Ich kann es nicht mehr hören. Auf Medienkongressen. Auf Partys. Im Gespräch mit Kollegen. Bei Familienfeiern. Es gibt kaum eine Unterhaltung seit dem 12. Februar dieses Jahres, in der man nicht früher oder später diese Frage hört: "Sag mal, wer macht denn jetzt 'Wetten, dass..?'?" Als Medienjournalist und Branchenbeobachter kann man sich dieser Frage besonders schwer entziehen, weil das Gegenüber mal mehr, mal weniger ernsthaft glaubt, man könne das beantworten. Gottschalks Abschied machte aus einem ganzen Land Programmdirektoren wie sonst nur Fußball-Weltmeisterschaften ein ganzes Land zum Bundestrainer werden lassen. Jeder weiß was oder will etwas wissen. Von der Lokalzeitung bis zum Klatschblatt. Die Berichte und Spekulationen überschlugen sich, so dass man im Sommer ja beinahe froh war, als sich die Medien auf Basis von Umfragen und allgemeiner Beliebtheit gegenseitig eingeredet hatten, dass es niemand anderes als Hape Kerkeling werden könnte. Das glaubte man dann irgendwann auch beim ZDF. So kanalisierte sich die Aufregung der Presse für Monate immerhin auf die vermeintlich einzige noch zu klärende Frage: Wann? Wann werden Kerkeling und das ZDF es endlich offiziell machen?
Doch dann kam am 5. November alles anders. Kerkeling sagte ab und eine Nation fiel vom Glauben ab. Man hatte es sich doch vorher so schön eingeredet. Angefeuert wurde diese Überzeugung von dem sicher ehrlichen Interesse des ZDF und einem Hape Kerkeling, dessen Entscheidungsfindung entweder sehr schwierig oder Vergnügen an den Spekulationen zu groß war, um schon eher die Luft aus der aufgeblasenen Spekulation zu lassen. Seine Absage eröffnete vor drei Wochen das, was wir doch eigentlich schon hinter uns glaubten: Die wilden Spekulationen. Alles nochmal auf Anfang. Doch eins ist diesmal anders. Während man sich vorher ins Gespräch bringen wollte, verkünden jetzt in einer Art Ausschlussverfahren potentielle Kandidatinnen und Kandidaten oder solche, die sich für potentielle Kandidatinnen oder Kandidaten halten, ihr Desinteresse an dem Job. So mancher verdient sich in diesen Wochen in der Disziplin des doppelten Kerkeling - sich erst PR-wirksam handeln lassen und dann PR-wirksam absagen - Höchstnoten.
Man erlebt derzeit wirklich merkwürdige Dinge. Da tingeln nicht einmal ehemals erfolgreiche Moderatoren durch die Redaktionen und versuchen sich zum Gegenstand der Spekulationen zu machen. Oder sie verschicken Pressemitteilungen in eigener Sache, in denen man dementiert, in Gesprächen mit dem ZDF zu sein, nur um sich damit auf sehr plumpe Weise wohl genau das zu wünschen. Weil der Wunschkandidat der Nation nicht wollte, scheint jetzt alles möglich. In einem Anflug von Theatralik wird plötzlich das Format totgeschrieben. Neben Kerkeling hat Deutschland absolut nichts zu bieten, so scheint es. So wird es jedenfalls hochgeschaukelt. Natürlich könnte man "Wetten, dass..?" einfach sterben lassen. Weil das einfacher ist als sich zu überlegen, wie und mit wem man das Format in eine neue Zeit führen könnte. Aber eine der erfolgreichsten, wenn nicht die erfolgreichste deutsche TV-Marke mit neun bis zehn Millionen Zuschauern einzustellen? Da sollte man vielleicht doch vorher noch einmal tief durchatmen und überlegen.
Richtig ist aber eben auch: Jeder halbwegs prominente Nachfolger würde nach Kerkelings Absage mit dem Label "zweite Wahl" leben müssen. Muss man deshalb auf völlig unbekannte Gesichter setzen? Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sind derzeit so etwas wie die neuen Kerkelings - heiß gehandelt und mit einer Show bei ZDFneo quasi schon zuhause auf dem Mainzer Lerchenberg. Sie sind uns, den Jüngeren, zwar geläufig und werden von uns auch geschätzt. Aber es wäre eine sehr gewagte Verjüngung des Formats mit zwei Köpfen, die für Zuschauer jenseits der 50 dann eben doch völlig unbekannte Gesichter sind. Und bei aller Wertschätzung: Das Duo Joko & Klaas kann jetzt auch nicht im Alleingang das deutsche Fernsehen übernehmen. So steckt das ZDF also fest in einem Dilemma - und eine ganze TV-Nation gleich ebenso. Wo ist er bloß, der perfekte Nachfolger oder die perfekte Nachfolgerin? Wer nimmt sich "Wetten, dass..?" an und prägt etwas Neues?
Meine Antwort darauf: Den perfekten Nachfolger gibt es nicht. Und das ZDF braucht ihn auch gar nicht. Beenden wir endlich die längst nervenden Spekulationen mit immer neuen Namen. Es könnte so einfach wie erfrischend sein: Lasst "Wetten, dass..?" von wechselnden Gastmoderatoren präsentieren. Die Idee ist nicht neu, aber bislang nur belächelt worden. Aber es spricht viel dafür. Lasst uns bei jeder Show die Überraschung, wer diesmal durch die Sendung führt. Lasst uns die Überraschung, wie er oder sie sich dann schlägt. Gebt der Show damit Event-Charakter zurück und macht sie von Sendung zu Sendung schon im Vorfeld wieder zum Gesprächsthema. Ohne die Last, dauerhaft das Erbe von Thomas Gottschalk anzutreten, werden sich auch all die wieder für die Show gewinnen lassen, die sich die Aufgabe auf Dauer nicht zumuten wollten. Hape Kerkeling, Anke Engelke, Barbara Schöneberger, Michael "Bully" Herbig. Und warum dazwischen nicht mal einen fließend deutschsprechenden US-Star wie Sandra Bullock moderieren lassen?
Als Konstante in jeder Show bleibt Michelle Hunziker an Bord. Sie kann den prominenten Gastgeber bei Bedarf durch die Sendung führen, wenn er mal ins Stocken gerät. Wäre das schlimm? Nein, wäre es nicht. Es ist Live-Fernsehen. Unmittelbar und nicht für die totale Reizüberflutung zusammengeschnitten, vertont und mit Effekten perfektioniert. Wir brauchen keinen perfekten Moderator für "Wetten, dass..?". Wir brauchen einfach einen Gastgeber. Und wie so eine wechselnde Präsentation zum Kult reifen kann, zeigt in den USA die Sketch-Show "Saturday Night Live". Sollte sich in den nächsten ein oder zwei Jahren dann jemand durch seine Gastmoderation geradezu aufdrängen, kann man immer noch mal überlegen. Aber besser lässt sich doch jetzt erst einmal nicht austesten, wie die Zukunft des Formates aussehen kann. Und uns wäre damit vorerst diese furchtbare Nachfolgediskussion erspart, denn diese Idee verkehrt die Frage, wer die schwere Last der Gottschalk-Nachfolge tragen muss, in eine unbeschwertere Neugier, wer uns 2012 dann als Erstes begrüßen wird.