Das Prinzip Selbstüberschätzung entpuppt sich seit einiger Zeit als Kernkompetenz (meistens männlicher) Erwerbsbiografien. Während Donald Trump zum Beispiel stabile Genies wie den Mediziner Anthony Fauci oder die Ökologin Gina McCarthy auf Abstellgleise verschoben hat, stehen stabile Knalltüten wie er im Lichtkegel messianischer Verehrung. Dort also, wo auch Thomas Janowsky einst stand. Wenngleich nur kurz. Sehr kurz sogar.
Im Sommer 1996 hatte er unterm Label Messiah einen Superhit. Es blieb sein einziger. Schließlich war „XTC“ selbst für Eurodance-Verhältnisse spottbilliger Blödsinn. Und das haben seinerzeit auch alle gemerkt. Bis auf einen: Messiah! Darum hörte er nie auf, von der Anschlusskarriere zu träumen. Knapp 30 Jahre später ist es nun so weit: ein Team des Filmemachers Felix Stienz begleitet ihn auf dem Weg zum lang ersehnten Comeback.
Den Anfang bildet die „Night of Messiah“ im Restaurant „Esstasy“, das er mit Mama Bettina im Berliner Plattenbauviertel betreibt. Stolze 142 Gäste haben sich online für die Bühnenrückkehr angemeldet. Dummerweise sind 141 davon Erfindungen seines Managers Leon. Als der ihm das beichtet, bittet er daher wohlweislich, die Kamera abzuschalten. Aber nicht mit Jankowsky alias Messiah! „Access all areas, 24/7, ungeschminkt und echt wie das Leben“ – so umfassend soll der Einblick in sämtliche Winkel einer Existenz sein, die fast ein bisschen zu verkracht wirkt, um wahr zu sein. Ist sie ja auch nicht.
Denn „Messiah Superstar“, wie die Comeback-Begleitung heißt, ist keine Dokumentation, sondern eine Mockumentary. Das erklärt auch, warum ihre Hauptfigur so seltsam an Florian Lukas erinnert, während deren Mutter irgendwie Johanna Gastorf ähnelt. Und steckt hinter Leon nicht Jonas Nay? Tut es! Nach Skripten von Headautor Sebastian Colley hat Regisseur Stienz absolut a-prominentes Personal für eine Fake-Doku gewonnen, die etwas Wohlbekanntes simuliert: männliche Selbstüberschätzung, oft mit dem Zusatz „toxisch“ versehen.
Zusehends inflationär verwendet, beschreibt der Begriff Alpharüden, die seit Christoph Maria Herbsts Bürohengst Bernd Stromberg auch hierzulande serientauglich sind. Und wie Florian Lukas dessen Showbiz-Pendent Thomas Jankowsky verkörpert: das bringt die Lächerlichkeit solcher Figuren gut auf den Punkt. Der 52-jährige Schauspieler, wie Messiah ein Kind Ostberliner Platten, kann’s halt. Was er weniger kann? Irgendwas für die Drehbücher aus Sebastian Colleys Writers Room. Wobei – nicht, dass die schlecht wären…
Das Ensemble einer Gastro-Belegschaft, die unterm Größenwahn ihres kleinkarierten Chefs leidet, wurde bis tief in die Nebenrollen wunderbar gecastet. Charaktere wie die alleinerziehende Küchenchefin Nadine (Banafshe Hourmazdi) und ihr wirtschaftsliberaler Hiwi Arif (Lukas von Horbatschewsky) sind gewissenhaft gegen den Strich migrantischer Klischees gebürstet. Und Messiahs Eigenlobkanonade von „ich bin nicht der Typ, der sich selber lobt, aber das ist richtig geil“ bis „Madonna hat mal zu mir gesagt, bleib niemals stehen, lauf immer weiter, oder war det Jeannette Biedermann?“, ist auf mockumentaryerprobte Art amüsant.
Was sie leider zu selten sind: neu. Ebenso wie das Genre, die Idee oder ihre Inszenierung auf Grundlage einer israelischen Serie. Ganze vier Monate, nachdem Amazon Prime den gescheiterten ESC-Qualifikanten „Gerry Star“ ins pseudodokumentarische Bowlingbahn-Comeback schickte, verlegt Joyn Lars Jessens brillante Fake-Reunion „Fraktus“ vom Technoclub zum Ballermann und setzt damit aufs erprobte Prinzip Fremdscham – einst verfeinert von Bastian Pastewka als jämmerliches Alter Ego auf Sat.11, später perfektioniert von den „jerks“ Christian Ulmen und Fahri Yardim beim Partnerkanal ProSieben.
Erstes Erfolgsgeheimnis: Permanentes Pimmelfechten unreflektierter Luftpumpen, deren überdimensioniertes Ego auf reiner Autosuggestion beruht. Zweites Erfolgsgeheimnis: Cameo-Auftritte befreundeter Promis, die sich darin zwar durchaus selbst entblößen, im Vergleich mit den Hauptfiguren aber ganz gut wegkommen. Bei „Messiah Superstar“ sind das in den ersten vier von acht Folgen à 25 Minuten abseits halbvergessener Altstars wie Oli P. und Sabrina Setlur die aktuellen Click-Millionäre Vanessa Mai oder Theo Carow.
Namentlich erkennbar dienen sie der Fiktion als Realitätsanker und verhelfen ihr so zu größerer Reichweite. Die hat „Messiah Superstar“ übrigens durchaus verdient. Allerdings weniger wegen der mediokren Mockumentaray von Sebastian Colley, der gerne zwischen Genie („How to Sell Drugs Online“) und Wahnsinn („Smeilingen“) wandelt. Interessanter ist Felix Stienz‘ Retrospektive der hedonistischen Neunziger. Während sie soziopolitisch ja angeblich am Ende der Geschichte lagen, wurde darin nämlich ein popkulturelles Perlencollier aufgezogen, das von unserer düsteren Gegenwart aus betrachtet Krisentag für Krisentag heller strahlt.
Jankowskys permanentes Namedropping angeblich innig verbundener Megastars unterm Soundtrack musikalischer Peinlichkeiten erzeugt daher nicht nur bei Zeitzeugen ein nostalgisches Wohlgefühl besserer Zeiten. Mit Präsident Trump statt Captain Jack wirkt es einfach entspannend, im quietschbunten Jahrzehnt trügerischer Sorglosigkeit zu schwelgen. Da erscheint selbst Messiahs Rat an den jungen Scooter in wärmerem Licht. „Nimm das Klarinettensolo raus und kauf dir ein Megafon“, habe er dem Techno-Rookie geraten, als der ihm sein Demo von „Hyper Hyper“ zeigte. Danke Thomas!
"Messiah Superstar" läuft ab dem 16. Mai bei Joyn, Sat.1 strahlt die Serie ab dem 30. Mai um 22:15 Uhr in Doppelfolgen