Es gibt Momente, in denen lässt sich schwer in Worte fassen, was man gerade eigentlich im Fernsehen zu sehen bekommt. Momente wie jene, in denen sich die versammelte Ballermann-Schar wegen eines Unwetters über dem "Fernsehgarten"-Gelände in ein kleines Gartenhäuschen auf dem Lerchenberg zwängt, oder solche, in denen Alexander Klaws zur besten Sendezeit bei RTL, umringt von Henning Baum und Thomas Gottschalk, irgendwo im Ruhrgebiet den Jesus mimt.

In diese Liste epochaler TV-Momente kann sich ab sofort ohne Weiteres das "Heidifest" bei ProSieben einreihen – eine Show, für die es vermutlich eine ganze Reihe von Wissenschaftlern bräuchte, um den Grad der Verstörung zu ermitteln, den sie nachhaltig in in den Köpfen des Publikums verursacht haben muss. Und das in nicht einmal zwei Stunden Sendezeit!

Zwei Tage vor Wiesn-Beginn hatte ProSieben am Donnerstag das legendäre Münchner Hofbräuhaus angemietet, um mit dem Klum-Clan, einigen ihrer Freunde und den Stars der Volksmusik- und Schlagerszene eine zünftige Oktoberfest-Sause zu feiern. Ein Experiment, dessen Strahlkraft es im Unterföhringer Entertainment-Universum zu derart beachtlicher Größe brachte, dass nicht nur "taff"-Moderatoren und "Topmodel"-Kandidaten der Veranstaltung beiwohnen wollten, sondern sogar die Führungsriege des TV-Konzerns, allen voran der Vorstandschef Bert Habets.

Was ihm durch den Kopf gegangen sein mag, als er sich zwischen Wildecker Herzbuben, Roberto Blanco und den Weather Girls wiederfand, ist nicht übermittelt. Man kann allerdings nur hoffen, dass er von den Moderationen der titelgebenden Gastgeberin nicht allzu viel mitbekommen hat. Dafür, dass Tom Kaulitz im Vorfeld zu würdigen versuchte, mit welcher Inbrust sich seine Gattin in die Vorbereitung dieses Abends reinkniete, hat das TV-Publikum von Heidi Klum beim "Heidifest" erstaunlich wenig gesehen. Und wenn sie dann doch mal zum Mikrofon griff, dann meist nur, um mit kaum mehr als einer Handvoll Worten den nächsten Künstler anzusagen ("Ihr wisst ja, rote Lippen soll man küssen"), ihre Gäste zu loben ("Ich liebe dein Wurst-Outfit!") oder ein "Prosit der Gemütlichkeit" anzustimmen – sofern zwischen Schnitzeln und Spätzle überhaupt Zeit dazu blieb.

Der Altersschnitt der Gäste wiederum dürfte sich auf einer TV-Skala von "Kikaninchen" bis "Wort zum Sonntag" in etwa auf einem Level mit  "Immer wieder sonntags" und "Schlagerspaß mit Andy Borg" eingereiht haben – allerdings mit dem Faktor 10. Wo sonst sieht man Marianne und Michael, Howard Carpendale, Michael Holm, Peter Kraus und Jürgen Drews heutezutage noch gemeinsam in einer Show? Sie alle gaben in spärlich dekorierter Kulisse noch einmal ihre größten Hits zum Besten, während die Klum wahlweise tanzte, Taschentücher verteilte oder mit einer Maß in der Hand in die Kamera prostete ("Oans, zwoa, drei, g'suffa!").

Michael Holm beim Heidifest © Screenshot ProSieben Schlagerstar Michael Holm beim "Heidifest" im Hofbräuhaus.

Vermutlich, um im Worst Case nachträglich noch eingreifen zu können, hat sich ProSieben dazu entschlossen, das "Heidifest" mit einem Puffer von rund zwei Stunden ins Programm zu nehmen. Weil streng genommen allerdings die gesamte Show einem Worst Case glich, schien es letztlich auch niemanden mehr zu stören, dass die Stars wahlweise im Dunkeln sangen oder derart überbelichtet wurden, dass sich ältere Zuschauer unweigerlich an Michael Jacksons ebenso legendären wie verstörenden "Wetten, dass..?"-Auftritt erinnert fühlen mussten.

Dass der Sender fälschlicherweise eine Live-Übertragung suggerierte, fiel da schon gar nicht mehr ins Gewicht – und passte schon alleine deshalb gut ins Bild, weil ja auch die meisten Interpreten nur so taten als sängen sie live. Erstaunlich viele asynchrone Lippenbewegungen lassen darauf schließen, dass es sich beim "Heidifest" in Wirklichkeit um die Heidi-Playback-Show gehandelt haben muss. Mit einigen Ausnahmen, auf die sensible Ohren gerne verzichtet hätten. 90er-Jahre-Popstar Haddayway beispielsweise versuchte sich augenscheinlich an einer völligen Neuinterpretation seines Hits "What is Love", die das Original allenfalls noch schemenhaft erkennen ließ.

Ohne Zweifel dürfte diese krude Mischung das Zeug zur skurrilsten TV-Show des Jahres haben. Und zumindest Heidi Klum, seit Jahren beim Veranstalten gruseliger Halloween-Partys erprobt, scheint das Spektakel gefallen zu haben. Sie sprach in einer ihrer wenigen Moderationen gar vom "ersten Heidifest" – was die Vermutung nahelegt, dass sie sich eine Neuauflage vorstellen kann. Ausgeschlossen ist das freilich nicht, schließlich wurde der Ballermann-"Fernsehgarten" jüngst erneut von einem Unwetter heimgesucht und RTL ließ seinen Jesus sicherheitshalber ein zweites Mal ans Kreuz nageln. Gut möglich also, dass bei auch ProSieben das die Maß noch nicht voll ist.