet: Schmelzt im Linearen etwas ab, um es für neue Zielgruppen im Digitalen einzusetzen."
Kristopher Sell, Co-Leiter Kompetenzcenter Gesundheit


Eine einheitliche Lösung für die verschiedenen Sender gibt es nicht - schon gar nicht vom neuen Kompetenzcenter vorgegeben. "Wir haben eine steuernde Funktion, aber wir können bei den einzelnen Landesrundfunkanstalten nicht ins Programm eingreifen. Wir machen ein Angebot, auf das die Anstalten zurückgreifen können", sagt Friederike Krumme. Und weiter: "Wir arbeiten mit der positiven Kraft des Kompetenzcenters und nicht mit Druck und Vorschriften." Kristopher Sell sagt aber auch, dass das Ziel natürlich sei, dass "möglichst viele Landesrundfunkanstalten auf unser Angebot zurückgreifen". 

"Der Meta-Auftrag lautet: Schmelzt im Linearen etwas ab, um es für neue Zielgruppen im Digitalen einzusetzen", erklärt Sell. Es ist vielleicht das größte Missverständnis rund um die Kompetenzcenter: Die ARD will das dadurch eingesparte Geld nicht komplett einsparen, sondern lediglich umverteilen. Um etwa mit neuen Formaten neue Zielgruppen anzusprechen. Insgesamt 50 Millionen Euro will die ARD so freimachen - wohlgemerkt mit allem Kompetenzcentern, nicht nur mit dem Gesundheits-Team. Zusammen mit dem RBB befindet man sich aktuell in der Formatentwicklung für ein Format, das sich an junge Männer unter 30 Jahren richten soll. Diese Zielgruppe hat man bislang nicht besonders gut erreicht. 

Und auch wenn alle ARD-Anstalten in ihren Entscheidungen weiterhin frei sind: Friederike Krumme und Kristopher Sell haben im Idealfall künftig den Überblick über sämtliche Gesundheitsinhalte, die produziert werden - und können so Doppelungen vermeiden und besser als zuvor Themen-Pakete schnüren, die dann gezielter an die Menschen gebracht werden. Und das auf allen Ausspielwegen. "Beim Kompetenzcenter-Prozess geht es nicht in erster Linie um Einsparungen, sondern darum, die publizistische Schlagkraft zu erhöhen", sagt Krumme daher. 

"Für reines Koordinieren bleibt keine Zeit"

Für beide Journalisten bleibt bei den vielen neuen Aufgaben aber auch Zeit, selbst inhaltlich tätig zu werden. "Ich bin mit ganzem Herzen Medizinjournalistin und freue mich, dass ich immer noch ein bisschen Zeit und Raum habe, um mich inhaltlich mit den Themen zu befassen. Das ist auch notwendig", sagt Krumme, die darauf verweist, dass es im Kompetenzcenter zwar viele Rollen gebe, aber gar nicht so viele Menschen. "Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Doppel- oder Dreifachrollen. Für reines Leiten und Koordinieren bleibt keine Zeit."

Wie viel Personen nun tatsächlich für das Kompetenzcenter Gesundheit im Einsatz sind, ist auch für die beiden Leiter schwer zu sagen. Denn es gibt keine klassische Redaktion "Kompetenzcenter Gesundheit", stattdessen arbeiten die verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach wie vor in ihren Redaktionen und sind übergeordnet auch für das Kompetenzcenter tätig. Sell sagt, in Summe sind es wohl so zwischen 25 bis 30 Menschen, die unter dem neuen Dach arbeiten. 

"Jede Landesrundfunkanstalt kann ihren Inhalt wie bisher produzieren und muss das nicht über das Kompetenzcenter machen. Das wäre nur nicht schlau."
Friederike Krumme, Co-Leiterin Kompetenzcenter Gesundheit


Mögliche fehlende Identifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen dieser Aufstellung sei zu Beginn des Prozesses durchaus ein Thema gewesen, räumt Sell ein. Dann habe man aber schnell eine Energie bei denen gespürt, die das Vorhaben umgesetzt hätten. "Viele haben gemerkt, dass man die Inhalte mit viel mehr PS auf die Straße bringt, wenn man in Produkten denkt und nicht mehr in den Grenzen von Landesrundfunkanstalten. Die Leute interessiert nicht, was auf ihrer Visitenkarte steht. Sie interessiert, wie sie die Power der ARD für ihr Produkt nutzen können."

Entregionalisierung "verkraftbar"

Bei der Arbeit des Kompetenzcenters stellen sich aber zwangsläufig einige praktische Fragen. Sind die Redaktionen zum Beispiel angehalten wollen, hochdeutsch zu reden, weil ihre Beiträge sehr wahrscheinlich auch in anderen Teilen des Landes laufen werden? Oder sollen sie womöglich auf die Nennung von Ortsnamen verzichten, damit der hessische Zuschauer nicht abgeschreckt ist, wenn es in einem Beitrag um etwas geht, das in Bremen spielt? Krumme und Sell verneinen. Man habe lediglich geplant, bei Mikros, die im Bild zu sehen sind, auf ein ARD-Logo zu achten statt den Schriftzug des jeweiligen Senders zu nehmen. "Es ist schön, wenn sich die ganze Republik in unseren Sendungen widerspiegelt", sagt Krumme und ergänzt zum Thema Sprache: "Dialekte sind wunderbar und wir haben damit grundsätzlich kein Problem. Am Ende müssen die Menschen aber für alle verständlich sein."

Kritiker befürchten bereits, durch die neue Aufstellung würden vor allem die einzelnen Magazine austauschbar. Dabei war es ja der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke, der monatelang das Beispiel von Arthrose heranzog, die in Bautzen nunmal genau so sei wie in Bitburg. Sprich: Hier braucht es im Zweifel keine zehn unterschiedlichen Herangehensweisen. Kristopher Sell stimmt dem zu. Er sagt, die Entregionalisierung im Themenfeld Gesundheit sei "verkraftbar, weil sich die Relevanz nicht unbedingt über die Ortsmarke ergibt". In anderen Bereichen sei das vielleicht anders. "Manchmal hat das auch was befreiendes, weil man einen Experten nicht unbedingt im eigenen Sendegebiet finden muss." Durch die neue Aufstellung ergeben sich für die Redaktionen also auch Chancen dort, wo sie bislang vielleicht durch ihren Sitz ihres Senders eingeschränkt waren. 

Die Herausforderungen sind groß

Für die ARD sind die Kompetenzcenter ein Meilenstein, der mutmaßlich viel verändern wird. Dementsprechend groß sind aktuell auch noch die Herausforderungen. "Eine Herausforderung ist aktuell noch die gemeinsame Organisation über ein einheitliches Redaktionssystem. Wir kommen aus einer Kultur, in der sich Landesrundfunkanstalten in ihren eigenen redaktionellen  Workflows organisiert haben, da brauchen wir noch ein bisschen, um das kollaborative Arbeiten in der Fläche auf die Straße zu bringen", sagt Kristopher Sell gegenüber DWDL.de. 

Für Friederike Krumme ist die schiere Anzahl der Themen und der Überblick darüber eine Herausforderung. "Gesundheit berührt an vielen Stellen das Portfolio von allen Landesrundfunkanstalten. Es da zu schaffen, alle an uns zu binden und mit ihnen im Austausch zu sein, ist ein längerer Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen." Zumal die ARD bekannt dafür ist, dass einzelne Sender oder Redaktionen gerne ihr eigenes Süppchen kochen und nicht so viel auf Kooperationen geben, wie sie es vermutlich sollten. Außerdem seien die Strukturen für die neuen Arbeitsabläufe noch nicht überall so, wie sie sein sollten. "Die Strukturen sind insgesamt noch sehr linear", sagt Krumme. Auch das sollen die Kompetenzcenter nach Möglichkeit ändern. In der Gesundheit, aber auch darüber hinaus.