Die Welt ist voller Geräusche, genauer gesagt: Getöse. Selbst ohne Kinderspielplatz, Presslufthammer, Einflugschneise vor der Tür herrscht im Inneren größerer Städte ein Lärmpegel von nahezu 70 Dezibel. Auch das verschlafene München, mitunter als „City of Boredom“ gescholten, kommt nicht mal dann zur Ruhe, wenn die Nachtschicht des „Prinzenhof“ beginnt. Hier emittieren schließlich sogar kleine Notizzettel Töne, sobald sie jemand vorzieht.

In der Neo-Serie „Nighties“ erinnern sie an einen Windstoß, der durchs Mittelklassehotel zischt. Spätestens bei diesem Kolorit ist folglich Vorsicht geboten. Wenn lautlose Bewegungen Komödiensounds erzeugen, ist der Witz nämlich nicht nur umzingelt, sondern schon rausgekommen und steht verloren in einer Pointe herum, die keine ist, aber so klingen will. Schade eigentlich.

Denn die Idee einer chaotischen Hotelbelegschaft ist in Anbetracht Dutzender Formate vom „Schloss am Wörtersee“ bis zu „The White Lotus“ zwar keine Revolution, dank der ausgeleuchteten Spätschicht aber durchaus originell. Und Headwriterin Melina Natale merkt man die „Faszination fürs einzigartige Soziotop der Hotelbar“ also an, wo aus ihrer Sicht „unterschiedliche Fremde in einem so vertrauten Umfeld aufeinander“ treffen. Achtmal 25 Minuten lang erleben wir gastronomische Archetypen, die pro Folge zwei, drei Besucher betreuen.

Fröhlich an der Film- und Fernsehgeschichte bedient

An der Seite von Concierge Charles (Adnan Maral), versucht Prinzenhof-Erbin Millie (Tamara Romere Ginés) mit ihrer burschikosen Security-Chefin Adri (Stella Giritzki), sexy Barkeeper Rafael (Ben Felipe) und Küchenbullin Franca (Marainanda Schempp) das Hotel am Laufen zu halten. Was natürlich – Obacht, Sitcom! – vorwiegend schiefgeht. In der Auftaktepisode verhindert das Gerücht eines einquartierten Hollywoodstars mit Drogenproblem die Abläufe. Zwei Teile darauf ist ein Querulant in Münchens Julihitze dafür verantwortlich. Später wird das Durcheinander von Sexgeräuschen, Bettwanzen Oktoberfestleichen potenziert. Und oft bedient sich Melina Natale dabei fröhlich in der Film- und Fernsehgeschichte.

Vor Rafaels Tresen hockt stets ein wortkarger Stammgast, der verteufelt an Dittsches Schildkröte mit Tirolerhut erinnert. Beim Kampf um einen Ring mutiert Millie zum Gollum, bevor sich ein anderer wie in Daniel Kwans Oscar-Abräumer „Everything Everywhere All at Once“ übers Wetter beschwert. Auch, dass der Prinzenhof einer Zwei-Sterne-Version von Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ gleicht, dürfte kein Zufall sein.

Seit Carl Reiner diesen Eklektizismus 1982 mit Steve Martin in „Tote tragen keine Karos“ auf die Spitze getrieben hatte, ist er halt ein beliebtes Stilmittel. Sofern es gut gescripted, gedreht, gespielt wird. Drei Grundvoraussetzungen, an denen die Neo-Serie schon aufgrund ihrer Mittel scheitert. Auf kleiner Etatflamme geröstet, sieht man den „Nighties“ ihr Budget allerdings nicht nur an; fast besser noch ist es zu hören. Wenn der hübsche Vollpfosten Rafael auf die Frage, was eine Hotstone-Massage sei, „jemand der heiß ist, wird von jemandem massiert, der stoned ist“, antwortet, gibt es schließlich selbst bekifft nichts zu lachen. Und solche Plastikdialoge sind nicht Ausnahme, sondern Regel.

„Guckt mal ihr Süßen, was ich für euch habe“, ruft Millie einmal mit dubiosem Koffer in der Hand durchs Hotel. „Wenn es mein letzter Funken Würde ist, dann lass ihn bitte in Frieden ruhen“, erwidert Charles da, ohne zu überlegen. „Hast du den nicht gegen diesen lächerlichen Haarschnitt eingetauscht?“, fragt Adriana im Schlagfertigkeitssturm raschelnder Drehbuchseiten, den selbst Stella Goritzki – komödiantisch präziser Lichtblick im Dunkel permanenten Overactings – nicht zum Schweigen bringt. Stella who? könnten Außenstehende da fragen. Denn die 32-jährige Münchnerin ist eine sehr gute, aber recht unbekannte Darstellerin leichter Vorabendformate wie „Watzmann ermittelt“ oder „WaPo Bodensee“.

Spielfreude - aber intellektuell im tiefroten Bereich

Damit entspricht ihr Portfolio dem eines Ensembles, dessen bekanntester Protagonist Adnan Maral heißt – Millennials vielleicht als Vater in „Türkisch für Anfänger“ erinnerlich, seither jedoch vornehmlich als exotisches Boomer-Maskottchen tätig. Nun sind Prominente nicht unbedingt ausschlaggebend fürs Niveau, im Gegenteil. Allerdings könnte die Abwesenheit prominenter Namen bis in den Episoden-Cast hinein andeuten, dass echte Stars ihre nicht im Abspann einer so mediokren Workplace-Comedy lesen wollten.

Dabei scheint zumindest der Weg dorthin amüsant gewesen zu sein. Wenn man „Nighties“ etwas zugutehalten kann, dann ist es der Spaß, den die Darsteller beim Spielen offenbar hatten. Atmosphärisch erreicht die Serie damit einen Nutriscore von B, intellektuell dagegen landet er im tiefroten Bereich. Dort also, wo viel zu viele Neoriginals letztlich landen, seit das ZDF vor gut zehn Jahren damit verlorene, weil jüngere Zielgruppen erreichen wollte.

Neo mag ja hochwertige Adoleszenz-Studien wie „Deadlines“ im Angebot haben; die Mehrzahl ist Mittelmaß à la „Nix Festes“, „Blockbustaz“, „Sex, Zimmer, Küche, Bad“. Alles berufsjugendliche GenZ-Simulationen, die Klamauk mit Frische verwechseln und Denkfaulheit mit Nonkonformität. Wenn Marals Concierge sexuell rege Rentner mit „begehren, äh, beehren sie uns bald wieder“ verabschiedet, fügt sich das Niveau dieser Clipshow daher exakt ins Schema eines Spartenkanals, der gern großes Pyro-Spektakel wäre. Nur: häufig verpufft es wie feuchtes Tischfeuerwerk.

"Nighties" steht beim ZDF zum Streamen bereit. ZDFneo zeigt die Serie ab dem 1. Juli, dienstags um 21:45 Uhr in Doppelfolgen