„Die Patin“ erzählt eine große Geschichte in epischer Breite mit opulenten Bildern, einer ausgeklügelten Dramaturgie und durchdachten Dialogen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Barbara Thielen bezeichnet das als "Popcorn-Effekt": "Der Zuschauer soll sich auf einen gelungenen Fernsehabend freuen und anschließend mit einem guten Gefühl ins Bett gehen - "Popcorn-Effekt heißt allerdings nicht, dass es sich um dumme Inhalte handeln muss", sagt sie.
 
Auch wenn - oder gerade weil - „Die Patin“ ohne den sozialpolitischen Duktus der ARD-„Tatort“-Reihe oder den pseudo-didaktischen Ansatz einer Historien-Verfilmung auskommt, ist das Drehbuch durchdacht, die Inszenierung überaus geschickt, die Geschichte nicht von großer gesellschaftlicher Relevanz, aber allemal fesselnd genug für drei äußerst kurzweilige Fernsehabende. Nicht zuletzt auch wegen der hervorragenden Besetzung, unter anderem mit Axel Prahl als ebenso unflätigem wie hartnäckigem BKA-Ermittler.
 
 

 
Weg von Pathos und Drama in der RTL-Fiction
 
Nach Pathos und Drama wird für RTL der Unterhaltungsfaktor in der Fiction generell zunehmend wichtig. „Da haben sich alle in den letzten Jahren zu sehr ausgeruht, anstatt dem Zuschauer etwas Neues zu bieten, das ihn wirklich einfängt und unterhält", so Thielen. In diese Richtung werde RTL künftig weiterentwickeln. Wichtig sei dabei vor allem, den Fokus auf starke Figuren zu setzen, deren Entwicklung das Publikum verfolgen könne, statt die Erzählungen lediglich durch den Plot voranzutreiben.

Gelungen ist dies bei „Die Patin“ durchaus. Veronica Ferres, eine der wenigen Schauspielerinnen in Deutschland, für die einerseits die Bezeichnung Star ohne Beanstandung und in recht vielen Zusammenhängen benutzt werden kann, die andererseits aber auch Publikum und Kritik spaltet wie kaum eine andere, zeigt sich hier mit einem neuen Gesicht. Zwar bleibt es das Gesicht einer von ihrem Mann und der Welt verratenen Mutter, doch es sind die eher leisen Töne und kleinen Gesten, mit denen Ferres' Leistung in diesem Fernseh-Epos ins Auge sticht.

Die Anstrengungen der Autoren, jede Entwicklung des Films auf die innere Zerrissenheit der Figur der Katharina Almeda  zwischen Faszination und Abscheu, eiskalter Mafia-Braut und fürsorglicher Mutter herunterzubrechen führt Ferres in ihrem Spiel - mal mehr, mal weniger mitreißend - weiter. Katarina Almeda entwickelt sich vom Heimchen am Herd zur Patin wider Willen und scheint nach und nach Gefallen an ihrer neuen Rolle zu finden - vor allem dann, wenn sie feststellt, das auch die Russen-Mafia nur mit Wasser kocht. Dass all die Wirrungen und Wege der Katharina Almeda nur wenig mit der wahren Welt zu tun haben: Geschenkt.
 
Keine Authentizität: Fiction bleibt Fiction
 
Vom Schlagwort der Authentizität, das im Zusammenhang fiktionaler Fernsehstoffe neuerdings immer wieder fällt, hält Fiction-Chefin Thielen ohnehin nicht viel. Es gehe nicht darum, ein realitätsnahes Programm zu machen, erklärt sie. Schließlich gebe es genug Doku-Formate, die eine vermeintliche Realität abbilden. "Wir müssen den Zuschauer in einer Welt abholen, die er kennt, die Geschichte dann aber in einer fiktionalen Überhöhung weitererzählen", sagt sie. Die fiktionale Welt bleibe fiktional, auch wenn die Dialoge in Filmen und Serien mittlerweile eine andere Natürlichkeit haben als noch vor einigen Jahren.

Am Montag und in den darauf folgenden Tagen wird sich an den Zuschauerzahlen dann ganz real zeigen, ob das Wagnis „Patin“  für RTL aufgeht. Zu wünschen wäre es, denn es es ist Thielen und ihrem Team - darunter Drehbuchautor Christoph Darnstädt, Regisseur Miguel Alexandre und die Produzenten Nico Hofmann und Klaus Zimmermann - gelungen, ein in Umfang und Erzählkraft großes Stück Fernsehen abzuliefern, mit dem der Sender zugleich genau den Mut zu neuen fiktionalen Wegen beweist, der lautstark immer wieder eingefordert wird.